Sie lässt sich von Fremden im Schritt berühren, macht Nackt-Selfies mit Touristen und presst mit Acrylfarbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina auf eine Leinwand. Seit Jahren sorgen die Konzeptkünstlerin Milo Moiré und ihr Künstlerpartner Peter Palm mit Nude-Performances im öffentlichen Raum für Aufsehen. Ein Gespräch mit Milo Moiré und ein Blick auf ihre drei irrsten Performances zwischen Porno und Feminismus.
Bruch mit der Norm (und dem Skript)
Milo Moiré ist eine Erscheinung. Selbst bekleidet und nur auf einem Bildschirm zu sehen. Was weniger daran liegt, dass sie für das Videotelefonat fast programmatisch auf einen BH verzichtet, wie ihr gelbes Oberteil verrät. Eher daran, dass die Frau hinter der Kunstfigur Milo Moiré – Psychologiestudium und einen Master in Neuropsychologie in der Tasche – recht genau weiß, was sie und ihr Künstlerpartner Peter Palm mit ihren Projekten wollen.
Ihren ersten großen Auftritt hatte Milo Moiré im Rahmen der Art Basel 2013 mit der Aktion "Script System". Sie fuhr im Berufsverkehr nackt U-Bahn. Statt Kleidung hatte sie auf den jeweiligen Körperpartien Schriftzüge der Kleidungsstücke stehen.
Die Idee basiert auf der Skripttheorie aus der Kognitionswissenschaft: Unser Alltag besteht aus Situationen, die automatisierte Handlungsabfolgen in uns auslösen. Als würden wir einem Skript folgen. Ob im Restaurant oder in der Straßenbahn. "Script System" sollte Menschen für einen Moment aus ihrem Alltagsskript reißen.
Mehr als pure Provokation?
Kunst, reine Provokation oder etwas dazwischen? "Einfach nur provozieren? Das ist es null", meint Moiré. "Ich will das Erleben und Verhalten der Menschen durchleuchten. Wenn schon Provokation, dann geht es darum, neue Gedanken, neue Ansichten zu provozieren." Menschen von ihrem Skript abzubringen. "Freiheit heißt nicht nur, zu tun, was man mag, sondern zu wissen, warum man etwas tut."
In den auf "Script System" folgenden Performances und Aktionen rückte neben dem Freiheitsgedanken eine zweites Thema in den Mittelpunkt: die selbstbestimmte Sexualität der Frau. Wenige Tage nach den Kölner Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 stand Milo Moiré nackt auf dem Domplatz, bewaffnet mit einem Schild: "Respektiert uns! Wir sind kein Freiwild, selbst wenn wir nackt sind!!!" Aus dieser Aktion entstand später ihre berühmteste Performance "Mirror Box", in der sie sich von Fremden intim berühren ließ (s.u.).
Auf eine Frage reagiert Milo Moiré ein wenig gereizt: Wie passt der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung und Bodypositivity zu einem mittels Chirurgie optimierten Körper? "Ich halte es für zu kurz gedacht, zu glauben, dass weibliche Selbstbestimmungsbotschaften authentischer über Durchschnittskörper vermittelt werden. Dass ich aussehe wie eine Pornodarstellerin oder ein Model, fordert die Leute heraus", erzählt sie.
Für eine Frau, die sich so ausgiebig mit weiblicher Autonomie auseinandersetzt, pflegt Milo Moiré eine fast schon naive Sicht auf ihren eigenen Körper. "Ich denke völlig entspannt über meinen Körper, der ist wie eine Wohnung für mich, bei der ich irgendwann denke: Ich hätte jetzt gerne ein neues schöneres Möbelstück. Dann mach ich mir beispielsweise die Brüste."
Dass dieser Körper aussieht wie aus einer gephotoshoppten Hochglanz-Reklame und so durchaus ein ungesundes weibliches Körperbild transportiert, lässt sie ungerührt: "Ich habe schon nackt in der Öffentlichkeit gestanden, als ich noch Körbchengröße A hatte. Und habe mich nicht dafür geschämt."
Akademische Kunst oder Boulevard?
Wie bereitet sie sich auf eine Performance wie "Mirror Box vor? "Das ist vor allem mental extrem. Ich spiele das davor hunderte Male durch, wie mich jemand anfassen und was alles passieren könnte." Das ermögliche es ihr, dann völlig in der Performance zu versinken. Unverzichtbar ist dabei ihr Partner, der Fotograf Peter Palm, mit dem sie die Projekte entwickelt. "Peter bietet mir immer Schutz. Ohne ihn wäre es undenkbar."
Milo Moiré wandelt auf einem schmalen Grat zwischen Boulevard und Kunst, Kommerz und Feminismus. Ihre Bühnen sind die Art Basel wie auch die BILD-Zeitung, die Art Cologne wie auch Promi-Big-Brother, die Documenta und der Playboy.
Liegt darin ein Widerspruch? "Ich sehe mich in erster Linie als Konzeptkünstlerin. Bei einem Format wie Big Brother bewege ich mich außerhalb der Kunstblase und habe eine bessere Chance, Menschen anzustoßen, die noch gar keine Berührungspunkte mit Kunst oder Performance hatten."
Darum geht es ihr letztlich: Die Ideen an die Menschen zu bringen. Ob weibliche Selbstbestimmung oder Bruch mit dem Alltagsskript.
Hier ein Blick auf ihre drei außergewöhnlichsten Performances – und die Messages dahinter.
1. Dildomobil
Was ist passiert?
"Ich bin am Düsseldorfer Rheinufer mit einem Fahrrad gefahren, das anstelle eines Sattels einen Dildo hat. Das Projekt entspringt Peters Fantasie."
Was ist die Message?
"Eine Frau kann überall einen Orgasmus haben. Ich bin beispielsweise mal im Flugzeug gekommen, da hatte ich ein Sextoy in mir. Das Dildomobil ist ein Sinnbild dafür, als Frau seine Sexualität zu leben. Ohne Scham. Ich hatte sogar einen Orgasmus auf dem Dildomobil, allerdings einen ziemlich mühseligen. Meine Oberschenkel haben so gebrannt, weil ich ja die ganze Zeit treten musste und in einer Art Standposition war."
Bemerkenswerte Reaktionen?
"Beim Sichten des Materials ist uns aufgefallen, dass die Leute sich erst umgedreht und geschaut haben, wenn ich schon an ihnen vorbeigefahren war. Davor haben die sich diesen Blick nicht erlaubt. Eine ältere Dame ist dabei fast vom Fahrrad gefallen."
2. Mirror Box
Was ist passiert?
"Ich stand in Düsseldorf, Amsterdam und London mit einem verpiegelten Kasten um den Oberkörper bzw. um die Hüfte. Mit einem Megafon riefen Peter oder ich Passanten dazu auf, mich durch den Kasten 30 Sekunden lang an den Brüsten bzw. im Schritt zu berühren, während ich dem jeweils Teilnehmenden in die Augen geschaut habe. In den Spiegelkästen haben Kameras, die versteckten Berührungen festgehalten. Und ja, jedem und jeder sind vorab die Hände desinfiziert worden.
Durch die Verspiegelung haben die Teilnehmenden sich zum einen selbst gesehen und zum anderen die Umstehenden – und nicht nur eine halbnackte Frau. Quasi ein Zurückspiegeln des Voyeurismus. In London sind Peter und ich festgenommen worden. Etwa 150 Menschen haben mich in den drei Städten berührt."
Was ist die Message?
"Das ist aus der Domplatten-Protestaktion entstanden. Peter und mir geht es darum, die Frau aus der sexuellen Opferrolle zu holen. In dieser Performance haben wir die Geschehnisse der Silvesternacht umgedreht: Eine Frau sagt explizit, dass sie angefasst werden will. Aus der eigenen Stärke und dem eigenem Antrieb heraus. Sie bestimmt! Ich habe mich als Frau in dieser Performance stark und respektiert gefühlt."
Bemerkenswerte Reaktionen?
"In London ist ein junge Frau auf mich zugekommen, hat mich über die Mirrorbox berührt, ganz sanft. Sie meinte, sie würde mich unterstützen bei der Performance. Dieser Zuspruch war unglaublich, wenn auch nur für 30 Sekunden. Sie hatte instinktiv gespürt, worum es mir geht. Ein Mann sagte, seine Finger in mir, 'Du wirst nass.' Ich war einerseits überrascht, andererseits war genau das eines der Ziele: in einer solchen Situation Lust zu empfinden. Als Zeichen der Stärke."
3. Nackt-Selfies
Was ist passiert?
"Ich habe in Paris, Berlin, Düsseldorf und Basel an touristischen Hotspots mein Stativ mit Selbstauslöser aufgestellt und Menschen gefragt, ob sie ein Selfie mit mir machen wollen. Ich war unbekleidet."
Was ist die Message?
"Auf Social Media machen sich Menschen innerlich nackig. Sie zeigen sich teilweise in den privatesten und unvorteilhaftesten Situationen. 'Nackt-Selfie' sollte das als Sinnbild auf den Punkt bringen. Das war quasi ein Catwalk zwischen Selbstentblößung und Selbstinszenierung, da sind die Grenzen leider oftmals fließend. In diesen Fotos trifft die körperliche Selbstentblößung auf die digitale."
Bemerkenswerte Reaktionen?
"Auf dem Berliner Alexanderplatz wiesen mich Polizisten darauf hin, dass das gefährlich sei, weil es Menschen gäbe, denen das möglicherweise nicht gefällt. Die haben mich gefragt, wie lange ich noch brauche. 20 Minuten, habe ich gesagt. Daraufhin meinten sie, sie würden dann solange noch zu meinem Schutz da bleiben. Am Pariser Eiffelturm haben mich Souvenirverkäufer erst mit Papierkügelchen beworfen und dann die Polizei gerufen, da ich die ganze Aufmerksamkeit auf mich gezogen habe. Woraufhin ich festgenommen worden bin."
Hier geht's zu Milo Moirés Website.
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