Traumnovelle (Sequel)
Ich war auf Reisen. Allein, in einer mir bis dahin noch unbekannten Großstadt. Eine ungewohnte Umgebung versetzt mich stets in eine besondere Stimmung. Als wäre ein neues Territorium ein Garant für Aufregung, als böten sich dort neue, andere Möglichkeiten. Der Tag aber verlief ereignislos. Nicht nur deswegen zog es mich abends hinaus, raus dem stillen, sterilen Hotelzimmer.
Auf dem Hinflug hatte ich begonnen, Schnitzlers
Traumnovelle zum ersten Mal seit meiner Schulzeit wieder zu lesen. Nun saß ich in in der Abenddämmerung einem charmanten kleinen Straßencafé und genoss bei einem Glas Wein jede Zeile erneut. Wie damals inspirierte mich die Lektüre. Als ich das dünne Büchlein schließlich zuklappte, empfand ich etwas, was sich wohl am ehesten als lustvolle Unruhe bezeichnen ließe. Also begann ich, durch die herbstlichen Straßen der Metropole zu streifen wie Fridolin, der Held der Geschichte, vor fast hundert Jahren durch Wien.
Meine forschen Schritte müssen auf die wenigen anderen nächtlichen Spaziergänger gewirkt haben, als sei ich in Eile, als liefe ich Gefahr, eine Verabredung zu verpassen, den Beginn eines Theaterstücks, eine Bahn. Aber ich war zumindest im geografischen Sinne ziellos, steuerte ich doch keinen bestimmten Ort an. Die Entschlossenheit meiner Bewegungen war unbewusst, als könnte ich damit forcieren, etwas Anregendes, Erregendes, Aufregendes zu erleben.
Nach einigen Blocks bog ich willkürlich in eine Seitenstraße ein und entfernte mich so von den aufwendig dekorierten beleuchteten Schaufenstern der Hauptstraße. Abseits davon, so meine Hoffnung, würde ich am ehesten fündig werden – auch wenn mir selbst noch immer unklar war, wonach ich konkret suchte.
Ich passierte eine Lokalität, die als
Erwachsenenkino beworben war. Ein blindes Fenster gab den Blick auf einen schmutzigen roten Vorhang frei, an dem einige Pappschilder befestigt waren. Die hiesigen Gesetze verboten offenbar die explizite öffentliche Zurschaustellung dessen, was sich im Inneren zutrug. Die Betreiber behalfen sich mit unbeholfenen Slogans in kreativer Orthografie.
Noch nie hatte ich ein derartiges Etablissement betreten. Meine Vorstellung von Erotik schien mit Derartigem schlichtweg inkompatibel zu sein. Dennoch hatte das Verruchte solcher Örtlichkeiten stets eine unleugbare Faszination, ja, einen Reiz auf mich ausgeübt. Dieser Umstand, gepaart mit der abenteuerlustigen Verfassung, in der ich mich befand, veranlasste mich, meine Schritte zu verlangsamen und schließlich sogar an- und innezuhalten. Ich wandte ich mich um und starrte nachdenklich auf das flackernde, grelle Rot des Eingangsschildes. Was hatte ich zu verlieren? Die Wahrscheinlichkeit, in dieser Stadt, an diesem Ort eine bekannte Person anzutreffen, war verschwindend gering. Und auch eine schlechte Erfahrung wäre immer noch eine Erfahrung. Mich würde kein Autor in erotische Verwicklungen stürzen, Fridolinsche Erlebnisse wären mir in dieser Nacht vergönnt – soviel war sicher. Ich musste selbst aktiv werden und durfte mir hinsichtlich der Qualität möglicher Erlebnisse keiner Illusion hingeben. Ich trat ein... (to be continued)