Dann hat das Poly-Pferd sich einfach umgekehrt...
Nachdem ich mir in verschiedenen Threads hier bereits Fragen nach der Liebe untergebracht habe, zäume ich das Poly-Pferd mal von einer anderen Seite, nämlich von außen, auf. Anlass: Ich habe in einem Mailaustausch mit einem Mann im JoyClub die Themen „Frauen im Joyclub“ gestreift. Wir haben uns gefragt, warum viele Frauen so „Anti“ sind und einen Wald von Verbotsschildern vor sich hertragen. Manchmal, so wusste ich zu berichten, habe auch ich den Impuls, zickig zu werden, wenn ich trotz etlicher HP´s zum Thema Liebe, Freundschaft und Dating immer wieder die gleichen Angebote für Casual Sex in Motels an der A46 bekomme. So richtig zickig geworden bin ich aber noch nicht.
Der Typ fragte mich, warum ich denn nicht im „real life“ auf die Suche nach passenden Männern ginge, womöglich hätte ich Angst oder Hemmungen? Das gab mir zu denken. Und ich vermute, die Hemmungen sind es nicht allein. Ich glaube, dass die Fortschritte, die man in Sachen Offene Beziehung macht (ich will es immer noch nicht poly nennen, weil das für mich oft so einen missionarischen Beigeschmack hat) auch von äußeren Faktoren abhängen. Bei mir und bei meinem Mann wohl auch.
(Natürlich hat mein Kontakt übrigens recht, wenn er mir Hemmungen und Ängste unterstellt. Den Menschen, der in Sachen Liebe keine Hemmungen und Ängste hat, den möchte ich kennenlernen. )
Meine Flirthemmung bezieht sich aber auch und besonders auf meinen Job, mein Alter, meinen Familienstand und meinen Wohnort. Nein, ich glaube, es ist nicht egal, ob man in Leipzig oder Longerich wohnt, in Hamburg oder Harsewinkel. In OWl, da wo ich lebe, ist es katholisch und spießig. Ich lebe aber nun mal hier, bin hier selbstständig und kann nicht ohne weiteres mal eben so umziehen. Hier aber ist Monogamie Trumpf. Klar, auf jedem Schützenfest der Umgebung könnte ich mir ein, zwei Grünröcke zum Sex heranflirten. Das gehört dazu. Aber dann habe ich unter Umständen so einen uniformierten Spießer im Bett. Der alles heimlich tut und auch nur alkoholisiert. Grusel, der reinste Horror! Das will ich nicht.
Dann spielt mein Alter mit hinein. Viele Frauen meiner Umgebung und meines Alters richten sich mental auf die Wechseljahre ein und machen Diäten oder kaufen Schuhe. Andere lachen sich einen heimlichen Lover an oder lassen sich endlich scheiden, weil die Kinder aus dem Haus sind. Das will ich auch nicht.
Es ist also nicht die innere Haltung allein. Bitte kommentiert also nicht nach dem Motto „Die Liebe wohnt im Herzen, man muss nur wollen!“ „Trau dich doch einfach“ „Sag denen mal die Meinung!“ "Sei einfach du selbst!"
Und dann: In z.B. Berlin kann ich als verheiratete 48-jährige mit zwei Kindern durchaus eine Location oder einen Termin finden, in der ich einen (interessanten) (attraktiven) Mann ansprechen kann, der außer Schützenverein noch andere Ideen zur Freizeitgestaltung hat. In Ostwestfalen ticken die Uhren anders.
Tausche die Variablen. In Bielefeld kann ich als 32-jährige verheiratete Frau mit zwei Kindern schon eher einen interessanten (!), attraktiven (!) Mann ansprechen. 48 - jährige Männer meines Umfelds sind meistens weder das eine noch das andere. Nicht, weil sie hässlich wären, aber weil sie in ihrer Denke sehr aufs Häusliche bezogen sind.
Als unverheiratete 32-jährige Frau ohne Kinder in Berlin allerdings kann ich wohl am allerbesten einen Mann ansprechen. Oder?
Seht ihr? Nicht alles sind Komplexe und Ängste. Manche Dinge beziehen sich auf äußere Faktoren.
Und dann noch die soziale Umwelt. Ich habe gute Freunde, denen ich nicht einmal von meinem Beziehungskonzept erzählen kann, weil ich weiß, dass es sie überfordern würde. Manchmal höre ich Kommentare, die man aus Klischees über Schwule hört. „Das wäre nichts für mich. Ich hab nichts gegen die, wenn sie mich in Ruhe lassen...!“ Soll ich deshalb die Freundschaften kündigen?
Unsere Offene Beziehung bedeutet für uns also wenig Offenheit nach außen. Sie bedeutet viel Kontaktaufnahme über Foren wie dieses. Sie bedeutet, viel zu reisen und das macht sie dann am Ende auch noch teuer und zeitintensiv. Dieses wiederum verändert unser Leben auf eine Weise, die wir uns so nicht ausgerechnet hatten.
Einen, der mir Geschlechtsverkehr anbietet, den finde ich auch als 48-jährige in Ostwestfalen an jeder Ecke. Aber das ist es nicht. Nicht für mich.
Von meinem Partner will ich da gar nicht reden. Frauen, die ihm an jeder Ecke Geschlechtsverkehr anbieten, gibt es auch in Ostwestfalen nicht. Nicht einmal das.
Ich möchte wissen: Gibt es noch andere hier, die ähnliche Themen haben? Die nicht nur im Inneren mit den Widerständen kämpfen, sondern auch an der Logistik oft verzweifeln? Die gerne mehr Ansprechpartner hätten? Leute in der Nähe, einfach mal auf einen Kaffee und ein offenes Gespräch?
Seren