Gelernt ist gelernt
Es ist jedes Mal schrecklich, aber doch mache ich mit. Zwei meiner Kumpels gehen Abschleppen und ich bin dabei. Ich bin dabei als drittes Rad am Wagen, als Chauffeur, oder Eckfähnchen, egal wie man es nennt, total deplatziert bin ich auf jeden Fall. Ich mag das nicht. Einerseits langweile ich mich zu Tode und andererseits vergehe ich vor Leid, jedes Mal.
Denn die können das, meine Kumpels, das mit dem Abschleppen von Weibern. Heute, wie meistens, in einem extracoolen Schuppen, diesmal mit viel Neon, stehen sie kurz nur herum und visieren ihre Beute an. Sie schlagen zu. Ich gehe nur mit und halte die Stellung. Diesmal geht es hin zu drei Mädels, eine kleinen Gruppe, das ist ideal. „Eine Göttin mit ihren Zofen“, ist mein Gedanke, ja das trifft es ganz gut. Die Göttin ist unglaublich: - elegant, groß, sehr schlank, mit silikonisierten Brüsten, puppenhaftem Gesicht und glattschwarzem Haar. Das sind lauter Attribute, die ich mag. Die Frau ist ein Vamp, die frisst uns drei zum Frühstück und das bemerken meine Begleiter wohl auch: Ihre Ziele sind die Zofen und sie lassen den Vamp links liegen. Das geht schnell, mit ziemlich Routine verwickeln die beiden jeweils ihr Opfer in ihr Gespräch. Sie sprechen sie an. Ohne scheu machen sie das, ein wenig frech da mit eindeutiger Absicht, aber nicht plump. Es gefällt, die Mädchen lächeln und nicken. Was sie da sprechen? - keine Ahnung. Ich stehe etwas entfernt und kaschiere meine Verlegenheit mit dezenter Arroganz. Jaja, da ist sie wieder, die Situation des Eckfähnchens, meine gute alte Vertraute, macht aber nix, ich schau mir das an.
Meine Jungs machen das gut. Die Frauen lachen, lassen sich zu einem weiteren Glas einladen, die Mimik ist lebendig, die Unterhaltung wohl auch - ich sehe schon: Der Mut wird belohnt.
Und ich? Ich die Eckfahne, schaue zur Seite und finde neben mir die Göttin. Sie schmunzelt genau wie ich. Auch sie hat das Quartett beobachtet. Wir prosten uns zu und verkneifen uns unseren wortgleichen Kommentar. Coole Geste! Aus versehen gelungen – und die Göttin lächelt zuckersüß bis verschmitzt.
Etwa fünf Minuten schweige ich mit ihr. Ich fühle, dass sie wartet. Da wo sie steht ist mir ganz heiß. Sie wartet auf irgendetwas von mir. Aber sie wartet umsonst: Ich stehe herum, trinke zu schnell und in zu großen Schlucken. Sie spielt mit ihrem leeren Glas. Ich hole mir ein Bier. Bewusst Ich frage nicht, ob sie noch etwas trinken will, ganz bewusst. Wieder zurück am Stehtisch schalte ich um auf mein Standartverhalten, lebenslanges Training macht mich darin routiniert: Neutraler Blick, nirgendwo zu lange fokussieren, ganz bestimmt nicht bei ihr, scheinbar in sich ruhen, alles abprallen lassen und warten. Es geht um die ersten Minuten. Wertvolle Minuten sind das, denn jede Minute werde ich weniger Mann. Jede Minute die ich nicht mit ihr spreche, jede Minute die ich unbeholfen neben ihr stehe, senkt mein Ansehen in ihren Augen und das soll auch so sein. Denn bin ich unten, mehr Wurm als Mann, dann darf ich mit ihr sprechen. Als Mann, also als Gegenüber mit Interesse, geht das nicht, das steht mir nicht zu. Das ist grausam, denn alles in mir will mit dieser Frau reden, aber alles in mir sagt auch: Niemals! Keine Frau will mich als Mann - gelernt ist gelernt. Eine sehr destruktive Lektion!
So werde ich nach einer Weile ganz ruhig, denn spätestens jetzt ist es für einen hoffnungsvollen Kontakt mit ihr zu spät. Ich sehe es ihr an: sie hat mich beobachtet. Sie hat versucht mich einzuordnen. Sie hat untersucht was ich bin und jetzt ist sie belustigt. Ich bin für sie tot, ein Mr. Uninteressant. Es ist mir egal, es tut mir kaum weh, nur ein ganz kleiner Stich irgendwo da wo das Herz ist - nein, Halt! Das ist gelogen! In mir schmerzt es überall. Eigentlich muss ich mich krümmen, aber man sieht es mir nicht an. Ich bin gut im Aufrechterhalten vom aufrechten Gang.
Jetzt beachtet sie mich nicht mehr. Sie spricht kurz mit einer der Zofen und wendet mir den Rücken zu. Gut! Jetzt bin ich sicher, denn ich bin ganz unten, jetzt bin ich nur ein Neutrum. Ich, endlich Neutrum, betrachte ihren Rücken, betrachte ihre Figur und ihre Beine - alles ist elegant, alles ist Begehrenswert. Ich schlucke, aber jetzt ist es gut. Es ist einfacher, wenn man keine Hoffnung hat. Ich bin nicht dabei in diesem Spiel, ich bin nur Eckfahne. Und Eckfahnen stehen herum, sind harmlos und flattern ein wenig im Wind. Die Eckfahne leidet wie ein Hund.
Und dann kommen die Göttin und ich doch ins Gespräch – und wie! Es ist mir aus versehen passiert. Nach zwanzig Minuten fällt irgendwann ein Wort und dann noch eins und noch eins und schon sind es Sätze. Die Frau ist nicht nur schön, sondern auch eloquent. Das macht Spaß, und unsere Unterhaltung wird richtig intensiv. Sie wundert sich, ich kann es ihr ansehen. Sie hielt mich für eine Null. Aber ich kann reden. Ich bin ja nicht dumm, nur kaputt. Sie hatte mich nicht auf dem Zettel, aber sie ändert ihre Meinung. Sie wendet sie nun zu mir. "Also doch" denkt sie und sie hat allen Grund. Insgeheim stimme ich ihr zu. Es passt: Wir haben uns wirklich etwas zu erzählen. Den Smalltalk haben wir direkt übersprungen, wir sind schon längst in medias res. Wir kommen von Hölzchen auf Stöckchen, wir verstehen uns, ei wer hätte das gedacht? Sie lacht, sie hat Mimik, sie fixiert mich, schiebt das Glas hin und her und rückt einmal sogar an ihrem Haar.
Mir wird mulmig, das Versehen von ihr irritiert mich. Ist ja schön so schön zu reden, es macht wirklich Freude, doch die Göttin verwechselt da etwas: Ich komme nicht in Frage! Noch halte ich mich fest an der Idee ich sei Neutrum, doch lange gelingt mir das nicht mehr, das merke ich schon. Ich will nicht, dass es mir möglich erscheint, das halte ich nicht aus. Dummerweise verstehen wir uns blendend. Das Gespräch lässt nicht nach.
Natürlich schaue ich ihr nie in die Augen, und nie fasse ich sie an – das tue ich nie, habe ich noch nie gemacht bei einer Frau. Das steckt so tief, ist so fest in mir drin: von keiner Frau der Welt kenne ich die Farbe der Augen und die Haut der Frau ist mir fremd. Ich bin freundlich nett und zugewandt, aber niemals komme ich heraus aus der Deckung und bekenne: ich will! – Da ist viel zu viel Angst.
Das Gespräch springt und hüpft wie ein Flummi, eine Freude ist das! Wir unterhalten uns auch und im Besonderen über Männer und das hier: dieses Spiel. Ich erkläre ihr unter anderem: ich würde in Frieden kommen, ich wolle nichts, nicht einmal spielen, ich sei nur der Fahrer der beiden großen Strategen. Sie lacht herzlich und vertraut mir an, es gehe ihr ähnlich, nur genau umgekehrt, denn keiner spreche sie an. Es gäbe Abende, so versichert sie mir, wo sie komplett alleine stehe, also abgesehen von ihren Freundinnen. Ich gebe ihr die Idee auf den Weg einen Thron aufzustellen, das wäre ein passender Rahmen und zumindest einige ganz Mutige bäten dann um eine Audienz. Das ist total schleimiges Gerede, aber irgendwie habe ich das Gefühl das es stimmt. Es ist mir egal. Das Bier wirkt. Ich plappere wie mir gefällt. Es ist mir völlig Einerlei was sie denkt.
Da ich nie ihr Gesicht betrachte, geschweige denn ihre Augen, bemerke ich nicht was ich auslöse: Es gefällt!
Als sie mich berührt, zucke ich zusammen. Berührungen kenne ich nicht, das bin ich nicht gewohnt. Aber diese Berührung war eine Botschaft und entsetzt wird mir die Nachricht klar: Ich habe die Burgmauer der Göttin im vorbeigehen genommen. Ich stehe oben auf den Zinnen, ein kleiner Hops und ich stände im Burghof. Ich sehe es in ihrem Blick, ihrer Gestik, wie sie am Glas nippt und mich dabei anschaut: ich bin willkommen. Sie hat den Wachen ihrer Burg „Einlassen“ befohlen. Das darf nicht sein, ich werde zu Stein. Was für ein absurder Gedanke: Ich und sie! - wenn die Göttin wüsste, wie wenig ich bin.
Meinen Erfolg bemerken auch meine Kollegen, die staunen nicht schlecht ob meiner Aus-versehen-Eroberung. Ich sehe es ihnen an. Einer hebt eine Braue. Kein Wunder, einen Erfolg hat es noch nie gegeben bei mir. Da fällt mir ein Weg ein die Sache zu entspannen. Ich kläre den Irrtum hier auf. Die Gelegenheit kommt prompt: Auf einen belustigten Blick meines Kollegen sage ich laut: „Ach vergesst es, die Frau ist ein Panther und frisst kein totes Fleisch.“
Diese Erniedrigung wirkt, der Unterton ist so ehrlich, dass nach dem ersten Gelächter etwas bei dem Gespräch mit der Göttin zerbricht. Sie schaut etwas verstört. Sehr zögerlich nippt sie an ihrem Weinglas. Sie hält es für eine Masche, da ich aber nun schweige und auf arrogant umschalte, begreift sie: Ich bin doch nur Eckfahne. Es war ein Versehen. Jetzt bin ich wieder unten – gottseidank.
Ich schweige weiter, wiederhole das Manöver von eben: besorge mir ein Bier und ignoriere sie gekonnt. Etwas deplaziert steht sie da neben mir, wenn mich nicht alles täuscht fühle ich da Wut die neben mir zündelt. Aber ich bleibe eisern. Dabei muss ich mich zurückhalten, denn ich möchte mit ihr zu reden. Es war so schön mit ihr. Doch ich bleibe der, der ich bin und mein Blick schweift umher.
Nach zwei, drei Minuten eisernen Schweigens stellt sie ihr Glas ab. Sie tippt noch einmal mit einem Finger auf den Glasrand. Ihr Blick kreuzt den meinen. Ich hatte Recht: da ist Wut in ihren Augen; Und Mitleid! Mitleid ist da auch. Die Wut macht sie noch attraktiver, aber ihr Mitleid ist ein Dolchstoß, aber auch das halte ich aus. „Ich gehe dann mal Fischen.“ Sagt sie lasziv und sadistisch und wendet sich von mir ab. Sie verschwindet in der Menge.
Natürlich schaue ich ihr nach. Ich genieße den Schmerz und davon habe ich gerade reichlich. Dieser Schmerz, dieses Gefühl etwas nicht zu bekommen, weil man versagt hat, es ist fabelhaft! Der Schmerz ist mein Freund. Der beste Freund den ich habe. Wo Schmerz ist, da ist Leben. Der einzige Hinweis auf Lebendigkeit den ich habe.
Jetzt wird der Abend wie üblich: Ich stehe herum, rauche zu viel und schaue in die Menge. Manchmal bleibt mein Blick irgendwo hängen, doch meist ist er ziellos. Wohin ich schaue, ich sehe nur Unerreichbares: Männer die mit Frauen flirten und retour. Ich sehe den Spaß der anderen. Das Lachen der Leute, die Gespräche, dieser Tanz der Frauen und Männer um die heilige Frage: Soll ich, oder soll ich nicht? Das Leben flackert hier hell. In mir ist es dunkel. Ich trinke mein Bier.
Weil ich nichts anderes habe, nicht einmal einen Gesprächspartner, denke ich arrogant: Ich stehe da drüber. Wie dämlich die anderen sind den Weibern nachzujagen und alles für nichts. Die meisten gehen eh allein nach Hause, was für ein Aufwand und Gerede für lau. Aber diese Gedanken sind fadenscheinig. Es ist eine Lüge! Das weiß ich genau. In mir ist es schrecklich. Ich tue nur munter, alles in mir ist kahl und leer. Mir ist klar was ich getan habe: ich habe mich für den Schmerz entschieden, nicht für die Frau. Meine Entscheidung ist immer genau diese, ich gehe immer diesen Weg. Ich kann gar nicht anders. Den Weg hin zur Frau, kenne ich nicht. Ich habe noch nie meinem Wunsch nachgegeben, nicht einmal im Suff, noch nie bei irgendeiner Frau. Da bin ich stolz drauf: so viel Härte muss man erstmal haben. Doch eine Stimme in mir mahnt: Es ist Schwäche, da ist etwas kaputt. Ich verblute an einer Wunde, denn alles in mir schreit nach Frau.
Ich kenne meine Schwäche. Meine Schwäche ist mein Ego. Ich fühle mich unwürdig. Einer Frau zu zeigen „ich will“? Das kommt nicht in Frage, so gemein bin ich nicht. In meiner Vorstellung muss sich eine Frau fast erbrechen, wenn sie erfährt, dass ich etwas für sie empfinde. Was für eine Nötigung ist das bitte für eine Frau? Also schweige ich. Gelernt ist gelernt.
Ab und an hole ich mal ein Getränk, auch für einen meiner Kollegen, reiner Zeitvertreib ist das. Einmal treffe ich dabei auch die Göttin im Gedränge. Sie ist beim Fischen. Ich zwinkere ihr zu, sie zwinkert zurück.
Der Abend wird elend, einsam und lang. Natürlich denke ich an sie. Ich suche sie nicht mit dem Blick, dazu bin ich zu stolz. Auch Eckfahnen haben ein wenig davon. Die Bar ist voll und ich bin mittendrin, mittendrin und unglaublich einsam. Ich bin hier falsch, ich will hier raus, ich will mich betäuben. Das Spiel überall vorgeführt zu bekommen ist sehr sehr schmerzhaft, ich könnte kotzen so heftig ist das in mir, dieses Gefühl des einsamen Neids. Doch ich lächle, gelernt ist gelernt.
Nach Stunden wird aufgebrochen. Auch die Göttin bricht auf mit jemandem im Schlepp. Kurz treffen sich unsere Blicke, meiner ist müde. Ich bin erschöpft vom Ringen mit Einsamkeit, Neid und Entsagung. Und das schlimmste kommt noch: Das Gefühl nach dieser Party, dieses gähnende Loch: ich bin wie immer allein, der einzige Funken Leben ist Schmerz.
Das mit der Göttin ist bitter. Das war knapp und deshalb besonders schmerzhaft. An so eine Frau komme ich niemals heran. Mein Gegner ist nicht die Frau, ich bin es selber, ich weiß das. Aber kämpft man gegen sich selbst, verliert man so oder so.
Zum tausendsten Mal denke ich den einen Gedanken: Ich muss diesen Kreislauf durchbrechen, sonst krepiere ich daran. Aber wie?
Während ich diesen Gedanken denke kommt die Göttin in mein Blickfeld. Sie geht zur Tür. Sie war erfolgreich und hat sich jemand geangelt. Für sie wohl das kleinste Problem. Mit ihrem Fang munter plappernd geht sie zur Tür. Doch dann hält sie inne. Sie hat meinen Blick gespürt. Sie wendet sich um. Ihre Augen verengen sich. Sie bedeutet ihrem Begleiter kurz zu warten und kommt auf mich zu. In ihrem Blick ist ein Funken Sadismus. Kurz vor mir bleibt sie stehen, sehr nah. Tatsächlich bin ich ganz locker und schaue sie an. Innen bin ich aus Stahl, denn ich weiss, was jetzt kommt. Ich kenne das von dutzenden anderen Gelegenheiten. Die meisten sagen es mit Blicken, doch sie spricht es aus: Sie fasst mich am Kinn und spricht. Mehr lese ich es von ihren Lippen als das ich es höre: „Du hättest mich haben können, du Idiot!“ und sie geht.