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My Funny Valentine

It´s me!
*********ld63 Frau
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Themenersteller Gruppen-Mod 
My Funny Valentine
Als sie die steile Treppe hinunterschritt, die in den Gewölbekeller der Jazzbar führte, schwebten schon die ersten Saxofonklänge an ihr Ohr. Die Bar war noch halbleer, vereinzelt flüsterten Pärchen an schummrig beleuchteten Tischen miteinander. Andrea suchte sich einen Platz in einer Ecknische der Bar, von der aus sie den ganzen Raum überblicken konnte. Einige Mitglieder der Band stimmten ihre Instrumente. Der schwarze Saxofonist entlockte seinem Tenorsax quietschende Seufzer und vibrierende Thriller. Der Pianist schäkerte mit der Schlagzeugerin, bis diese den Kopf in den Nacken legte und schallend lachte. Was für ein Törtchen! Andrea grinste in sich hinein.

Sie bestellte einen Gin Fizz und genoss das Vorspiel, das sich ihr auf der kleinen Bühne bot. Sie liebte Jazz in allen Varianten und hatte eine umfangreiche Sammlung zu Hause. Seit sie den kleinen Club entdeckt hatte, kam sie regelmäßig, um neue Bands zu hören.
Langsam füllte sich der Raum mit Gästen, auch die Bar belebte sich. Die Band war jetzt vollständig und spielte das erste Stück: „Petite Fleur“ in einer sehr eigenwilligen Interpretation, die vor allem der Saxofonist prägte, der seinem Instrument aufreizend schräge Tonfolgen entlockte. Auf freche, verspielte Art flirtete er intensiv mit dem Publikum.

Andrea saß mit roten Wangen vor ihrem Drink, den sie kaum angerührt hatte, fasziniert und begeistert. Das Stück war schon fast zu Ende, als sich ein weiterer Gast an ihr vorbeischob und dem Barkeeper zuwinkte. Er kam ihr bekannt vor, dieser große, schwarz gekleidete Mann, der sich jetzt zum anderen Ende der Bar begab und sich ihr schräg gegenüber setzte. Tiefliegende, dunkle Augen und ein grauer Dreitagebart gaben seinem Gesicht einen düsteren Ausdruck. Er spürte ihren Blick und sah zu ihr hinüber, mit einer fast fiebrigen Intensität. In seine Ecke zurückgelehnt, hielt er sein Whiskyglas mit beiden Händen fest und schloss die Augen.
Die Band spielte fantastisch, das Publikum war hingerissen. Andrea sah ab und zu hinüber zu dem dunklen Mann, dessen Gesicht kaum eine Regung erkennen ließ. Eine Aura von Wehmut und Melancholie umgab ihn, so dunkel und schwer, dass nichts zu ihm durchzudringen schien außer der Musik.

In der Pause bemerkte Andrea, dass sich der Saxofonist der Band zu dem schwarz gekleideten Mann gesellt hatte und lebhaft auf ihn einredete. Die beiden schienen sich gut zu kennen. Dann trat eine blonde, blasse Frau im silbernen Abendkleid zu den beiden Männern. Sie lehnte sich an den Mann in Schwarz und lächelte den beiden zu. Die Männer fuhren mit ihrer Unterhaltung fort, ohne sie zu beachten. Dabei sah sie so strahlend aus in ihrem funkelnden Pailettenkleid! Sie war wirklich eine Erscheinung. Andrea reckte neugierig den Kopf, um die Szene genauer beobachten zu können, doch die Frau war ebenso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Verwirrt sah Andrea sich um und scannte mit ihren Blicken den Raum ab. Doch die glamouröse Blondine war wie vom Erdboden verschluckt.

Die Musiker kamen auf die Bühne zurück und spielten „My funny Valentine“. Die Melodie dieses Stück spülte plötzlich sehr emotionale Erinnerungen hoch an laue Sommerabende am Atlantik, wo sie den letzten Urlaub mit ihrem Exfreund verbracht hatte. Der Saxofonist intonierte die Melodie so herzzerreißend, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. Fast konnte sie wieder die salzige Meeresbrise auf ihrer Haut spüren und die Illusion einer immerwährenden Liebe – nein, stopp, Andrea, halte diesen Film an! Mit Wucht kamen Emotionen in ihr hoch, über die sie hätte längst hinweg sein sollen – so dachte sie jedenfalls. Sie sah hinüber zum anderen Ende der Bar. Der einsame Wolf in Schwarz war ebenfalls völlig in die Musik versunken. Er saß ganz still und sah auf den Grund seines Whiskyglases.

Nach weiteren Zugaben verabschiedete sich die Band und packte die Instrumente ein. Andrea trank ihr Glas aus und bemerkte, dass der Mann in Schwarz sie ansah. Er nickte ihr zu und lächelte. Aus einem Impuls heraus erhob sie sich und ging zu ihm hinüber.
„Du bist auch öfter hier, nicht wahr? Ich bin Andrea, darf ich mich einen Moment zu dir setzen?“
Der Mann nickte: „Ja, sicher! Ich heiße Christopher. Darf ich dich zu etwas einladen?“
Als ihre Drinks kamen, sagte er: „Bis vor zwei Jahren war ich noch Manager dieser Band. Das waren sehr schöne Zeiten.“ Er lächelte etwas gequält.

Sie prosteten sich zu. Andrea gab sich einen Ruck, sie musste ihn jetzt einfach fragen. „Sag mal, Christopher, ich möchte nicht aufdringlich sein, doch ich würde dich gerne etwas fragen. In der Pause sah ich dich mit einer blonden Frau zusammen an der Bar stehen. Ich hab mich gefragt, ob sie vielleicht auch zur Band gehört hat… ? Sie sah bezaubernd aus in ihrem silbernen Kleid und ...“
Noch bevor Andrea ihren Satz beenden konnte, bemerkte sie, wie Christophers Gesichtszüge entgleisten. Seine höfliche Freundlichkeit wich fassungslosem Entsetzen.
„Wen hast du da gesehen? Das kann nicht sein! Ich saß die ganze Zeit allein an der Bar.“ Er starrte sie an, ungläubig und schockiert.
Andrea wich ein Stück zurück. „Entschuldige bitte! Ich bin manchmal einfach zu neugierig … und es geht mich ja auch gar nichts an“, murmelte sie betreten, schon auf dem Rückzug.

„Aber es interessiert mich nun doch, Andrea“, sagte Christopher und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Wie sah die Frau denn aus, die du an der Bar gesehen hast? So vielleicht?“
Er zeigte ihr ein Foto von einem Auftritt der Band. Der Saxofonist stand mit einer zerbrechlich wirkenden Frau im roten, engen Kleid auf der Bühne. Die beiden waren offensichtlich ganz in ihrem Element. „Aber ja, das ist sie!“ Andrea nickte begeistert. „Sie ist also auch Musikerin!“
Christophers eindringlicher Blick war schwer zu deuten. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, bevor er antwortete. „Das ist Claire, meine Frau. Du hast recht, sie war Sängerin dieser Band, zumindest bis vor zwei Jahren.“

Andrea war plötzlich sehr seltsam zumute. Sie fror, als hätte sie eine eiskalte Hand gestreift. Intuitiv wusste sie, wie die Geschichte ausgehen würde. Und doch hoffte sie inständig, dass sie dieses eine Mal falsch liegen würde mit ihren Ahnungen.
Christopher räusperte sich und fuhr dann fort, seine Stimme klang rau.
„Vor zwei Jahren war Claire auf der Höhe ihrer Karriere, sie hatte eine fantastische Altstimme.“
Er sah auf und dieses Mal schlug ihr die Trauer in seinem Blick ungebremst entgegen. Andrea hielt den Atem an. Ihre Intuition hatte sie also nicht getäuscht. „Andrea, es kann nicht sein, dass du Claire heute hier gesehen hast. Sie starb vor zwei Jahren bei einem Autounfall.“
Andrea sah ihn mitfühlend an. Sie bereute zutiefst, dass sie das Thema angeschnitten hatte.

Bevor sie etwas erwidern konnte, legte Christopher seine Hand auf ihren Arm und sagte leise: „Ich bitte dich, bleib noch ein wenig. Claire hätte sich sicherlich gefreut, dich kennenzulernen.“

(C) IntoTheWild63, 04.06.2023
**********silon
5.750 Beiträge
hmmm ... schön und traurig zugleich. *knutsch*
****i_k Frau
808 Beiträge
Wow - ich hab gerade mega Gänsehaut bekommen.
Die Geschichte (hast du die real erlebt?) bestätigt mir wieder, dass wir niemals alleine sind. Wir sind immer von unseren Lieben in Liebe umgeben. Das zu wissen beruhigt und hilft mir, mich nicht von Sorgen und Ängsten überwältigen zu lassen. Alles kommt so, wie es kommen soll. Egal wie sehr ich mich Sorge.. also lass ich das mir Sorgen machen sein und geh ins Vertrauen. Sehr befreiend, muss ich sagen.

Hast du noch mehr solcher Geschichten?
Ich lese sowas unglaublich gerne.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.180 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Liebe @****i_k, im Kontext dieser Geschichte hab ich das so nicht erlebt - aber in anderen Situationen schon. 😉

Es gab immer wieder Situationen in meinem Leben, in denen ich Verstorbene gesehen habe, vor allem, wenn sie gerade erst gegangen waren...

Früher hat mir das viel Angst gemacht, ich wollte das nicht. Mittlerweile bin ich da viel entspannter - sicher auch weil Tod und Sterben Teil meiner Arbeit ist.
**********silon
5.750 Beiträge
Zitat von *********ld63:

Früher hat mir das viel Angst gemacht, ich wollte das nicht. Mittlerweile bin ich da viel entspannter - sicher auch weil Tod und Sterben Teil meiner Arbeit ist.

ich kann mir das sehr gut vorstellen. also dass dir das angst gemacht hat. ich bekomme ja schon vom lesen her ne gänsehaut. ^^

ich selbst sehe "meine" toten nicht, aber ich träume dann und wann von ihnen. erst kürzlich tat ich das in mehreren nächten hintereinander (jetzt im vergangenen monat mai). ich habe dazu in der gruppe aber nix geschrieben gehabt, weil es "nur" fetzen von verwaschenen traumbildern gewesen sind, die mir flüchtig zwischen den fingern zerronnen sind nach dem aufstehen am morgen.

wobei ich mir nicht wirklich sicher bin, ob das wirklich die seele der jeweils verstorbenen person war oder nicht vielmehr meine eigenen heilsamen persönlichkeitsanteile, die sich nur - ähnlich wie all die jahre zuvor auch in realen selbstgesprächen - via meiner persönlichen eindrücken von anderen personen, die mir etwas bedeuten bzw. etwas bedeutet haben im außen manifestieren, so als seien es eben andere persönlichkeiten und nicht ich selbst???

ich vermute das jedenfalls und weiß, ich habe sowieso einen schuss weg ... ^^
It´s me!
*********ld63 Frau
8.180 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Lieber Charlie! *knuddel*
ich vermute das jedenfalls und weiß, ich habe sowieso einen schuss weg ... ^^

Haben wir das nicht alle hier? *guru* *lol*

Klar, in deinem Traum können die Personen immer auch Persönlichkeitsanteile sein.
Aber es hat schon was zu bedeuten, wenn du von bestimmten Personen träumst - seien sie nun tot oder lebendig. Manchmal spürt man intuitiv, was das Auftauchen der Person einem sagen will, manchmal ist es vor allem eine bestimmte Eigenschaft dieser Person, die dich an etwas erinnern will... gibt viele Möglichkeiten.

Letztlich kannst du nur selbst fühlen, um was es wirklich für dich geht. Und ob dir tatsächlich eine Seele im Traum erschienen ist - ist das wichtig? Wenn es so war, dann fühlst du es, denke ich.

Ich hab vor einigen Jahren mal von meinem Vater geträumt, das war ein besonderer Traum.
Da war er etwa 2-3 Jahre tot. Im Traum war er ein junger Mann. Er sah blendend aus, weiß angezogen wie ein Schiffsoffizier. Er winkte mir zu von einem riesigen, weißen Dampfer. Ich sah nochmal die Nahaufaufnahme seines Gesichts am Ende des Traums und dann wusste ich: Er will mir sagen, dass er stolz auf mich ist.

Das war echt schön - vor allem, weil wir uns im Streit getrennt hatten, bevor er starb. Wir hatten ein extrem angespanntes Verhältnis und der Traum hat mir ein wenig Frieden geschenkt.

Das nur als Beispiel.
**********silon
5.750 Beiträge
Waaaahhh, jezt habe ich ne Gänsehaut. *lach* Aber dieses Mal positiv. Ja, ich weiß, also das mit der Bedeutung und so. *knuddel2* ich weiß auch inzwischen, was sie? mir noch mit auf den Weg geben wollte. und das tröstet mich ungemein.
***ie Frau
7.327 Beiträge
Gruppen-Mod 
Schön! *love3*
It´s me!
*********ld63 Frau
8.180 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
"Almost blue"
Bei dem Bild, was ich gerade gemalt habe, bin ich mir nicht sicher, ob die Geschichte zuerst da war, oder das Bild - sie haben sich gegenseitig inspiriert. *love* Sie gehören auf jeden Fall zusammen! *zwinker*

"Almost Blue"

Odé an Chet Baker *herz2*
Acryl, 50 x 70 cm, 08.06.23
**********silon
5.750 Beiträge
lesen? *zwinker* *love3*
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