Mal ehrlich...
"Usiache mbachao kwa msala upitao!" (1)Vor einiger Zeit ist mir beim Durchstreifen einer größeren Buchhandlung ein Buch in die Hände gefallen, das den vielversprechenden Titel „First Overland. Als Erste im Land Rover 18.000 Meilen von London nach Singapur“. Das Buch ist nicht neu, es erschien bereits in den 50er Jahren, doch erschien es erst jetzt in einer deutschsprachigen Ausgabe. Kurz zum Inhalt: „Sechs englische Studenten und eine verrückte Idee: die erste Fahrt über Land bis nach Singapur. Unbekümmert, mit Humor und gesundem Optimismus, der charakteristisch für die Reise wird, legt das Sextett los: Sie pumpen die BBC um Filme an. Überreden Rover, zwei nigelnagelneue Land Rover zu spendieren. Und einen Verleger, Geld vorzustrecken ... 1955 starten sie, durchqueren Europa, die Türkei, Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan; überwinden Krisengebiete und Wüsten, den Dschungel von Birma, die Berge von Darjeeling und den Ganges auf klapprigen Holzbooten. Sieben Monate und 18.000 Meilen später erreichen sie glücklich ihr Ziel.“ (2) „Mit zwei nigelnagenneuen Land Rovern...“ - aber man darf es nicht überlesen, es war 1955. Z.B. hatte diese „nur“ ein unsychronisiertes Getriebe, d.h. das beim Schalten die Kupplung zweimal getreten werden und beim Herunterschalten dazwischen auch noch Gas gegebene werden musste. Wer in seiner Bundeswehrzeit mit LKW 5to MAN (MAN 630) zutun hatte, weiß was ich meine. Immerhin liefen die noch bis in den 90er bei der Bundeswehr und waren auch als „Allesfresser“ bekannt, weil sie zur Not bei Dieselknappheit auch mit einem Benzin-Diesel-Gemisch oder reinen Motorölen betrieben werden konnten. Ein Gerücht sagte, dass es auch mit Speiseöl funktionierte, verifizieren kann ich das aber nicht.
Nun hat natürlich und notwendigerweise die Automobilindustrie neu Dinge entwickelt und in ihre Fahrzeuge gebaut. Viele Neuentwicklungen dienten und dienen der Fahrsicherheit, auch im Bezug auf Umweltverträglichkeit und Einsparung von Kraftstoffen wurde viel getan. Alles in allem möchte ich nicht aus nostagischen Gründen mit einem Land Rover aus dem Jahr 1955 von London nach Singapur fahren. Übrigens ist genau das 2019 geschehen (3) - zumindest umgekehrt und aus verständlichen sicherheitspolitischen Gründen teilweise auf etwas anderen Routen - mit einem der Originalfahrzeugen, der heute 67 Jahre alt noch mit der originalen Technik fahrbar erhalten ist. Und dieser konnte sogar repariert werden, als er mitten in Turkmenistan ein Hinterrad samt Bremse und Halbwelle verlor. Diese Zeiten sind lange vorbei. Die Autos haben mehr Technik und vor allen Elektronik bekommen. Beim Land Rover von 1955 war nur die Benzinpumpe elektrisch betrieben. Und eines ist klar, je komplizierter es wird, desto schwieriger wird eine Reparatur, auch aufgrund der verständlichen und durchaus notwendigen Entwicklungen, die mittlerweile Standard in den Fahrzeugen sind.
Es gibt allerdings auch Entwicklungen und Erfindungen, die letztendlich niemand wirklich braucht, die ausschließlich der Bequemlichkeit dienen, dadurch die Fahrzeuge teurer machen und die Umweltunverträglichkeit noch weiter befeuern. Wenn ich also einen Off-Roader wirklich dafür nutze, wofür er gebaut wurde, dann sollte ich mich damit auch beschäftigen und lernen. Desweiteren sollten Autos gebaut werden, die dafür geschaffen sind und die nutze ich dann weder um mich zu 90 % auf dem Weg zur Arbeit durch den verstopften Berufsverkehr zu quälen und zu 10 % bei unnützen "just-for-fun" Fahrten durch Wald, Feld, Wiesen und womöglich Naturschutzgebieten.
Und da kommt nun ein "Defender" daher, bei dem ich "nur" das richtige Knöpfchen drücken muss, um Off-Road zu "bestehen"? Nennen wir ihn doch so, wie er beworben wird: "Suvender". Aber seien wir ehrlich, auch das beste Textverarbeitungsprogramm nützt nichts, wenn ich die Rechtschreibung nicht beherrsche. Da wundert es mich auch nicht mehr, wenn mir jemand versichern will, dass der Umgang mit Karten (und Kompass) heute nicht mehr nötig ist, weil es ja Navigationssysteme gibt.
Und in der Fotografie kauft man sich die "beste" und "teuerste" Kamera und stellt sie auf "Vollautomatisch" ein oder fotografiert unzählige Bilder mit seinem Smart- oder iPhone und hält sich für den weltbesten Fotografen - na ja, bei hundert geknipsten Bilder ist sicher auch das ein oder andere brauchbare dabei.
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(1) Swahili: „Verlass nicht Eigenes wegen vergänglicher bzw. vorübergehender Angelegenheiten.“ oder „Man sollte nicht auf Altbewährtes wegen vorübergehender Versuchungen bzw. Angelegenheiten verzichten.“
(2) Buchbeschreibung Süddeutsche Zeitung Shop
(3) https://www.lastoverland.com/ und
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