Nordirland -Mein ganz persönlicher Erfahrungsbericht
Mein erstes " Rendevouz" mit der grünen Insel da oben mitten in der Nordsee erlebte ich als 18 Jähriger, im Jahr 2001. Damals hielt ich mich drei Wochen in Nordirland auf. Im Zuge eines ganz besonderen All Inclusive Urlaubs. Während eines kurzfristigen Freiwilligen Dienstes in Belfast. (Workcamp). Zusammen in einer Gruppe mit anderen Jugendlichen engagierte ich mich im Landschaftsschutz, Renaturierung. Landschaftspflege, leichten Landschaftsgärtnerischen Aufgaben und dem Bau von Landschaftsschutzmaßnahmen. Zusammen mit einer einheimischen Natur und Landschaftsschutzeinrichtung. Das besondere an Workcamps ist die direkte Zusammenarbeit und Austausch mit den Einheimischen, man teilt den Alltag mit ihnen. Dadurch lernt man das Land nicht aus der Touristenperspektive kennen, sondern erfährt Hautnah und Mittendrin den Alltag der Einheimischen, ihre Sorgen, Nöte, Freuden und Erfahrungen, versteht die Denkweisen und Erfahrungen der Leute. Damals 2001 waren die Troubles. also der Nordirlandkonflikt erst ein paar Jahre zuvor beendet worden. In Belfast herrschte Frieden. Doch man sah noch vereinzelt die Narben des Konflikts. Manche Häuser trugen noch sichtbare Spuren der Vergangenen Unruhen. (Starke Brandspuren an Hausfassaden, ausgebrannte Dachstühle von Gebäuden. Aufgesprühte schriftliche Drohungen und Symbole/ Wappen der verfeindeten Gruppen, die sich Jahrelang bekriegt hatten. Gedenktafeln mit Namen der Menschen die im jeweiligen Wohngebiet während der Troubles zu Tode kamen. Allerdings nur in Siedlungsstraßen oder Wohngebieten der Stadt. Im Zentrum von Belfast entlang der Touristen Hotspots hingegen erstrahlte alles in neuem Glanz. Natürlich führte mich der Aufenthalt in Belfast des öfteren an den Peace Walls entlang. Sie wirkten das erste Mal recht beängstigend aber auch Respekt einflößend auf mich. Vor allem als man mir die Funktion und Notwendigkeit der Peace Walls erklärte. Das legte sich im Laufe des Aufenthaltes, je öfter ich an den Peace Walls vorbei kam. In vielen der älteren der Bewohner Belfasts war der Nordirland Konflikt mit all seinen Auswurzelungen innerlich noch präsent. Bei der jüngeren Bevölkerung die z.T noch während der Troubles geboren wurden und aufwuchsen stellte ich persönlich eine gewisse Erleichterung fest, sie waren froh darüber dass Frieden war und man sich entspannt in der Stadt bewegen konnte. Viele der Mitarbeiter der Landschaftschaftsschutzeinrichtung erzählten in den Pausen von ihrer Kindheit während des Nordirlandkonflikts, der eine oder andere rang nach Fassung wenn er erzählte. Denn dieser Bürgerkriegsartige Konflikt teilte auch Familien trennte Paare, viele verloren Angehörige und Freunde. Zerstörte Träume und Pläne der Menschen, rissen sie ins Unglück.
Was mir allerdings sehr positiv ins Augenmerk fiel, war ein unerschütterlicher Optimismus der Leute, vor allem die Musikalität. Der unkomplizierte, bodenständige und Hilfsbereite Charakter der Menschen. In Belfast näherten sich die ehemals tief verfeindeten Gruppen schon erfolgreich einander an.
Im ein paar Kilometer entfernten Londonderry/ Derry war man noch nicht so weit in Sachen Annäherung. Dort, so hatte ich persönlich den Eindruck, die Luft dort flimmere nach wie vor noch und ein kleiner Funke genüge, um den erkalteten und eigedämmten Hass wieder aufzuheizen. Im Laufe dieser Reise kam ich an einige Plätze und Gegenden in Nordirland, unter anderem zum Giant`s Causeway, Portrush, Bangor, Downpatrick, wanderte auf einen Berg dessen Namen ich leider vergessen habe, schwankte über die Carrick a Rede Rope Bridge irgendwo zwischen Ballycastle und Ballintoy unmittelbar nach einem Whiskey Tasting in einer Destillerie. Alles in Allem ein sehr abwechlungsreicher Urlaub mit Lerneffekt und Horizonterweiterung mit Ansichtenwechsel.
Das Thema Nordirland ließ mich in den Jahren danach nie richtig los. Es beschäftigte mich weiter.
2005 als ich Zivildienst ableistete, floss die Materie auf mich zurück. Ich wurde zu einem 1 Wöchigen Lehrgang in die Lehreinrichtung für Zivildienstleistende“ abgeordnet. Zur Einführung und Belehrung über die Rechte und Pflichten für den Zivi während seiner Zivildienstzeit. Als Lehrbeispiel wie Konflikte entstehen wurde zu meiner Verwunderung aber auch Freude der Nordirlandkonflikt behandelt. Thematisiert wurde hierbei die Begebenheit wie Hass ensteht und als jüngstes Beispiel der NI-Konflikt beleuchtet. Hierbei konnte ich meine Praxiserfahrung ausspielen und zur Geltung bringen, zur Verwunderung der Lehrgangsleiterin auch Fakten auf den Tisch legen die nicht im Manuskript standen.
2017 kehrte ich nach Nordirland zurück. Ich hatte eine Gruppen Busrundreise gebucht durch Nordirland und Irland. Der erste Tag der Rundreise führte nach Belfast. Aber wie es so ist bei einer Pauschalreise, standen nur die touristischen Höhepunkte auf dem Programm. Also das Rathaus von Belfast, oder das Titanic Museum. Das Interessierte mich nur beiläufig. Mich durchströmte ein Anfall von Freude im Hafengelände von Belfast, nach dem Besuch des Titanic Museums. Denn der Reisebus musste wenden um wieder auf die Stadtautobahn zu kommen. Hierzu steuerte der Busfahrer auf dem riesigen weitläufigen Hafengelände einen alten Fabrikhof an. Das Gebäude darauf kannte ich. Es war die ehemalige Baustelle die wir damals bearbeiteten ehe wir in den Kindergarten zur Arbeit abgezogen wurden, damals gleich in den ersten Tagen vom Workcamp. Der Busfahrer musste eine Weile Kurbeln und rangieren, so blieb mir Zeit die alte Wirkungsstätte zu betrachten. Mir fiel auf, dass das Gebäude inzwischen verlassen und fast verfallen war, und der Vorgarten den wir Jahre vorher mühevoll angelegt hatten war nicht mehr da. Zugewuchert und zum Teil als Lagerstätte für alte Reifen genutzt, Das Buschwerk das wir damals gepflanzt hatten völlig verwuchert. Es tat mir weh als ich sah was ich sah. Dann tuckerte der Bus weiter in die Falls Road und bog dann in die Shankyll Road ab. In Belfast zwei Namhafte mit Blutgetränkte Straßennamen. Den während der Troubles spielten sich die Straßenschlachten hier ab. Zu Hochzeiten des Nordirlandkonflikts. Als Höhepunkt fuhr der Bus entlang der Peacewalls in den Seitenstraßen und Wohngebieten der Shankyl und Falls Road und hielt zum Foto Stop. Während der Bus an den Peacewalls entlang fuhr und der Reiseleiter die Funktion und Begebenheit der Peaceawalls erklärte, verstummten die Gespräche im Bus. Während des Foto Stopps zwischen den Walls liefen meine Mitreisenden Schockgefrostet durch die Straßen. Auch bei der Weiterfahrt dauerte es lange bis sie die Sprache wieder gefunden hatten. Mir selbst erschienen die Peacewalls nicht so bedrohlich, denn im Vergleich zur Zeit des Workcamps erschienen sie in einer freundlichen Optik. Kunstvolle Bemalungen und Niveauvolle Graffitis zieren die Mauern, oder Gemälde die einen Abschnitt aus der Geschichte Nordirlands darstellen oder Graffiti Portraits lokaler Berühmtheiten. Auf vielen Mauern ist der Stacheldraht verschwunden und in den Mauer oder Zaunlücken stehen keine bewaffneten Soldaten mehr. Ich freute mich über den friedlichen Anblick. Allerdings nicht alle meiner Mitreisenden. Sie waren völlig perplex und geschockt darüber, dass es in Europa heut zutage noch Städte gibt die intern durch eine Mauer oder Mauern geteilt oder Straßen separiert sind. Sie verstanden nur schwer den Sinn der Peacewalls. Z.B dass Links einer Peacewall ein protestantisches Wohngebiet und rechts der Mauer eine katholisches angesiedelt ist. Auch viel Fassaden in der entlang der Straßen und die ich Jahre zuvor schon mal entlang fuhr waren im Laufe der letzten Jahre saniert und hergerichtet worden stellte ich fest. Man sah keine Spur mehr der ehemaligen Auseinandersetzungen. Keine Brand und Schmauchspuren mehr an den Fassaden, keine ausgebrannten Gebäude. Eine friedliche Idylle. Was mir beim Kurzaufenthalt in Belfast jedoch auffiel, waren die vielen Gedenktafeln die an die Todesopfer während der Troubles erinnerten oder die Zahlreichen Mahntafeln an den Kreuzungen zu den Wohngebieten. Die noch immer nicht entfernt waren. Einen Tag später besichtigten wir London/Derry im Schnellverfahren. War Schade. Wir erfuhren dass, die Bevölkerung der Stadt nach wie vor miteinander verfeindet und von einem friedlichen Vorurteilsfreien Miteinander noch sehr weit entfernt sei. Im Gegensatz zu Belfast. Auch in London/Derry gibt es Schutzbauten wie die Peacewalls, Meterhohe stabile Brandsichere Metallgitter mit z.T Splitterschutzeinbauten. Entlang der Verbindungstraßen zwischen den Wohnvierteln. Kurioserweise jedoch ist die Rivalität zwischen der katholischen und Protestantischen Einwohnerschaft der Stadt ausgehebelt wenn es um Fußball geht. Während eines Spiels im Stadion herrscht Einigkeit. Aber nur bis zum Abpfiff. Leider erfüllen die genannten Schutzbauten in (London) Derry ihre Funktion hin und wieder. Erfuhren wir.
Aktuell ,2022 grasiert in Nordirland nicht nur der Corona Virus. Auch die Auswirkungen des Brexit bringt die Bevölkerung in Unruhe. Dieser Umbruch in alte Vergangene Zeiten. Das Teilweise Reaktivieren alter Grenzen zwischen Irland und Nordirland. Ich bin gespannt wo diese Neuerung oder der vollzogene EU Austritt Großbritanniens noch hinführen wird und was dieses Absurdum in der politischen Lage Nordirlands nach sich zieht. Denn der mühevolle erarbeitete Frieden in Nordirland sollte nicht ins Wackeln geraten, es wäre Schade um alles bisher erreichte. Denn meine persönliche Befürchtung liegt darin, dass sich ein neuer Nordirlandkonflikt entwickelt. Nicht aus den Gründen wie er einst begann, sondern aus Argumenten die gegen das Brexit Abkommen sprechen, an welchem Nordirland keinen Einfluss erheben geschweige denn mitreden durfte. Das spaltet die kleine Autonome Republik im Norden Irlands zusehends.
Leider erschwert mir die globale Corona-Lage den Wunsch und die Möglichkeit noch einmal dieses Land zu bereisen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.