verbindliche Unverbindlichkeit?!
@ galgenvogel
Du meinst, wenn eine recht unverbindliche Sex-Beziehung ausgemacht wurde, ist diese Abmachung verbindlich. Mehr könne man nicht erwarten.
Doch ist im BDSM-Kontext überhaupt eine verbindliche Unverbindlichkeit möglich?
Braucht es da nicht eine andere Kultur?
Oder aber:
Was ist mit "Unverbindlichkeit" wirklich gemeint?
**********urple:
Nicht "Henne oder Ei" sondern "Henne und Ei". Erst wenn die Henne das gelegte Ei auch ausbrütet gehts weiter ...
Genau um dieses Ausbrüten geht es mir.
"Die Vollendung"
Mit Verbindlichkeit hat das Ganze eigentlich bloß indirekt zu tun.
Der eigentliche Knackpunkt ist die Vollendung dessen, was Dom begonnen hat.
Es geht ja nicht bloß um das, was innerhalb einer Session passiert, sondern auch noch um das, was ausgelöst durch die Session in den Tagen danach kommt!
Wenn ein Chirurg sagt, er könne den Blinddarm entfernen und der Patient lässt sich darauf ein, dann haben die beiden eine Abmachung. Blöd wäre dann aber, wenn der Chirurg tatsächlich bloß den Binddarm entfernt und dem Patienten danach Nadel & Faden in die Hand drückt, damit dieser sich selbst zunäht. Wenn er damit alleine nicht klar käme, dann solle er sich doch an jemand anderen wenden. Denn mehr als die Entfernung des Blinddarms sei doch nicht abgesprochen gewesen.
Da wird eine Sache nicht wirklich zu Ende gebracht.
Kommt so in der Realität natürlich nicht vor, da Chirurgen im Rahmen ihrer Ausbildung lernen, dass das Zunähen nach der Blinddarmentfernung dazu gehört. Und wenn sie es nicht selbst tun, dann sorgen sie dafür, dass ein anderer es tut.
Apropos Vereinbahrung und Erwartungshaltung
Ich habe in meiner Einwilligungserklärung zu einer früheren OP nachgelesen: Dass ich gegen Ende der OP wieder zugenäht werde, wurde nie vertraglich vereinbart. Dennoch wäre ich reichlich schockiert gewesen, wenn nicht.
Was passiert im BDSM-Kontext mit der Abmachung, die ganze Beziehungsgeschichte unverbindlich zu halten?
• 1) Wahlweise es bleibt relativ oberflächlich und irgendwie schaal.
• 2) Oder aber auf der einen Seite Doms, die sich durch Subs Verhalten danach (vereinnahmende Bedürftigkeit) belästigt fühlen und auf das Einhalten ihrer Abmachung pochen... und auf der anderen Seite Subs, welche sich "alleine im Regen stehen gelassen" fühlen.
• 3) Oder aber Dom weicht von der ursprünglichen Abmachung ab und kümmert sich.
Variante 3) ist jedoch auch nicht das gelbe vom Ei. Das habe ich als dominanter Part selbst erlebt. Ist einige Jahre her. Sex mit Machtgefälle. Die Praktiken selbst finden so auch im Vanilla statt. Vereinbart war: Ein Wochenende, danach definitiv getrennte Wege. Ich hatte durch diverse Entspannungs- & Trancetechniken einige Blockaden gelockert und ihm wieder zur Potenz verholfen. (seit sieben Jahren psychisch bedingte Impotenz - wie ich im weiteren Verlauf erfuhr.) Nun ja... wenn ein Mensch schlimme Erlebnisse nicht verdauen kann, baut er psychische Blockaden auf. Und wenn es besonders schlimm ist, auch physische. Und wenn es so richtig arg schlimm ist, dann geht es auch an die Potenz... Doch ich war da mehr oder weniger blind hinein gestolpert. Dachte bloß an eine kleine Potenzstörung. Es ließ sich spielend leicht beheben und wir hatten guten Sex. Am Wochenende selbst kam bei ihm auch gar nicht soviel Mist hoch. Kleinste Bröckchen. Quasi die oberste Spitze des Eisbergs. Am Montag danach wurde es jedoch so richtig schlimm...
Also wich ich von unserer ursprünglichen Absprache ab - verknüpft mit der Forderung, dass er sich einen Psychotherapeuten sucht. Ist sonst nicht so meine Art. Doch in diesem Fall forderte ich das sehr eindringlich. Dem stimmte er zu, kam dem jedoch nicht nach. Er war völlig auf mich fokussiert und wollte es bleiben. Nach zwei Wochen gab ich es auf und zog einen harten Schlussstrich. Also ein Ende mit Schrecken. Kein Gutes.
Mein Fazit: Durch die Absprache es unverbindlich zu halten, dann jedoch wegen der gegebenen Umstände davon abzuweichen, hatte ich mir selbst ins Knie geschossen. Inkonsequenz. Mein Wort hatte nicht mehr so viel Gewicht. Nun hoffte er, wenn er bloß die nötigen Umstände erschaffe, könne er mich dazu nötigen, mich langfristig um ihn zu kümmern.
Diese Absprache zur Unverbindlichkeit - im Sinne von "Nicht-Vollendung" - per se ist schon Mist
Wenn Dom Erfolg hat, sich das Machtgefälle einstellt und Dom Sub bewegt, kommt immer was nach. Das ist das Natürlichste der Welt. Das kann man nicht einfach durch eine Absprache ausklammern. Das gehört dazu. Ohne das, keine Vollendung. Wenn man so eine Absprache trifft, macht Dom sich zwangsläufig zum Vollidiot. Entweder durch
Nicht-Vollendung oder aber durch
Inkonsequenz.
Die Vollendung wird implizit von jeder Autorität erwartet
(Eine Blinddarm-OP ohne Zunähen ist nicht vollständig. Ein Gartenhäuschen ohne Dach ist ist nicht vollständig. Eine Session ohne optionale Nachsorge ist nicht vollständig.)
Ich kann mir vorstellen, dass relativ unverbindliche Beziehungskonstrukte im BDSM-Kontext möglich sind, sofern die Vollendung jeder Wegstrecke miteinbezogen wird. Also "Unverbindlichkeit" nicht als Synonym für "Nicht-Vollendung" verwendet wird.
Aber ändern all diese Überlegungen irgendetwas an der Bedeutung des Begriffs der Verbindlichkeit?
• Nein. Überhaupt nicht. Ob nun im BDSM-Kontext oder im Alltag: Der erste Schritt zur Verbindlichkeit ist der, Versprechen abzugeben bzw. Absprachen zu treffen, die man auch einhalten kann. Autoritäten sind zusätzlich verpflichtet, die Vollendung im Auge zu behalten. Dies bringt der Status der Autorität immer mit sich.
Aber wohin damit?
Die konkrete Umsetzung im BDSM-Kontext wäre ein Verhaltenskodex. Keine Begriffsdefinition. Wir wollen hier jedoch an Begriffsdefinitionen schreiben, nicht am großen schwarzen BDSM-Handbuch, oder?
Das ist eher eine Frage danach, unter welchen Umständen BDSM-Beziehungen konstruktiv und unter welchen Umständen sie destruktiv werden können...
Liebe Grüße!
Galinthias