Sperrmüll
„Ach
@*********zier, es ist nicht immer leicht, Deine Geschichten zu mögen, schon gar nicht in dieser schönen Welt des Scheins...
...Deine kafkaesk anmutenden Erzählungen dagegen verweigern uns hin und wieder das glückliche Ende. Das macht sie nicht zum Kassenschlager, denn die traurigen und böse ausgehenden Finale schreibt ja bereits das Leben in Hülle und Fülle. Die mag man nicht lesen.
Das schrieb mir vor einiger Zeit eine gute, alte Freundin als Kommentar, an anderer Stelle, unter einen der letzten Texte. Ja, sage ich, Du hast recht. Es läuft im Leben nicht immer alles so, dass es für jedermanns Glück reicht.
Das Schicksal sucht seine eigenen Wege. Die wiederum zwingen oft freundliche, gar liebevolle oder auch bösartige Begleiter an der Weggabelung zurückzubleiben, während man selbst von Mächten, denen man nicht gebietet, unerbittlich nach vorne gezogen wird.
Was bleibt ist Bedauern, Trauer über Verlorenes, Bitterkeit, bereute Fehler und der Blick nach vorne. Aber auch Erinnerungen, - gute, wie böse -, denn die gehen, im Unterschied zu uns Menschen, jeden Weg mit. Bis zum Ende. Vielleicht, sagt der Philosoph in mir, sind sie Deine treuesten Freunde.
Sperrmüll
Hubert starrte mit tränenschweren Augen aus dem Fenster. Der Müllberg vor der Tür wurde zunehmend kleiner. Stück für Stück verschwanden liebgewordene Gegenstände im Schlund des großen Müllautos. Die Luft der Wohnung, in der er den Großteil seines Lebens verbracht hatte, fühlte sich kalt und klamm an. Einen letzten Rundgang noch. Gleich würde der Hausverwalter zur Schlüsselübergabe kommen und dann sollte ihn sein Sohn abholen und ins Heim bringen
Hier, in der Ecke hatte der Baum immer gestanden, von Huberts Frau Christel liebevoll geschmückt. Sein kleiner Bub quiekte fröhlich im Kerzenlicht, freute sich über die Geschenke und der Plattenspieler nudelte „Oh Du fröhliche“. Ivan Rebroffs tiefe Bassstimme klang noch in seinem Ohr.
Er wanderte durch die Räume. Ein Blick in die Küche. Heike fiel ihm ein, seine langjährige Untermieterin, die nach Christels Tod und dem Auszug seines Sohnes für eine Weile das Leben mit ihm geteilt hatte. Der Sommer, als er für sie Marmelade gekocht hatte. Er roch förmlich den Duft der frischen Erdbeeren, der sich mit Heikes Parfum mischte. Vor seinem inneren Auge stand sie wieder da, angelehnt an den Türrahmen in ihrem enganliegenden Sekretärinnenkostüm, mit den Pumps und den hauchfeinen Strapsstrümpfen unter dem engen Rock, während sie das Aroma seiner Marmelade mit leicht geblähten Nasenflügeln einsog. Hubert lächelte.
Weiter schwirrten die Erinnerungen: ein qualmender Backofen, davor seine Frau Christel händeringend, mit Tränen der Verzweiflung in den Augen. Den schwarz verkohlten Truthahn konnte nicht einmal das allmächtige Zentralkomitee der SED mehr retten. Was hatte sie für Klimmzüge unternommen, um den Festtagsbraten bei einem Brandenburger Bauern zu ergattern.
Mit tapsigen, schweren Schritten führte ihn sein Rundgang zum winzigen Kinderzimmer. Sein halbwüchsiger Sohn, der bockig eine Strafarbeit für die Schule schreiben sollte und diese löbliche Tätigkeit mit kräftigen Flüchen untermalte. Weiter, ins Bad, wo die Leine noch über der Sitzbadewanne hing, an der Heike die frisch gewaschenen Strümpfe aufhing. Er konnte das knisternde Garn fast unter seinen Fingern spüren.
Die letzte Station des Rundgangs, das Schlafzimmer. Er fürchtete sich ein wenig vor den Bildern, die sich Bahn brachen und lehnte sich an die Wand. Wenn er nur nicht so schwach auf den Beinen wäre. Ein innerer Zwang veranlasste ihn, die Augen zu schließen und den Widerstand aufzugeben. Er saß wieder am Bett, hielt ihre Hand und lauschte den rasselnden Atemzügen, die von Minute zu Minute schwerer wurden. Christel hatte ihn angefleht, sie zu Hause, in ihrer gewohnten Umgebung sterben zu lassen. Er war diesem Wunsch nachgekommen, aber das dabei erlittene Trauma ließ ihn lange Zeit nicht los. Tränen und Nase liefen, aber Hubert achtete nicht darauf. Der brennende Schmerz in seiner Brust raubte ihm die Kraft und er sackte in seiner Ecke zusammen.
„Eddi mach hinne!“, brüllte einer der beiden Müllmänner. „Wir haben noch genug zu tun!“
„Komm ja schon“, maulte der Andere und warf noch einen Blick auf den Holzrahmen mit dem Familienfoto, bevor er ihn achtlos in die Mulde des Müllfrachters fallen ließ.
„Fertig!“
Aus dem lautstark dudelnden Autoradio, fast übertönt vom brummelnden Dieselmotor klang: