Du landest immer da, wohin du musst
Du landest immer da, wohin du musst
Oder:
Träume von Schild und Schwert
Die Wendungen des Lebens, wenn man gerade eben zu sich gefunden und gedacht hatte, es wäre schön an ebendiesem Ort, sind manchmal jäh. Sie erschrecken einen oder man nimmt sie kaum wahr. Gerade heute Morgen denke ich, es ist wie ein immer gleiches Muster, aber doch so grundlegend anders ein jedes Mal, weil die Menschen nun einmal Individuen sind. Dachte ich letztes Jahr noch, ich müsste die Kunst des Gitarrespielens erlernen, so sah das weise Universum einen anderen Weg für mich vor. Es war dieses Mal eine unerwartet jähe Wendung, die, was die Konsequenzen angeht, unbemerkt blieb.
Es begann ganz unscheinbar. Ein kleines Dojo in einem recht neuen Haus, ein Lehrer, der sich wie ein Falke auf jeden kleinen Fehler stürzte. Zwei Mal die Woche mit einem hölzernen Schwert trainieren. Zu Beginn des Trainings sahen wir die Gruppe vor uns. Die Frau meines Lehrers unterrichtet Karate. Mein Blick wurde scharf, ich sah Fehler. Fußstellung, die Fäuste, Haltung. Man kam ins Gespräch und ehe ich es verhindern konnte, steckte ich auch dort mit drin. Und steckte meine Frau an, die ebenfalls zum Karate fand. Es ist schon eine Dualität, mit der man zurechtkommen muss. Das eher rabiate Karate und das feine, auf Präzision und Tradition ausgerichtete IaiDo. Beides sind seltsame Sportarten, denn man kann ihnen nicht neutral gegenüber stehen. Man liebt sie oder man hasst sie, dazwischen wäre es larifari. Da ich lange Jahre bereits Kampfsport betrieben hatte, war Karate ein leichter Einstieg, das ist wie Radfahren. Am Anfang wackelt es ein wenig, aber dann kommt alles zurück. In den Schwertkampf konnte ich nicht so leicht hineinschlüpfen. Schwertkampf ist wie ein Steinbrocken, der irgendwo abbricht, in einen Bach stürzt und vom Wasser getrieben wird. Der Stein ist ungleichförmig, plump und das Wasser hat viel Mühe, den Stein zu bewegen. Aber mit jedem Meter wird es anders. Der Stein, den ich im Sinn habe, wird irgendwann auf einer Insel im Pazifik landen, davon bin ich jetzt überzeugt. Wie sagte einst Mr. Smith in „Matrix“? Es ist unausweichlich.
Vor ein paar Wochen noch, ich hatte gerade meine Uniform bekommen, hieß es: „Sensei kommt!“ Gut, Sensei bedeutet erst einmal garnichts. Wörtlich bedeutet es „vorher geborener“ also eher „Senior“. Im Budo zeigt es den Status des vorlebenden und lehrenden, unterrichtenden. Das Glänzen und die kleine, versteckte Furcht in den Augen meiner beiden Sensei allerdings ließ mich aufmerksam werden. Also googelte ich den Herrn. Geboren in Kanagawa, von der japanischen Regierung in die Welt gesandt. 8. Dan Iaido Kyoshi, 8. Dan Kendo Kyoshi, 7. Dan Batto, 6. Dan Tankendo, 6. Dan Jukendo, 3. Dan Jodo. Er entstammt einer direkten Samurai-Linie. Ich freundete mich mit dem Gedanken an, dass der Besuch unausweichlich wäre. Vor ein paar Wochen beim Jahreshauptseminar gelang mir ein kleiner Blick. Mein Sensei stellte mich und eine befreundete neue Schülerin vor, sein eher knapper Kommentar war: „Gebt euer Bestes“. Vero und ich hatten den Vorteil, als Neulinge zu gelten. Inmitten dieser beeindruckenden Armee schwarzgewandeter Krieger, allesamt mit Schwertern bewaffnet. Waren wir beide wie Pfefferkörner in der salzigen Suppe. Wir hatten immer noch Bokuto, Holzschwerter. Und wir waren die „neuesten“ Zugänge, standen also am weitesten von Großmeister weg und zwar ganz hinten links an der Wand. Gut so. Der Meister sah mich und meine Fehler nicht. Eine wacklige Drehung hier, eine abgerutschte, schwitzige Hand da, ein falscher Stich. Welpenschutz. Bei dem Wackler ging es mir nicht gut. Es gibt Formen, die dort geübt werden, nach vereinbarten Szenarien. Die Form „Nihon-me Ushiro“ schult den Angriff im sitzen von hinten. Davon abgesehen, dass es schon in gewisser Weise erregend ist, wenn man den Zeitpunkt des Angriffes spüren muss, ist die schnelle Drehung auf den Knien für mich problematisch. Auf dem linken Fußballen und dem rechten Knie eine 180 Grad Drehung zu vollziehen und dabei das Schwert ziehen und eine Enthauptung durchzuführen, ist wirklich schwer. Wim, der Lehrer der „Mu-Dan“-Fraktion (kein-Dan) sah das, rief lauthals „Warte Tom, ich rette dich!“ quer durch die Halle und der alte Tom spielte Häuptling hochroter Kopf. Seitdem gilt er als guter Freund, denn er hat es geschafft, fünfzig Prozent des dicken Tom in Form zu bringen. Der Großmeister hatte sich die Herrschaften ab 5ter Dan vorgenommen und ich bekam nicht viel mit. Zu Ende einer solchen Veranstaltung wird etwas zelebriert, das „Embu“ heißt. Das bedeutet, das Erlernte muss vor den Augen der gesamten Truppe vorgeführt werden. Okay, Vero und ich, die Kämpfer der Holzklasse, standen hinten und gaben sich unauffällig. Aus Bad Homburg nahm ich mit, dass ich seltsamerweise noch nirgendwo so viele in sich ruhende und ausgeglichene Leute kennen gelernt habe, die darüber hinaus auch noch vollkommen unprätentiös waren und eher bescheiden im Auftreten, wenngleich viele einen Titel besaßen.
Vor drei Wochen nun hieß es, der Meister bringt noch zwei mit. Plus ein japanischer Professor aus Düsseldorf. Naja, wer mich kennt weiß, dass ich unaufgeregter werde, je dicker es kommt. Was sollte schon passieren? Furuichi Sensei hat wohl eher kein Interesse an mir und die anderen Japaner konnte ich so garnicht einschätzen. Und damit begann das Chaos. Meine Karate-Sensei sagte: „Wirst sehen, am Ende wird alles wunderbar“ und ich dachte wirklich, sie würde Amphetamine aus dem Regenbogenland beziehen. Letzte Woche Mittwoch war es nun soweit. Unnötig, zu erwähnen, wer das Willkommensmahl zubereitete, nicht wahr? Cherie und ich im Dauerstress. Panik wegen der Laktoseunverträglichkeit der Asiaten, was ist mit Alkohol, wie wird eingedeckt, brauchen wir neue Tische und zehn Millionen Fragen, die unbeantwortet blieben. Aber cool Tom zog einfach seine Linie durch. Es gab eine hervorragend gelungene Hühnersuppe, Muscheln Flamenco, frische Bruschetta, einen 2013er Barolo und noch Creme Brulee. Entgegen der Erwartungen war Furuichi Sensei ein stiller, energischer Mann und seine Präsenz war spürbar, aber unaufdringlich. Der Professor aus Düsseldorf sprach Deutsch und diente als Übersetzer. Die beiden „mitgebrachten“ Japaner waren das Ehepaar Sunaga, beide im Range eines 6ten Dan. Alle vier erwiesen sich aus ausgesucht freundliche Menschen mit absolut perfekten Manieren. Gegen Mitternacht wurden Geschenke verteilt und Cherie und ich zogen zufrieden von Dannen. Da wir getrennt angekommen waren, nahm Cherie Emmchen und ich stieg im Regen auf das Moped. Damit begann das Unglück. Der Hinterreifen rutschte mir weg und ich segelte direkte in den neuen Bretterzaun der Nachbarin. Mein armes Moppi büßte den Spiegel ein und hat eine Schramme und ich habe ein gestauchtes Handgelenk, ein lädiertes Knie, wo Moppi gelandet war und das Schlimmste: Ein fettes Häma-Tom dort, wo ich zwecks Besuch in der Keramikabteilung zu sitzen pflege! Aber es nützte nichts. Es begann Privatunterricht beim Chef. Vormittags drei Stunden, Nachmittags drei Stunden und anschließend noch anderthalb Stunden Karate. Ich habe noch nie im Leben so schnell so viel gelernt. Unglaublich. Die beiden Sunagas erwiesen sich als wahre Meister mit einer Körperhaltung und Spannung, die Ihresgleichen suchte. Sie wurden niemals müde, auch die kleinsten Fehler wieder und wieder mit einem Lächeln zu korrigieren und das macht einfach Spaß. Am ersten Tag nahm ich direkt 1,3 Kg ab und fiel beinahe tot ins Bett. Freitag verpasste ich die Heute Show, weil Cherie und ich für 49 Iaidoka das Buffet vorbereiteten und Samstag begann die eigentliche Katastrophe. Der Mopedunfall brachte mich genau da hin, wohin ich musste. Nach ich am Vormittagstraining noch teil, musste ich schmerzbedingt aussteigen. Cherie war dabei, mit zwei Helferlein das Buffet aufzubauen, als ich dazu kam und die 28 Liter (!) allerfeinste Hühnersuppe final abschmecken wollte. Ich öffnete den Deckel und fiel fast in Ohnmacht. Die Suppe, die morgens noch ein stolzes Lächeln auf mein Gesicht gezaubert hatte, war gekippt. Es roch wie frisch Erbrochenes und ich versank im Boden! Ich gebe zu, dass ich Tränen in den Augen hatte, als ich den Riesentopf in die Toilette entleerte. Sowohl vor Scham als auch vor Ärger. Cherie war ins Auto gesprungen, um schnellstmöglich Ersatz zu suchen, während die Pause zu allem Unglück auch noch vorverlegt wurde und ich im Boden versank. Gut, meine Tochter hatte eine Knoblauch-Tomatenbutter gezaubert, Cherie einen Dill-Frischkäsedip, es waren ausreichend Baguette und Brezen da, elf Lier Kaffee und ausreichend Tee. Die 9 Liter Kürbissuppe, eigentlich für die Vegetarier gedacht, waren ruckzuck leer. Cherie kam mit einer großen Tasche Erasco an, aber das ließ ich nicht zu. Peinlich genug, dass meine geliebte Lieblingssuppe in der Kanalisation schwamm, das Fiasko mit einem anderen zu bereinigen ist ganz schlechter Stil! Aber es ging auch so, Tomatenbutter sei Dank. Nachmittags konnte ich wieder nicht mitmachen, weil ich von Diclophenac reichlich Übelkeit erntete und mein Handgelenk Tango tanzte. Cherie umsorgte mich in bester Art mit Voltaren und einer Creme, die echt herunterkühlt, aber es nützte nicht viel. Wenigstens konnte ich ausreichend Bilder machen mit der verbliebenen Hand. Und ja, der Sonntag lief ähnlich. 120 Brötchen schmieren und belegen? Mit einer Hand? Nein, wir bestellten noch Samstag Abend beim Bäcker unseres Vertrauens. Ergo konnten wir die Restkraft auf die Sayonara-Party legen, die im Garten meiner Sensei stattfand. Vier Salate, eine Bierzapfanlage, reichlich Fleisch und vegetarisches Grillgut stand bereit, frisch gehobelte Karotten, ausreichend Baguette und 7 Kg Kartoffelsalat. Das Abschmecken geriet zur Zitterpartie, denn ich hatte meine Suppe noch im Kopf. Aber es war gut. Und so standen wir versteckt und unsichtbar hinter der Theke und bedienten die schwarzgewandeten Dauerkrieger. Das alles verlief gut, bis ich Cherie sagen hörte: „Sie sind Wim? Der, der meinen Mann bei Ushiro gerettet hat? Schatz, hol die Flasche raus!“
Eine Flasche Jim Beam Devils Cut wurde geköpft und schlussendlich wurde es lustig nach all den Katastrophen der letzten Tage. Aber liebe Leser, es ist noch nicht zuende. Eine liebe Freundin schenkte mir zusammen mit ihrem Mann eine Flasche Jack Daniels Single Barrel. Ich denke, es ist von ihr mit einem Lächeln quittiert, wenn ich schreibe, dass ich die mit meinem Retter zusammen venichtet habe. Und damit (liebste Freundin, sei Dank) traf ich ebenfalls den Geschmack des Großmeisters. Ratzfatz war die Flasche leer und Sensei nickte anerkennend. „Kampei!“ war das meistverwandte Wort des Abends und ich wechselte die langweilige japanische Meditationsmusik in meine Kernkompetenz. Rock. Ich trage ihn quasi im Namen. Beginnend mit Martha Reeves and the Vendellas und „Nowhere to run to“ über Chubby Checker, leitete ich das Ohrenmerk auf Creedence mit Ooby Dooby, Bad Moon rising , AC/DC mit Thunderstruck und Led Zeppelins Travelling Riverside Blues.
Gérárd, ein Iaidoka der belgischen Fraktion kam und fragte, wer für die Playlist verantwortlich wäre. „Oh verdammt“ sauste es durch meinen Kopf, „wieder falsch!“ Aber nein, er bedankte sich überschwänglich für die Musik, gleich im Namen der gesamten Belgier. Ich wäre fast geplatzt, so froh war ich. Und ganz nebenbei hilft Alkohol gegen schmerzende Handgelenke. Dann ging das Seminar am Sonntag ohne große Katastrophen zuende und wir hatten das Abrödeln an der Backe. Als Cherie und ich Abends vollkommen geplättet und dem Scheintode nahe heimkamen, stellten wir fest, dass unsere heilige Zeit, nämlich Formel 1, das erste Mal seit 18 Jahren verpasst worden war. Schräg, oder? Ganz nebenbei warten hier zwei Wochen GZSZ. Unser Leben hat eine Wendung bekommen, die das Attribut „jäh“ nicht mehr verdient. Und es sollte noch einer draufgesetzt werden. Montagmorgen kam die SMS: „Training mit Sensei 10 bis 13 Uhr, 15 bis 19 Uhr danach Karate. Erscheinen Sie, sonst weinen Sie!“ Wir werden hier nicht an Grenzen getrieben, sondern weit darüber hinaus. Neunzehn Uhr. Ich habe beim Embu vor unserem Chef wohl ein bisserle richtig gemacht. Er rief mich zu sich und verlangte mein Holzschwert. Er legte es zur Seite, nahm sein Schwert ab und gab es mir. Bis er für mich das Richtige in Japan finden würde, darf ich zum Training das Schwert des Großmeisters führen. Cherie hatte unter dem Applaus der anderen Tränen in den Augen und ich kämpfte mit dem vierundzwanzig Kilogramm schweren Stein in meinem Hals, der gerade begonnen hatte, die ersten Ecken abzuschleifen. Cherie ist gestern heim gefahren. Ich bin geflogen…