Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 4)
KREUZWORTPARTNERBRAVO
Ich bin so müde. Heute musste ich mich echt zwingen, die paar Schritte durch die Nacht zu meiner Stammkneipe um die Ecke zu gehen. Zumal es draußen unangenehm kalt ist. So feucht und neblig, knapp unter Null. Lieber knackigen Frost bei trockener Luft, damit kommen meine alten Gelenke und ich besser zurecht.
Doch ich muss mal raus. Nach ein paar Tagen im fernen Hamburg vermisse ich meine Theke, mitsamt dem stummen Olli und Helga, der beste Wirtin der Welt.
Ich betrete den Schankraum und mir wird klar, dass heute noch viel mehr Leute zu müde sind, oder den Weg durch die Kälte scheuen. Olli hockt an seinem Stammplatz und starrt in eine Zeitschrift. Helga trocknet gelangweilt Gläser ab und räumt sie in den Hängeschrank hinter der Theke.
„Moin, moin, meen Deern. Gibbet noch en Martiniii, gerüüührt, aber nicht geschüddelt?“ scherze ich.
„Oha, James Bond war auf Mission in Hamburg“, antwortet Helga, „also ein Hefe vom Fass, wie immer?“
„Jo!“.
Ich blicke zu Olli und gebe ihm zur Begrüßung einen Klaps auf die Schulter. Nur nicht ansprechen. Er ist in ein Kreuzworträtsel vertieft und kaut auf dem Kugelschreiber.
„Nicht monogam liebend“, brummt Olli nachdenklich.
„Hä?“
„… mit elf Buchstaben.“
„Multiple Persönlichkeit – ist aber zu lang“, rate ich mit.
„Polyamorös“, kontert Helga.
Mir klappt der Kiefer nach unten.
„Sapperlot, was Du alles weißt, Helga!“ staune ich.
„Ganz im Vertrauen, Peter: Es gibt Männer, die sind echte Sahnestückchen, und es gibt Typen, bei denen zieht sich mein linker, schwarzer Zehennagel nach oben. Also warum sollte Frau sich auf einen Typen versteifen?“
Olli räuspert sich verlegen. Wird der etwa rot?
In der Tat, ich wusste gar nichts über Helgas Liebesleben. Ich wusste nur, sie ist seit ich hier ein und aus gehe, Single und schmeißt den Laden alleine. Ich will mir jetzt aber nicht vorstellen, wie sich das Liebesleben bei der beleibten Endfünziger-Dame abspielt und wer da schon alles Hahn im Korb war. Sicher, als sie jung war, hatten sich die testosterongeschwängerten Jungs im Armdrücken gemessen, um einen Kuss von ihr zu bekommen. Oder gab es damals schon mehr als harmlose Knutschereien für den Sieger? Ich war leider nie ein Armdrücker, sondern mehr der Bankdrücker. Wer weiß, was mir damals alles entging.
„P-O-L-Y-A-M-O-R-O-E-S - passt!”, freut sich der stumme Olli,
„Und wie heißt die Zuchtmeisterin?“
„Domina“, lächelt Helga nachsichtig.
Stumm vor Staunen starre ich Helga an.
„Mann, der seiner Frauen beim Sex mit anderen zusieht? Sieben Buchstaben!“
„Cuckold – was sonst?“, antwortet Helga cool.
Ich verschlucke mich an meinem Bier und raunze Helga an:
„Dann weißt Du sicher auch, was Kaviar ist?“ will ich sie provozieren.
„Ja schon, aber so was nehme ich jetzt nicht in den Mund“, antwortet sie und stellt ein weiteres Glas gelangweilt in das Regal.
„Eins noch, Helga“, höre ich Olli fragen:
„Kurzwort für Ledersex?“
„BDSM“ kommt es von Helga wie aus der Pistole geschossen.
Das ist zu viel für mich. Ich will nur noch mein Bier runterwuppen und nach Hause gehen, um mir die aufgezeichnete Folge von „Mord mit Aussicht“ reinzuziehen, in der auch Jacques Palminger, Rocko Schamoni und Heinz Strunk als die Band „Fraktus“ mitspielen. Mein Hamburger Kumpel hat mir wärmstens empfohlen, diese Folge nicht zu verpassen. Sie gammelt schon seit Wochen auf meiner Festplatte herum. Vielleicht sollte ich öfter zuhause fernsehen, anstatt mir hier an der Theke die Hirnzellen wegzusaufen.
Doch bevor ich die Zeche zahle, will ich noch etwas wissen:
Sach ma, Olli. Was für ein Magazin ist das eigentlich mit diesem merkwürdigen Kreuzworträtsel?“
„Kreuz – guter Tipp. Danke Peter!“
Und wieder buchstabiert er:
„A-N-D-R-E-A-S-K-R-E-U-Z“
Ich werde zum ersten Mal seit langem ungeduldig mit Olli:
„Los sag schon, wie heißt das Heft?“
Er blättert umständlich zum Titelblatt zurück und hält es mir entgegen. Ein weißes, in Quadraten gerastertes Herz prangt auf dem Titelblatt, daneben steht in weißen Buchstaben „JOYclub-MAGAZIN“.
Das Titelfoto zeigt eine mollige Frau in glänzendem Lack- und Leder-Outfit, die merkwürdig verschnürt in dicken Tauen an der Decke einer kalt wirkenden Industriehalle hängt. Schlecht fotografiert, nur ein Aufsteckblitz auf der Kamera erhellt die Szene. Für glänzende Oberflächen sollte der Foto-Profi eigentlich große Leuchtflächen benutzen. Der Blick der Frau wirkt gequält. Wie auch sonst, mit einer umgeschnallten Clownsnase im Mund. Oder was war dieser rote Ball zwischen ihren aufgeblähten Backen für ein Ding?
Mein Lachen kommt von Herzen. Oder nein – eher aus dem Bauch heraus.
„Olli, Typen wie du, wir in unserem Alter, sollten eigentlich die Rentner-Bravo lesen und uns nicht in einer Partnerbörse verausgaben.“
Olli schweigt. Helga schaut mich fragend an. Ich reiche ihr mein leeres Weizenglas.
„Schon gut, Helga. Lass die Luft raus!“