Früher habe ich die Coole gegeben, damit mich niemand verletzten kann. Eine Rolle, die einem das Leben auf den ersten Blick sehr erleichtert, sieht man doch das Leben, die Dinge, andere und sich selbst realistisch (so glaubt man). Schön auch, das dadurch natürlich die anderen die "Verursacher" meines Leids sind. Unbewußt kokettiert man da auch, gibt man sich doch vornehmlich cool und der WIRKLICH wahrnehmende Gegenüber MUSS doch erkennen, wie sensibel und nett ich in Wirklichkeit bin.
Irgendwann war meine gelebte Rolle jedoch so weit von mir selbst weg, dass es nicht mehr ging. Ich glaube nicht, dass man dauerhaft sein wirkliches Selbst verstecken bzw. unterdrücken kann.
Ich habe mir meine Schwächen selbst klar gemacht, aufgeschrieben und es gelang mir dadurch, auch einen objektiveren Blick auf mich selbst zu erhalten. Dann habe ich angefangen, mit meinen Schwächen geradezu zu hausieren. Gleich auf den Tisch gelegt, schrumpfen sie nämlich auf Normalmaß.
Der Prozess hält immer noch an und ich glaube, der hört auch nie auf. Denn je mehr wir uns selbst erkennen, desto mehr erkennen wir auch andere. Und wir stellen fest, das wir - so unterschiedlich wir nach außen sein mögen - uns in vielen Dingen so sehr ähneln.
Sich selbst kennenlernen, heißt, andere kennenzulernen.
Sich selbst verstehen, heißt, andere zu verstehen.
Sich selbst lieben, heißt, andere zu lieben.
Warum neigt man dazu ein Bild von sich aufzubauen dem man eigentlich gar nicht entspricht?
Lügen wir uns da, meistens unbewusst, nicht in die eigene Tasche?
Warum ist es so schwer zu seinem ICH zu stehen und somit auch über die Kritikpunkte des Partners hinwegzusehen?
Für mich ist es völlig logisch, dass "Schwächeln" bzw. zu sich selbst - nach außen und nach innen - zu stehen, eine Entwicklung voraussetzt. Aber WIE entwickeln wir uns? Eben doch nur durch gemachte Fehler. Watzlawick hat es sehr passend ausgedrückt: "Irrwege müssen begangen werden, um als Irrwege erkannt zu werden."
Wie kann ich zu meinem ICH stehen, wenn ich dieses ICH nicht (er-)kenne? Ohne meine vorherigen Rollen (die Coole, die Verletzliche, die Süchtige, die Depressive etc.) und der Reaktion von außen auf diese Rollen, hätte ich doch keine Möglichkeit der Reflektion gehabt. Wir benötigen einen Spiegel, um uns selbst zu erkennen. Und nur durch Anprobieren unterschiedlicher Kleidung finden wir unseren eigenen Geschmack und die Sachen, die uns stehen und zu uns passen.
Man kann vieles im Kopf lernen, aber Authentizität - sich selbst annehmen und lieben - ist etwas Gelebtes, Erfahrenes, Gespürtes (btw: schreibt man das Groß oder klein
).
Mittlerweile habe ich genau deshalb mit meinem früheren Selbst, das soweit von mir weg war, Frieden geschlossen. Weil es auch ein Teil von meinem ICH ist und ein wichtiger Schritt zu meinem jetzigen ICH war.
Silvia
von den
Seelen farben