letzter Applaus
...................."Naja, das Alter ist keine schoene Sache", seufzt Alessia."Wenn ichs mir recht ueberlege, weiss ich nicht, ob ich mir die beruehmten hundert Jahre wuenschen soll. Besser man verabschiedet sich wenn man noch einigermassen beieinander ist"
"Die Last des Alters, sagt Oscar Wilde, besteht nicht so sehr darin, alt zu werden, als darin, nicht mehr jung zu sein. Na wie auch immer, Lucius hat vollkommen Recht".
"Womit?"
"Dass aeltere Leute immer wohlwollender behandelt werden. Letzte Woche hat mir eine junge Frau im Bus ihren Platz angeboten: ich haette sie umbringen koennen! Je aelter ich werde desto respektvoller begegnen mir die Menschen. Vor einigen Jahren gab man im Circolo Italia in Neapel eine grosse Feier zu Ehren von Eduardo de Filippo. Am Ende der Veranstaltung bat eines der Clubmitglieder den greisen Autor etwas aus seinen Werken vorzutragen. Der weigerte sich zunaechst, stand dann aber doch schweren Herzens auf und trug vier Verse aus einem seiner Gedichte vor - nur vier Verse , mehr nicht. Ganz offensichtlich hatte er einfach keine Lust und wollte die Sache schnell hinter sich bringen. Er entledigte sich der Aufgabe ohne die geringste Spur von Engagement. Aber , du wirst es nicht glauben, man dankte ihm mit tosendem Applaus, eine wahre Ovation. In den Augen aller Gaeste las man klar und deutlich den Gedanken: der arme Greis, wer weiss, wann wir ihn nochmal hoeren werden."
"Vielleicht sollte man auch mit jungen Kuenstlern wohlwollender umgehen".
"Sicher, das sollte man wohl. Andererseits braucht es eben Zeit, bis man einen Autor richtig versteht. Wenn wir ein Werk zum ersten mal lesen, sind wir so gut wie nie darauf vorbereitet. Wie sagt doch Flaiano ganz richtig: der Hauptfehler der Zeitgenossen besteht darin Zeitgenossen zu sein. Und dann spielt auch der Neid eine Rolle.
Wie koennte ein Kritiker, der moeglicherweise selbst literarische Ambitionen hat, das gerade erschienene Buch eines Kollegen objektiv beurteilen? Ganz zu schweigen, wenn es sich dabei noch um einen....Bestsellerautor handelt! Es ist schon viel wenn er es ueberhaupt liest.Ein englischer Kritiker hat ja mal in seinen Memoiren gestanden kein Buch vor der eigentlichen Rezension gelesen zu haben- um sich nicht beeinflussen zu lassen wie er sagte.
Schauspielernde Komiker haben es noch schwerer, denk nur an Toto, der ist das beste Beispiel dafuer. Jetzt seit er tot ist gilt er ploetzlich als Genie, zu seinen Lebzeiten wurde er vielfach ignoriert. Einmal sagte er, als er ueber Kritiker sprach, dass sich nur einer wirklich fuer ihn interessierte."
"Gab es damals zu Senecas Zeiten auch schon Kritiker?"
"Selbstverstaendlich gab es die, nur war das noch kein Beruf. Es handelte sich damals um Maenner aus der Welt der Kultur, die ihre mehr oder weniger giftigen Urteile zu den Arbeiten der Kollegen abgaben. Nicht zufaellig ist das beruehmte Sprichwort Nemo propheta in patria, der Prophet gilt nichts im eigenen Land, roemischen Ursprungs. Auch schon im antiken Rom reichte es die hiesige Welt zu verlassen um gleich darauf mit Beifall von allen Seiten eingedeckt zu werden."
"Und wie sieht es mit dir und deinen Kritikern aus?"
"Ich ? Ich brenne darauf endlich zu sterben!"
..............