Über "Livestreams" (Joy-Rundgänge V)
Im Zeitalter der Pandemie erfahren wir: der digitale Trend ist unser Freund. Prompt offeriert auch JOYclub seinerso plötzlich inaktiv gestellten Gefolgschaft ein neues Spielzeug: Den Livestream.Wir wandeln auf den Spuren von xhamster und Co. Beim Sex in the Cloud vereinen die Protagonisten nicht nur sich, sondern auch in sich Akteur und Regisseur. Programmchef gibt das Publikum, das mittels Paprikas, Dildos, Raketen und anderen herzigen Assecoires fortwährendes Da Capo postuliert. Follower mit erweitertem Wortschatz kommentieren im Chat („Spritz voll!“). Allzu ausfällige oder investigative Zeitgenossen („Sind Sabines Brüste echt?“) straft der befreundete Moderator („Peter macht den Abflug“).
Das alles zum - nicht zuletzt - finanziellen Nutzen der Dar- wie des Anbieters.
Exhibitionistisch angelegte Zeitgenoss:innen finden eine weite Spielwiese. Vorzugsweise zu späteren Abendzeit und am Wochenende entdeckt der erregungswillige Voyeur diverses frivoles Treiben, stehende Phalli, freigelegte Spalten, gefüllt mit elektronischen Tools oder dem Schwanz des eigens eingeladenen Hausfreundes.
Dazu zahlreiche einsame Herren („Dicke Eier“, „El Toro“), die – hingegossen auf dem heimischen Sofa oder dem fremdem Hotelbett – Gemächt und Bauch mehr oder weniger komfortabel vor das Objektiv schieben und mittels mehrminütiger „Handjobs“ um spontanen weiblichen Zuspruch bitten („suche gieriges Fickstück“).
Aber, welche Überraschung: Wir beobachten auch einen unerwarteten Hang zur neuen sexpositiven Nachdenklichkeit. Es herrscht Dialog statt Penetration, Talk- statt Liveshow, Stuhlkreis statt Mattensex, Konversation statt Kopulation.
So laden Sie (Outfit: lasziver Einteiler) und Er (T-Shirt und Slip) zur öffentlichen Paartherapie. Es setzt intime Einblicke in den Ehealltag: ein Duo aus Oberösterreich enthüllt eheliche Spannungen („Du bist so ein Oarsch“), M/F aus Sachsen sieht die Gesundheit des Vorstehhundes gefährdet, Verheiratete aus Süddeutschland erinnern Erfahrungen des jüngsten Campingurlaubes („Die Duschen!“). Wir seufzen über COVID-19, begleiten die abendliche Nahrungsaufnahme, beobachten Brettspiel-runden, und finden dto. dass „Kurt“ abnehmen sollte.
Dazu konsumieren beide größere Mengen an Alkoholika (Er: Weissbier, Sie: Sekt) und rauchen Kette. Heiterkeit ist nicht gefragt, es herrscht grimmige Konzentration. Zuweilen zieht man/frau sich zu „Rauchpausen“ zurück. Dann offenbart sich dem Beobachter ein Stillleben aus wahlweise Bad Godesberger Barock, XXXLutz-Sofawelten oder dem rustikalen Charme eines Partyraumes.
Solodamen laden zum „Talk“, „Kaffee“ und schauen dann mal „was passiert“. Klatsch-genosse:innen erhalten Lebenseinsichten, Literaturvorlieben, oder eine Verkaufsshow für Dildos. Ambitionierte Schriftstellerinnen tragen Eigenverfasstes vor, inhaltlich angesiedelt irgendwo zwischen Anais Nin, Rudolf Steiner und Erich Fried.
Zuweilen darf eine/r mitreden („Teamsstream “). Wobei Träger des „y“-Chromosoms nicht selten Defizite in dualer Konversation offenbaren und sich auf simple Verstärkung des Gesagten konzentrieren („finde ich auch“, „Dasselbe ist mir passiert“). Was auch daran liegen mag, das begleitende Kommunikation und wachsende Erektion nur schwer in Einklang zu bringen sind.
JOYclub zeigt sich mit der gruppendynamischen Fusion seiner Gefolgschaft im Reich der Bits und Bytes zufrieden. „Lass die Routinen hinter Dir“ - „Finde Menschen, die in ihrem Körper zu Hause sind und ihre Sexualität selbstbewusst ausleben“. Auch weniger erektiv gestimmte Professionals sehen Vorteile: „Die Echtzeitinteraktion schafft eine tiefe Verbindung zwischen den Zuschauern und dem Moderator“, freut sich livespotting.com.
Na dann.
„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, seufzte schon Carly Fiorina, einst CEO von Hewlett-Packard.
