Mal ein Test
Hallo, liebe Gemeinde.Ich habe mich ja in diese Gruppe gedrängt, um mich literarisch abkanzeln zu lassen. Normalerweise schreibe ich längere Texte, die Zeit (zum Lesen) benötigen, die sicher auch vor Stilblüten strotzen und sonst noch jede Menge Kritikpunkte aufweisen. Wenn sich jemand die Mühe machen würde, mir Feedback zu geben, wäre ich dankbar. Das folgende Ding ist schon mal deutlich länger als mein Einstand, daher "serviere" ich es häppchenweise. Ich freue mich über jeden Kommentar (vor allem über die vermeintlich Negativen) und bemühe mich, die Veröffentlichung ans allgemeine Interesse anzupassen.
Vielen Dank vorab.
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Das Waldhotel
Bald hatte ich auch diese Strecke geschafft: 628 Kilometer Autobahn, an einem Sonntag im August. Immerhin: Ferienzeit, wenig Verkehr. Immerhin: Sonntag, kaum LKWs. Trotzdem bedeuten 628 Kilometer in einem Stück so etwas wie einen ganzen Arbeitstag. In meinem Alter zumindest. Laut Navi fehlen mir noch sechzehn Kilometer bis zum endgültigen Ziel, einem Hotel, in dem ich bisher noch nicht gewesen bin.
Es ist ein neuer Kunde und der hat ein mir unbekanntes Hotel gebucht. Ich zähle inzwischen die Minuten. Mit etwas Glück gibt es dort eine Sauna, ich habe leider verpasst, mich vorher im Internet zu informieren. Ich sehe auf die Uhr: 19:38. Voraussichtliche Ankunftszeit: 19:52. Ich muss mich noch unbedingt intensiv entspannen, um die Erlebnisse dieser Fahrt zu vergessen: Drei Notbremsungen, Sonntags schleichen die Tagesausflügler auf der linken Spur, oft genug durch irgendwelche Umstände verunsichert, die ich gar nicht mehr wahr nehme, daher habe ich mehrmals mit „Linksklebern“ Ärger gehabt, weil ich sie rechts überholt habe – die Folge: Lichthupen, Drohgebärden, Stinkefinger. Das schlägt aufs Gemüt.
19:42 Uhr und noch sieben Kilometer. Dann plötzlich die Anweisung der elektronischen Frauenstimme, die Bundesstraße zu verlassen. Ich bremse und schaue mich um: Das ist keine Straße, das ist ein besserer Waldweg! Zum Glück ist niemand hinter mir, ich biege ab und fahre Rechts ran: Da kann etwas nicht stimmen. Ich zoome die Karte raus, doch optisch passt alles: Das Ziel liegt mitten in einem grünen Fleck und soll noch 6,7 Kilometer entfernt sein. Voraussichtliche Ankunftszeit: 19:54 Uhr. Also fahre ich wieder an, langsam, denn die Buckelpiste, die zunächst am Waldrand entlangführt, ist nicht breit genug für zwei PKW. Wie soll man hier auf Gegenverkehr reagieren?
Nach etwas über fünfhundert Metern dann eine Ausweichbucht, die mich beruhigt. Als der Reststreckenzähler auf 4,9 Kilometer steht, windet sich der asphaltierte Feldweg vollends in den Wald hinein, nun stehen Bäume auf beiden Seiten, so weit das Auge reicht. Ich werde noch langsamer: Ich muss auf meine Stoßdämpfer Rücksicht nehmen. Die Strecke zieht sich. Endlich eine lange Rechtskurve, dann kommt das Hotel in mein Blickfeld. Aus der Ferne sieht es gar nicht so schlimm aus: Scheint ein gemütliches, altes Fachwerkhaus zu sein, heimelig schmiegt es sich in zwischen die dichten Bäume und Sträucher.
Als ich näher komme, beginne ich aber zu zweifeln: Der „Parkplatz“ ist eine geschotterte Lichtung, doch was soll´s? Ich bin hier für die nächsten drei Nächte gebucht und mein Kunde wird wissen, was er tut. Ich komme zum Stehen, stelle den Motor ab, steige aus: Die Luft ist frisch und vital, es kreischt, trällert und fiept aus allen Richtungen und die drückende Hitze ist hier unter den Bäumen auch besser zu ertragen.
Ich blicke zum Gebäude hinüber und bemühe mich um Zuversicht: Das Haus hat Charakter, sicher, aber ich erkenne auch den fortschreitenden Verfall. Ob es hier eine Sauna gibt?
Die vordere Tür hat zwei Flügel, nichts geht automatisch und ich muss Kraft aufwenden, um sie zu öffnen. Ich schiebe mich und meinen Koffer und die zwei Taschen in den engen Gang, der zum Tresen führt. Die Luft steht in dem alten Haus. Irgendwo aus dem Dunkel des weitläufigen Gebäudes dringen Geräuschfetzen an mein Ohr, die mir wie ein weibliches Kreischen erscheinen wollen, aber da draußen auf dem so genannten Parkplatz steht allein mein Wagen – also unwahrscheinlich, dass es einen Haufen Gäste geben könnte, der da ungeniert feiert – eher wird es ein Scharnier sein, das lange nicht geölt wurde.
Am verwaisten Empfangstresen steht das gewohnte Schild. Wer will in dieser Abgeschiedenheit auch mehr Personal als nötig einsetzen? Immerhin sollten Restaurant und Küche besetzt sein, das war eine Bedingung, die ich mit dem Kunden im Vorfeld geklärt hatte: Nach 628 plus 16 Kilometern darf es durchaus warmes Essen sein, und zwar in genau dem Haus, in dem ich auch nächtigen werde.
Ich schlage auf die Klingel, so wie es das abgewetzte Messing-Schild empfiehlt und das heisere „Pling“ hallt durch das Gemäuer. Tatsächlich muss ich nicht lange warten: Aus dem Dunkel des Ganges schält sich ein Schatten, die Zwischentür wird aufgeworfen und ein großer, bulliger Mann in der Berufskleidung eines Metzgers walzt zum Tresen. Ich warte auf irgendeine Art von Begrüßung, werde aber enttäuscht. Er sieht mich beinahe böse an, vielleicht sind es aber auch nur seine äußerst dichten, schwarzen Augenbrauen, die diesen Eindruck erwecken. Er lässt sich keuchend hinter dem Tresen nieder, wischt sich einen Schweißtropfen von der Stirn, schlägt eine Kladde auf und bellt mir das Wort „Name?“ entgegen.
Ich atme durch. Gut, das blonde, attraktive und sehr gut geschulte Mädchen, das üblicherweise diese Arbeit macht, hat gerade etwas anderes zu tun oder sich bei diesem Wetter frei genommen. Nun empfängt mich ausnahmsweise der Küchenchef. Das darf durchaus auch einmal geschehen.
„Stein“ sage ich.
Er runzelt die Stirn, blättert hektisch in diesem Anachronismus von einem Terminplaner herum, schüttelt den Kopf und schlägt am Ende die flache Hand auf die Seiten, dass ich beinahe vor Schreck zusammenfahre. Seine Stimme ist ein einziger Vorwurf.
„Hab ich hier nicht.“
„Sehen sie mal unter Wagner nach…“
Ich kenne das ja: Da wird am Telefon reserviert, Vor- und Nachname vertauscht…
„Ach, warum sagen sie das nicht gleich?“
Seine Stimme ist seltsam versöhnlich geworden, beinahe weich. Nicht, dass mich das beruhigt: Der ganze Kerl hat eine physische Präsenz, die einem Angst machen kann. Mit diesem angestrengt milden Tonfall wirkt er noch gefährlicher als vorher. Er händigt mir den Schlüssel aus, lässt mich die Anmeldung unterschreiben, erklärt mir die Sache mit dem WLAN, den Frühstückszeiten und deutet den Gang, aus dem er gekommen ist.
„Wann kommen sie Essen? Nur wegen der nötigen Vorbereitungen!
Ich kann nicht anders, ich schließe die Augen und atme. Ein, aus, ein, aus. Sieben Mal, sehr ruhig. Dann blicke ich ihn an und bemühe mich um ein Lächeln.
„In fünfzehn Minuten. Wo ist das Restaurant?“
„Hinten!“
Er deutet mit dem Daumen über seinen Rücken. Dann fährt er hoch, dreht sich wortlos um und hetzt auf die Zwischentür zu. Bevor er durch diese verschwindet wendet er sich noch einmal zu mir, fixiert mich eindringlich.
„Aber nicht verspäten!“
Nein, ich würde es nicht wagen. Jetzt nicht mehr. Ich weiß aber auch gerade nicht, ob ich mich auf das Essen freuen soll.
*
Siebzehn Minuten später im Restaurant bin ich der einzige Gast. Es ist auch nur ein Tisch eingedeckt, immerhin mit zwei Bestecken – echtes Silber, vermute ich – und einer Batterie an Gläsern. Das Aroma im Raum kündet davon, dass hier nichts in altem Öl gesotten oder sonst ein Frevel an guten Nahrungsmitteln begangen wird.
Ich entspannte mich gerade, als ich eine Bewegung in meinen Augenwinkeln wahrnehme: Die Bedienung. Blond. Gut gewachsen, nicht mehr die Jüngste, aber ein adrettes Gesichtchen. Die hätte mich eigentlich einchecken sollen, dann wäre meine Ankunft hier etwas freudvoller verlaufen. Aber nun ist sie ja für mich da. Ich sehe hinauf zu ihr, sie scheint sich mühsam zu beherrschen. Die Augen sind rotgerändert, durch ihr dezentes Make-Up laufen schlecht verwischte Schlieren über beide Wangen: Das müssen Tränen gewesen sein, und das ist nicht lange her. Sie presst die Lippen zusammen und bemüht sich um ein Lächeln, als sie mir die Karte reicht.
„Darf es schon etwas zu Trinken sein? Ein Aperitif vielleicht?“
Sie spricht leise und ihre Stimme zittert etwas. Ich blicke an ihr hinab: Ihre Kleidung kommt mir derangiert vor. In dem glatten, schwarzen Rock, der knapp über den Knien endet, der weißen Seidenbluse, den schwarzen Nylons und flachen Pumps derselben Farbe wirkt sie mehr wie die Managerin des Hotels denn wie eine Servierkraft, dennoch, etwas stimmt nicht an dem Outfit: Die äußerst leichte Bluse sitzt schief und der Rock beult an der Seite etwas aus. Der Anblick wirkt, als habe jemand vor Kurzem versucht, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen und sie hatte bis jetzt keine Zeit, sich wieder anständig herzurichten.
(tbc.)