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Vom Kater, der Angst vor Pfützen hatte

2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.308 Beiträge
Themenersteller 
Vom Kater, der Angst vor Pfützen hatte
Es regnete. Es regnete sogar sehr heftig. Es regnete „Mäuseschwänze“, wie die Katzen so unter sich sagen. Schwere, große Tropfen fielen aus den Wolken, in einer Masse und Geschwindigkeit, dass es an den Guss aus einer dieser grünen Gießkannen, die Oma Pellheim immer benutzte, um die Konzerte liebeskranker Kater zu beenden, die so oft des nächtens vor ihrem Schlafzimmer stattfanden - nannte sie doch eine dieser gut gewachsenen Kätzinnen mit weichem Fell und einem Gang, der sie selbst außerhalb ihrer rolligen Zeit begehrenswert machte, ihr eigen.

Zurück zum Regen. Innerhalb weniger Minuten bildeten sich überall Pfützen unterschiedlichen Umfangs und verschiedener Tiefe. Sweeney knurrte. Er hasste Pfützen. Nicht wegen des Wassers, nein! Sweeney liebte Wasser. Aber nur, wenn es nicht still war, glatt, spieg….

Nein. Dieses Wort konnte er nicht aussprechen. Vielleicht gerade eben noch buchstabieren, wenn er nicht an den Sinn dieses Begriffes dachte. Und dann auch nur mit zuckendem Schwanz und einem Fauchen zwischen seinen Fängen.

S.P.I.E.G.E.L.

Wenn Sweeney irgendetwas mehr hasste als Pfützen, dann waren es genau diese Dinger. Diese flachen Dinger, die ihm grundsätzlich ihn zeigten, ihn zwangen, sich selbst anzusehen, wann immer er einen Blick hineinwarf. Das war eben das Problem.

Seit Sweeney denken konnte, war er fest davon überzeugt, dass er ein schlanker Kater von eindrucksvoller Höhe war. Sehnig, durchtrainiert mit seidig-glänzendem Fell, das immer, egal, was er gerade tat, so aussah, als habe er es bis auf den letzten Krallenzwischenraum geputzt und dabei jedes Härchen sorgsam an seinen Platz gelegt. Sein Gehabe war, so fand er, dem eines adeligen Abenteurers gleich, der stets schlitzohrig, aber mit einem großen Herz für die Schwachen und Unschuldigen, Gefahren überstand, die selbst die drei Musketiere und Robin Hood in einer Person überfordern würden.

Natürlich hatte er versucht, genau so zu leben. Hatte versucht der Anführer in seinem Revier zu werden. Um seine Macht dann für gute Dinge einsetzen zu können. Das hatte viele Kämpfe mit sich gebracht und er hatte dabei etliche Teile seines Fells, ein Ohr und einen guten Teil seines Schwanzes eingebüßt.

Der Boss wurde er jedoch nicht.

Lange Zeit hatte er dann als Außenseiter gelebt, wurde von anderen Katzen als vogelfrei betrachtet, ge- und verjagt, von Hunden und Tierfängern gehetzt. Hatte sich von Abfall ernährt, aber nur ganz weit außerhalb des Stadtkerns, in Vierteln, in denen er eher selbst auf der Speisekarte stehen würde, als dass er dort wirklich nahrhafte Reste für sich hätte ergattern können.

So war es lange Zeit gewesen. Bis zu jener Nacht, in der er begann, Pfützen zu hassen. Und diese S-Dinger.

Es war eine stürmische Nacht gewesen. Der Regen war so stark wie jetzt, an diesem Abend, heruntergeströmt. Nur hatte es auch gedonnert, gerade so, als würden gerade die Fleischer die Rinderhälften vom Lastwagen abladen und auf die Rollwagen werfen, die zum Transport in die Fleischerei bereitstanden. Die Blitze waren in so kurzem Abstand gefolgt, dass man sich wie am Broadway vorgekommen war, wenn dort gerade die Stars einer Premiere aus ihren Luxuslimousinen ausstiegen. Ein Hauch von Ozon hatte in der Luft gelegen, war aber vom gnadenlos herunterprasselnden Regen gleich wieder weggewaschen worden. Ja, Sweeney erinnerte sich an diese Nacht nur zu gut…..


(Rückblende)

Er ist gerade eben noch einer spektakulären Verfolgungsjagd entkommen, weil er in den Garten der Familie Mc Yffrin gekrochen ist.

Nun fühlt er sich erschöpft, so wie ein notorischer Stubenhocker, der am berühmten Marathonlauf „Supercat“ teilgenommen hat und nach 700 Metern bereits aufgeben muss.

Bei der Familie Mc Yffrin, das weiß Sweeney, ist das Kellerfenster immer offen und er hat vor, die Nacht oder zumindest eine hinreichende Zeit dort zu verbringen, bis die Meute endlich aufgeben würde. Triefend vor Nässe, noch weiteren Fellstücken beraubt, schleicht er durch den Garten, vorbei an der alten Hundehütte, ausm Rollos Gebell oder dessen bösartiges Knurren zu vernehmen ist, sobald sich jemand zu einer ungebetenen Zeit am Gartentor zu schaffen macht.

Was aber niemand weiß – niemand außer den Mc Yffrins und Sweeney natürlich - ist, dass Rollo bereits vor etlichen Monaten gestorben ist und nur noch ein Tonbandgerät die Laute des als brandgefährlichen Elitekämpfer bekannten Wachhundes wiedergibt. Seit dieser Entdeckung hatte Sweeney schon des öfteren die Nacht im Keller der Mc Yffrins verbracht.

So schleicht der junge Kater fernab vom Gartentor zum Kellerfenster hinüber, stupst gegen das Fensterglas… und registriert fassungslos, dass es nicht, wie sonst, nach innen aufschwingt. Es ist verschlossen, tatsächlich verschlossen!

Und nun?

Sweeney schaut sich um, registriert den Regen, die Sturmböen, registriert die Blitze und ist fest davon überzeugt, dass ihn das Unwetter vor seinen Häschern schützen wird. Aber wie lange? Und was schützt ihn vor dem Unwetter? Schon jetzt ist ihm kalt, er friert erbärmlich und zittert wie das berühmte Espenlaub.

Sein Blick fällt auf die alte Hundehütte. Die nun unbewohnte Hundehütte. Er ist überzeugt davon, dass es in diesem klapprigen Ding mehr zieht als im Rauchfang der Bäckerei „die Brezel“, aber er hätte wenigstens ein Dach über dem Kopf. Damit wäre er vor dem Regen geschützt und die baufälligen Wände würden immerhin den Großteil des Windes abhalten.

Er macht sich auf den Weg.

Während er zu der Hütte schleicht, beschließt der Sturm, dass er für heute genug getan hat. Der Regen endet so abrupt, als hätte jemand den Wasserhahn abgedreht. Der Wind hat gerade noch die Stärke eines von einem liebeskranken Jüngling dahingehauchten Seufzers. Die Stille überfällt den Garten, eine Stille, in der die Tropfen, die von den Sträuchern und Bäumen auf die Erde fallen, einen so massiven Kontrast herstellen, als hätte jemand mitten in einer Andacht in der Kirche einen Schreikrampf bekommen.

Anfangs zuckt Sweeney noch bei jedem Laut zusammen, aber mit der Zeit gewöhnt er sich daran und es gefällt ihm. Irgendwie klingt es fast wie der Rhythmus eines lang vergessenen Liedes.

Die Wolken brechen auf und verschaffen dem Mond einen Blick auf das Gelände unter ihm. Als Dank dafür hat dieser den Garten der Mc Yffrins in sein Licht getaucht und sorgt dafür, dass die Tropfen, die sich an Sträuchern, Dachpfannen, Mauervorsprüngen festhalten, wie ein Netz aus Diamanten funkeln.

Pfützen, die in der vorhergehenden Dunkelheit eher den Eindruck von bodenloser Tiefe vermittelten, sind nun zu sanft vor sich hin schimmernden Spiegelflächen erstarrt, laden Sweeney ein, locken ihn zu sich.

Sweeney ist vom ersten Augenblick, als der Mond seine Arbeit beginnt, von der märchengleichen Atmosphäre fasziniert. Er fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt, wandelt durch den Garten und bewundert die Schönheit in jedem Detail, das ihm ins Auge fällt. Und natürlich bezaubern ihn auch diese schimmernden Pfützen, so dass er wie gebannt zu einer von ihnen herantritt. Was ist das nur, was da so leuchtet? Und was wird er da sehen? Er tritt noch näher heran, wagt einen Blick.

Und das Grauen packt ihn.

Erschüttert schreit er auf, sein Fell sträubt sich und steht ab, als hätte er in eine Steckdose gepackt. Der Rücken zieht sich zu einem Buckel zusammen, und er erstarrt, mit nach oben gestrecktem Schwanz, zu einer Statue, eben wie jene, auf denen er sich schon oft in Gärten und Parks zu einem Sonnenbad niedergelassen hat.

Und genau so schnell kommt wieder Leben in ihn. Er fährt herum, will sich diesem hässlichen Ding von einem räudigen Kater stellen, den Kampf gegen ihn aufnehmen – aber da ist niemand!

Wo ist er hin? Wobei… so schnell kann keine Katze sein, dass sie sich auf diesem weiten Terrain ungesehen irgendwo hätte verstecken können.

„Was ist das für eine Teufelei“, fragt Sweeney sich. Er schaut noch einmal in die Pfütze, und er sieht wieder diese Karikatur eines Katers. Diesmal ist er gefasster und faucht sein Gegenüber an. Und dieses… faucht zurück! Und nun macht es ein verdutztes Gesicht, es blickt genau so, wie sich Sweeney vorstellen könnte, wie sein eigener Gesichtsausdruck nun sein könnte.

Sweeney ist kein dummes Geschöpf. Schnell begreift er, was los ist. Und das entsetzt ihn fast noch mehr als die Vorstellung, einem solchen Wesen im Kampf gegenüberzustehen: „So sehe ich aus? Das kann doch nicht sein, so kann ich doch nicht aussehen!“ Immer wieder geht ihm dieser Anblick durch den Kopf:

Klein, schlank zwar, aber eher verhungert als sehnig und durchtrainiert. Das Fell räudig, an etlichen Stellen fehlt es ganz. Und das Ohr, sein linkes Ohr – die Spitze ist abgerissen, ebenso wie ein Teil seines Schwanzes. Vom heutigen Kampf ums Überleben ist das verbliebene Fell rotfleckig, rot vom halb verwaschenen Blut, und eine Kralle fehlt, wie er nun feststellen muss.

Nun zittert er mehr durch die Fassungslosigkeit als durch die Kälte. Er wendet sich ab von der Pfütze und flieht in die Dunkelheit der Hundehütte. Der Schock, der ihn bisher in den Krallen gepackt hielt, fällt von ihm ab und weicht einer Bestürzung, einer Trauer, einem Bedauern über sich und sein Aussehen. Er sinniert über sein Leben, über seine Verluste, seine ständige Not und seine ganze Erschütterung sammelt sich zu einem Klagelied, das er nun, allein, einsam, sogar von seinem Selbstvertrauen verlassen, anstimmt.


In dieser Nacht war Gheillis, die Tochter der Mc Yffrins, aufgestanden, aufgeschreckt von seinem Gejaule. Voller Mitgefühl hatte sie den räudigen kleinen Kater mit ins Haus genommen, hatte ihm einen Schlafplatz am Kamin eingerichtet, ihm eine Schale mit Innereien hingestellt und eine weitere Schale mit Wasser. Dann hatte sie sich zu ihm gelegt, gerade so weit entfernt, dass er sich sicher fühlen konnte, hatte sanft zu ihm gesprochen, bis er endlich eingeschlafen war.

Seither gehörte er zu dieser Familie. Es ging ihm gut, ja! Er musste nicht mehr nach Abfällen jagen, nicht mehr vor bösartigen Rivalen, Hunden oder Tierfängern fliehen. Er bekam genug Futter, ab und zu eine Schale Milch und so viele Streicheleinheiten, wie er wollte.

Ja, es ging ihm wirklich gut – solange er Spiegel und Pfützen mied.

Gheillis lachte über seine Macke. Es war auch zu komisch für sie anzusehen, wenn er, sobald er auch nur eine spiegelnde Oberfläche erahnte, zu fauchen begann und mit gesträubtem Nackenfell den Rückzug antrat.

Einmal sagte sie zu ihm: „Ach Sweeney, wenn Du doch nur wüsstest, was für ein wunderbarer, bezaubernder Kater Du bist! Auch wenn Du keine Schönheit sein magst, so ist doch so viel an Dir liebenswert. Hätte ich Dich sonst ins Haus geholt?“

Auch das hatte er sich gemerkt. Und es beschäftigte ihn, wieder und wieder. Eigentlich jedes Mal, wenn es regnete. Und in den Highlands regnete es oft.

Die Zärtlichkeit, mit der Gheillis ihn umfing, die Herzlichkeit der anderen Familienmitglieder, all das zeigte seine Wirkung und das Bild in der Pfütze verblasste immer mehr. Dennoch hatte es ihm gezeigt, dass sein inneres Bild von ihm völlig unterschiedlich zu dem war, wie er immer von sich gedacht hatte und er wusste, dass er ganz anders aussah. Nicht hochgewachsen, nicht edel, kein raubtierhafter Gang verlieh ihm die Aura eines geheimnisvollen Abenteurers, eines Kämpfers für das Gute und für die Rechte der Schwachen. Und jedes Mal, wenn er dann doch durch Zufall zu einem Blick auf sein Spiegelbild gezwungen wurde, wurde ihm das wieder schmerzlich bewusst.

Doch auch der Schmerz verblasste, wurde immer weniger, und so machte es ihm bald auch immer weniger aus, wenn er dieses „wahre Bild“ von sich sah.

Er dachte lange darüber nach. Was war denn jetzt sein wahres Bild? Das, was er da im Spiegel sah? Was die McYffrins tatsächlich bezauberte, obwohl es so sehr von seinem eigenen Selbstbild abwich? Oder war es doch das, was er im Inneren von sich sah? Machte sein inneres Bild nicht auch zum Teil seine Ausstrahlung aus, eben das, was die anderen Menschen wahrnahmen, was sie an ihm mochten?

Er kam langsam zu dem Schluss, dass beide Bilder ihre Berechtigung hatten. Beide Bilder zusammen, das musste wohl sein wahres Ich sein. Und noch etwas wurde ihm klar: Erst, wenn er sein Spiegelbild als einen Teil seines Ichs akzeptieren würde, hätte er sein ganzes Ich.

Also begann er – heimlich – zu üben. Immer, wenn niemand der McYffrins in der Nähe war, wagte er einen Blick in eine spiegelnde Oberfläche. Mal kürzer, mal länger, mal mit einem miesen, mal mit einem zufriedenen Gefühl. Und irgendwann merkte er, dass er sein Spiegelbild zwar nicht immer mochte, aber als etwas Selbstverständliches ansah, obwohl er innerlich immer noch sein anderes Bild von sich hatte.

Und heute regnete es. Eigentlich nicht nur heute. Eigentlich regnete es schon die ganze Woche, und er hatte Sehnsucht. Er wollte endlich mal wieder raus vor die Tür.
„An die frische Luft“, wie Gheillis es nannte. Was aber, wenn der Regen wieder mal so plötzlich aufhören würde? Wenn die Pfützen wieder so schimmerten, ihn verlockten, hineinzusehen?

Ja, was dann?

War er nicht inzwischen mit Spiegelbildern vertraut? Oh, und hatte er nicht während des ganzen Nachmittags immer wieder das S-Wort benutzt, ohne zu buchstabieren, ohne gesträubtem Fell und ohne Fauchen?

Ja. Er würde sich von schimmernden Pfützen verlocken lassen. Er würde hineinblicken. Und ihm fiel gerade noch ein Vorteil an Pfützen gegenüber Spiegeln ein: Wenn ihm das, was er da sah, nicht gefiel, dann würde er einfach mit der Tatze hineinlangen und das Bild wegmachen.

Bis zum nächsten Blick.
*****ida Frau
16.812 Beiträge
Zitat von ********elle:
Er würde hineinblicken. Und ihm fiel gerade noch ein Vorteil an Pfützen gegenüber Spiegeln ein: Wenn ihm das, was er da sah, nicht gefiel, dann würde er einfach mit der Tatze hineinlangen und das Bild wegmachen.

Kater, zumal kampfgestählte, sind halt einfach clever! *top*
eyes002
******ace Mann
15.954 Beiträge
Gruppen-Mod 
Der Weg der Selbstakzeptanz bei Fellnasen sehr schön 👍
Da könnte sich manch Mensch eine Scheibe abschneiden...
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.308 Beiträge
Themenersteller 
Danke schön!
Eigentlich ist das tatsächlich eine Geschichte, die auf eigenen Erfahrungen basiert, lieber Tom. Ich wollte zwar nie mit meinem Spiegelbild in den Pfützen kämpfen, brauchte aber auch gefühlte Ewigkeiten, bis ich mein inneres und mein äußerlich zu sehendes Bild in Einklang gebracht hatte...
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