Drei Faktoren können helfen, den MS-Verlauf vorauszusagen
bin auf einen interessanten Artikel gestoßen...23.09.10 | Drei Faktoren haben eine gewisse Voraussagekraft darüber, wie schnell sich eine MS von der schubförmigen in die sekundär progrediente Verlaufsform entwickelt. Das hat eine neue Studie aus Kanada herausgefunden. Zwei dieser Faktoren - männliches Geschlecht und Bewegungsstörungen (= motorische Symptome) - bei Diagnosestellung erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass der Krankheitsfortschritt (= Progression) schneller abläuft als ohne sie. Auf der anderen Seite scheint ein jüngeres Alter bei Diagnosestellung auf eine langsamere Progression hinzudeuten, aber nicht auf eine bessere Gesamtprognose.
Für diese Langzeitstudie mit einer sehr großen Patientenzahl sichteten die Forscher Krankenakten aus vier großen kanadischen MS-Kliniken. In die Analyse flossen Krankenblätter von insgesamt 5169 Menschen mit MS (MmMS) ein. Die Daten deckten dabei den Zeitraum von 1980 bis 2003 ab. Alle Patienten, die eine immunmodulatorische Behandlung begannen, wurden ab dem Tag des Beginns dieser Therapie aus der Analyse ausgeschlossen. Dies geschah, um einen möglichst natürlichen, von medikamentösen Therapien unbeeinflussten Verlauf der MS zu sehen und so besser zu erkennen, welche Faktoren möglicherweise eine Voraussagekraft für den Verlauf der MS haben.
Rund 85 % der kanadischen MS-Betroffenen starten ihre "MS-Karriere" mit einem schubförmig-remittierenden Verlauf. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, wie schnell der Übergang von der schubförmigen in die sekundär progrediente Verlaufsform vonstatten geht, und welche Charakteristika zu Beginn der MS (hier: Zeitpunkt der Diagnosestellung) einen schnelleren oder langsameren Übergang zur progredienten Verlaufsform statistisch vorhersagen lassen. Sie interessierten sich dabei besonders für die Charakteristika "Geschlecht", "Alter bei Diagnosestellung" und "frühe Symptome".
Ergebnisse: Im Verlauf der Studie gingen 1821 MmMS (35 %) von der schubförmigen in die progrediente Verlaufsform über. Der Übergang in den progredienten Verlauf geschah dabei zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten: Diejenigen MmMS mit der schnellsten Progression waren nach weniger als 12 Jahren progredient geworden, die mit der langsamsten Progression gingen erst nach 32 oder mehr Jahren in die sekundär progrediente Phase über.
Männer hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit einer schnelleren Progression, was nicht besonders überrascht, denn wie schon frühere Studien nahelegen, scheint das weibliche Sexualhormon Östrogen einen gewissen Schutz vor Nervenschädigungen und damit vor schnellem Fortschreiten der MS zu gewähren. Bewegungsstörungen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung waren ein zweites Charakteristikum, das ebenfalls auffällig häufig im Zusammenhang mit schnellerem Krankheitsfortschrittstand. Andere Symptome zu Krankheitsbeginn, zum Beispiel Sehstörungen oder Taubheitsgefühle, standen in dieser statistischen Betrachtung dagegen nicht in Zusammenhang mit einer schnelleren Progression.
Bei MmMS, die schon in jüngerem Alter ihre MS-Diagnose erhielten, zeigte sich ein eher langsamerer MS-Fortschritt. Die Forscher weisen aber darauf hin, dass dies nicht notwendigerweise eine bessere Prognose bedeute, denn jünger Diagnostizierte gingen letztendlich auch in jüngerem Alter in die sekundär progrediente Phase über.
Was diese Ergebnisse nicht zeigen können, ist, weshalb manche Faktoren zu einem statistisch schnelleren (oder langsameren) Krankheitsfortschritt führen. Was die Forscher hier ermittelt haben, ist in erster Linie wichtig für zukünftige klinische Studien, denn sie helfen, diese Krankheit, ihren Verlauf und ihre Behandlung besser zu verstehen.
Sehr wichtig zu wissen ist, dass diese Statistik über bestimmte MS-Symptome und den Einfluss des Lebensalters bei Diagnosestellung sowie des Geschlechts keine individuellen Voraussagen darüber ermöglicht, ob und wie schnell oder langsam ein bestimmter an MS erkrankter Mensch die sekundär progrediente Krankheitsphase erreichen wird. Die MS ist immens variabel in Ausprägung, Schwere und Verlaufsgeschwindigkeit, so dass sich aus diesen Studienergebnissen keine Voraussagen für den Einzelnen treffen lassen. Männlich zu sein und bei Diagnosestellung motorische Einschränkungen zu haben bedeutet nicht zwangsläufig, dass die sekundär progrediente Krankheitsphase unweigerlich schneller oder auch überhaupt erreicht wird. Das heißt nur, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass die Krankheit diese Entwicklung nehmen kann, zumal dies alles völlig außer Acht lässt, dass möglicherweise auch andere Faktoren vorhanden sind, die einen langsameren Krankheitsverlauf wahrscheinlich machen.
Fragen zur wahrscheinlichen Entwicklung der eigenen MS und was man tun kann, um das Fortschreiten der MS möglichst lange hinauszuzögern, sollten Menschen mit MS immer mit ihrem behandelnden Neurologen besprechen.
Quelle:
Koch M, Kingwell E, Rieckmann P, et al.
The natural history of secondary progressive multiple sclerosis.
Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry. 2010;81: 1039-1043.
Quelle:http://www.joyclub.de/link/3547195.html-gateway