„Müller trifft, …oder nicht?“ / Macht der Entscheidung
Vorab: Es geht in diesem Post nicht um Fußball (das ist nur der Anlass), sondern um die Macht der Entscheidungen bzw. um die Frage: „In welcher Welt leben wir?“Als wir am Mittwoch letzter Woche das Champions-League-Spiel Bayern München gegen Juventus Turin im TV anschauten und es zur Halbzeit 0:2 stand, entschloss sich meine Frau (der w-Teil von Faufaudee und Bayern-Fan) zu Bett zu gehen. „Immer, wenn ich ein Spiel der Bayern bis zum Schluss anschaue“, sagte sie sinngemäß „verlieren sie!“ Nun, es kam anders: Die Bayern holten auf, Müller traf in der Nachspielzeit und erzwang die Verlängerung. Den Rest kennt ihr.
Nun frage ich: Hätte Müller auch getroffen, wenn meine Frau sich nicht schlafen gelegt und das Spiel weiter angeschaut hätte?
,Blöde Frage’, mag man einwenden, ,was hat das eine mit dem anderen zu tun?’ Stimmt! Es gibt keinen kausalen Zusammenhang. Was aber, wenn wir die Entscheidung (Frau geht ins Bett oder Frau schaut sich Spiel an) als 2 gleichermaßen physikalisch reale Zustände desselben Systems ansehen, also 2 parallel verlaufende Ereignisstränge? Quantenmechanisch wäre das so etwas wie eine Superposition zweier Einzelzustände, die beide – jeweils mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit – parallel existieren. Dadurch aber, dass ich meine Frau habe ins Bett gehen sehen, ist – für mich – diese Überlagerung zusammengebrochen und mein Bewusstsein (ebenso wie das der Leser dieser Zeilen) bewegte sich in dem Ereignisstrang weiter, in dem sich die Bayern schließlich durchsetzten.
Das wäre ein makroskopisches Pendant zur so genannten Quantenverschränkung, wo die „Beobachtung des einen [Quants / hier: des Zustands ‚Frau nicht am TV‘] den Zustand des anderen [hier: ‚Müller trifft‘] beeinflusst und das ohne jede Zeitverzögerung über beliebig große Entfernung hinweg“ (http://greiterweb.de/spw/Quanten_Verschraenkung.htm).
Ich muss an dieser Stelle einflechten, dass ich kein Fachmann für theoretische Physik bin und mir die Quantenmechanik ein Buch mit sieben Siegeln ist. Es ist eher ein philosophisches Interesse, die Welt und was in ihr vorgeht zu verstehen.
Der andere Ereignisstrang (meine Frau schaut das Spiel bis zum Ende an) wäre demnach zwar real, aber in einer anderen, parallelen Welt weiter gelaufen. Und in einer solchen anderen Welt hätten an anderer Stelle ganz andere Dinge passieren können. Vielleicht wäre Müller eine Zehntelsekunde früher oder eine Zehntelsekunde später zum Kopfstoß hoch gestiegen, er hätte den Ball minimal anders getroffen, und dieser wäre in einem etwas anderen Winkel Richtung Tor geflogen, ins Aus oder an die Latte oder Buffon hätte ihn gehalten. Das Spiel wäre anders ausgegangen, die Presse hätte am nächsten Tag Anderes geschrieben, Benfica Lissabon hätte einen anderen Gegner fürs Viertelfinale. Mancher TV-Zuschauer hätte sich – weil keine Verlängerung – die nachfolgende Sendung angeschaut, wäre am nächsten Tag müder gewesen, hätte sich vielleicht zu Hause, im Straßenverkehr oder an der Arbeit etwas anders verhalten, mit all den darauf folgenden Konsequenzen.
Wenn man annimmt, es sei physikalisch erlaubt, Quantenvorgänge auf makroskopische Ereignisse zu übertragen – so wie ich das gerade als Gedankenexperiment gemacht habe – kommt man kaum an der bei Astrophysikern aktuell beliebten Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik (nach Hugh Everett III, s. auch http://www.astropage.eu/index_news.php?id=289) vorbei. So wie die Entscheidung meiner Frau müsste aber jede Entscheidung, die irgendwo im Universum getroffen wird – ob von Mensch, Tier, instabilem Atom, von thermodynamischem Zufall oder Quantenfluktuation – zu einer Aufspaltung in neue Welten führen, von denen jede real ist, auch wenn wir uns nur in einer einzigen bewegen. Dies würde in jedem kleinst-denkbaren Bruchteil eines Augenblickes passieren. Es wäre zu allen Zeiten in der Geschichte des Universums geschehen und an jedem Ort. Es geschieht jetzt in diesem Augenblick, und so wird es in alle Zukunft weitergehen.
Dies führt zu einer unvorstellbar großen Zahl von parallelen Universen, die dennoch endlich ist. Da die Zahl der Teilchen im beobachtbaren All zwar sehr sehr groß ist (man spricht von allein ca. 10 hoch 80 Protonen = Eddington-Zahl) aber dennoch nicht unendlich, und es auch nur endlich viele Zustandsformen gibt, muss auch die Zahl aller physikalisch möglichen Anordnungen und Zustände dieser Teilchen begrenzt sein., Die Wahrscheinlichkeit für unser Universum, dass es so ist wie es ist, beträgt nur 1 zu 10 hoch 10 hoch 123. (Roger Penrose, s. http://www.bild-der-wissensc … ndex2.php?object_id=31782104). Es kann also höchstens 10 hoch 10 hoch 123 voneinander verschiedene Welten geben, wenn das Universum auf den beobachtbaren Teil begrenzt ist und alle Anordnungen gleich wahrscheinlich sind (Laplace-Regel).
Das hieße einmal, jede Entscheidung, die wir treffen, wird zu einer neuen Welt führen, die in unserem Wirkungskreis verschieden ist von der, in der wir wären, hätten wir andersherum entschieden. Da aber zur gleichen Zeit an anderen Stellen der Welt andere Entscheidungen getroffen werden und der Vorrat an möglichen Welten begrenzt ist, hieße es, dass sich zeitgleich die Welt auch dort verändert – und zwar unabhängig von kausalen Zusammenhängen.
Also kann es durchaus sein, dass Bayern München das Spiel verloren hätte, wäre meine Frau nicht ins Bett gegangen. Oder andersherum ausgedrückt: Durch die Entscheidung, sich schlafen zu legen, hat sie den Bayern zum Sieg verholfen.
Das ist nun mal ein Thema, das vordergründig überhaupt nichts mit Liebe, Erotik u/o Sex zu tun hat, und man könnte uns vorwerfen, dass eine solche eher philosophische Betrachtung im JC nichts zu suchen habe. Da ich/wir jedoch unterstellen, dass diese Gruppe auch Mitglieder beheimatet, die sich gelegentlich Gedanken machen, wie unsere Welt zu verstehen ist, möchte ich unsere Überlegungen zur Diskussion stellen.
Konsequenz : Unser Wirken in dieser Welt hat Auswirkung auf das Gesamtsystem, selbst wenn es keinerlei kausale Zusammenhänge gibt. Wenn das so ist, bedeutet es für mich, dass wir niemals resignieren sollten, wenn mal etwas in unserem Umfeld aus dem Ruder zu laufen scheint. Es bedeutet auch, dass es in der Hand jedes Einzelnen liegt, die Welt zu einem besseren Platz zu machen – selbst wenn wir nur kleine Dinge tun, die scheinbar nichts bewegen können.
LG
Faufaudee
P.S.: Der Beitrag hat natürlich eine (beabsichtigte) satirische Komponente. Aber in jeder Satire steckt auch ein Körnchen Wahrheit.
P.P.S. Eine nette Unterhaltung zu dem Thema habe ich hier (http://news.komplett-media.c … ik-mit-dem-universum-zu-tun/) gefunden.
P.P.P.S.: Diesen Post hatte ich schon seit einigen Tagen vorbereitet. Dass er nun durch die tragischen Ereignisse in Brüssel überrollt wurde, war nicht vorherzusehen. Ich stelle ihn trotzdem zur Diskussion und hoffe auf Beteiligung - schließlich gelten die hier angeschnittenen Fragen für alles, was in "unserer" Welt passiert, man kann sie also auch auf die aktuellen Geschehnisse übertragen.