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Fünf Grad, Samstagmorgen, die Sonne kitzelt dich wach und du weißt…
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Entschuldigung, dass ich mein Versprechen breche. Aber das muss noch raus.
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Es ist Samstagmorgen, die Sonne kitzelt Dich wach und Du weißt, es ist eigentlich Zeit für schwarzes Leder. Aber der Kühlschrank mault: „Du musst einkaufen!“, und Deine Wohnung schnauzt Dich an: „Mach mich gefälligst sauber!“ Doch draußen wartet die Maschine, also die Beats in die Ohren und die Klamotten an. Da schreit jemand: „Du bist undiszipliniert!“

Früher nannten wir das „spontan.“ Aber das ist lange her. Das war ein anderes Leben. Liegt es wirklich schon so weit zurück? Du beißt die Zähne zusammen, damit Du nicht auch schreien musst. Weil Du weißt, wie eklig es dann wird. Wieder einmal.

Du zeigst den Finger, allen dreien, und schmeißt noch in der Tür die Playlist an, Zufallsmode, und das erste Lied ist Wolfgang Ziegler: „Und dann stehst du im Regen.“ Aus Deinem Grinsen wird eine Grimasse. Klar, immer dahin, wo es weh tut.

Handschuhe an. Fällt schwer, die Hände sind voller Narben von den Scherben, die Du in den letzten Monaten aufgesammelt hast, auf Deinen Knien kriechend, immer wieder, bis es nicht mehr ging, Du aufgestanden bist und den Rücken gerade gemacht hast.

Ab geht es in die City. Sie ist wie leergefegt, wo sonst Fußgänger und Touristen sich drängeln. Alle eingesperrt, keiner traut sich und Icona Pop singen „I crushed my car into a Bridge.“ Wenn es mal so einfach wäre ...

Die ganze Woche hast Du geschuftet und in den Nächten die beste Geschichte geschrieben, die Dir jemals eingefallen ist. Nein, nicht geschrieben, herausgeblutet ist sie aus dir. Weil da jemand war, der mit dem Finger auf Deine Flügel gezeigt und geflüstert hat: „Trau dich wieder ...“

Die alten, eingestaubten Dinger, ganz hinten in der Schrankecke haben sie vor sich hingemodert. Du hattest sie abgelegt, eingetauscht gegen die Krücken Disziplin und Berechnbarkeit und dir auch noch das Korsett Verlässlichkeit angezogen, bis Du Dich keinen Millimeter mehr bewegen konntest außer in der vorgezeichneten Richtung, in der sich auch alle anderen bewegen. Die Flügel waren nicht stark genug für zwei ...

Schwerin ist immer noch leer. „Out of the dark“ war ein Flugtest. Ob sie noch trugen, die eingestaubten Dinger. Größer und schwerer waren sie geworden und es hatte viel mehr Kraft gekostet als früher, sie zu bewegen. Doch sie trugen Dich wie den „Albatros“. Aber Karat hast Du nicht auf Deiner Playlist, solltest Du vielleicht ändern. Oder „Eagle“ von Abba.

Damit kannst Du sogar so dreckig fliegen, wie Du Dich jetzt fühlst. Natürlich hast du geduscht, sogar gebadet jeden Abend, was du sonst nur am Wochenende gemacht hast. Doch der Dreck ging nicht ab. Weil er innen sitzt, da, wo kein Wasser hinkommt. Du hast gelächelt, wo Du hättest die Zähne zeigen müssen; hast die Hand gereicht, wo Du sie hättest ballen müssen und hast Dich an der Tischplatte festgekrallt, als du hättest zuschlagen müssen. Du hast Dich so brav angepasst, hast zugelassen, dass sie Dich mit ihren freundlichen Krakenarmen in ihr fantasieloses, angepasstes, kleines Leben gezerrt haben, und deswegen fühlst Du Dich so dreckig. Deins ist nicht besser, es ist nicht schlechter, nur anders und Du bist selbst Schuld, wenn Du es versteckst.

Es ist die Straße nach Wismar, blühende Bäume rauschen vorbei, links und rechts leuchtet gelb der Raps und vor Dir ist ein LKW. Links raus ... uups ... Lichthupe von vorne ... das wird knapp ... Gas! ... und sie ist da, die Maschine unter dir. Kurz lüftet sie das Vorderrad, zieht an und schert wieder ein, der Gegenverkehr rauscht vorbei. Sie ist immer da, wenn Du sie brauchst und lässt Dich nicht hängen, wenn es eng wird. Das hat sie noch nie getan.

Kai Tracid in den Beats und Du fährst langsamer, damit Du den Text verstehst: „life is too short, as precious as gold, its full of surprises, so i am told“. Du bleibst langsam, ein See links der Straße, zwei Angler wollen den Fischen ein Schnippchen schlagen und irgendwie stiehlt sich ein Lächeln auf Deine Lippen. Noch traut es sich nicht so richtig heraus, aber Du weißt, wo es kommen wird, oder?

Der große Kreisverkehr in Wismar und gerade kein Auto drin. Zweiter Gang und Gas, noch mehr Gas, Anschlag! Eine volle Runde und dann noch eine; wie ein Westernreiter hängst du links neben der Maschine, die Fußraste schlägt Funken, der Knieschoner fängt sich vom Asphalt neue Schrammen ein und irgendetwas in dir schreit: „Mann, du bist sechzig!“

„Und was?!“, brüllst du unter deinem Helm zurück und mühelos übertönst du „Faster“ von Within Tempation.

Wenig später sind sie da, die schönste Straße des Nordens und Dein Lächeln; von Wismar nach Neubukow, am Salzhaff entlang, voller Kurven und sonnendurchfluteter Alleen. Malerische Dörfer fliegen nur so an Dir vorbei und dann erreichst Du endlich das Meer. Helm ab, Handschuhe aus und die Beats aus den Ohren. Denn die Musik, die Du jetzt hören willst, ist eine andere. Dann gehst Du die paar Schritte bis ans Wasser. Der Sand knirscht unter Deinen Füßen und Du setzt dich hin, in den Schneidersitz. Du legst die Hände auf die Knie, formst mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis, schließt die Augen und lässt den Kopf nach vorne sinken. Nur noch Du, der Wind, das Meer, seine Wellen und ihr leises Rauschen sind bei Dir – ihr alle gehört zusammen: Erde, Wasser, Luft und das Feuer in Dir.

Es ist schon finster, als Du nach Hause zurückkehrst. Du steigst von der Maschine, nimmst den Helm ab und blickst nach oben. Ein paar Sterne leuchten, dazwischen ist viel Dunkelheit und Du fragst dich, warum die Menschen immer nur in das viele Dunkel schauen, anstatt sich an den Sternen zu erfreuen, die überall für sie leuchten.

Dann gehst Du hinein, ziehst Dich langsam aus und klappst den Laptop auf. Du wirst diese Geschichte aufschreiben, für Dich selbst und für die, die sie verstehen. Deine Flügel reichen nicht für zwei, das haben sie nie getan und es endlich zu begreifen, tut dann doch wieder ein bisschen weh. Wenn Du zu den Sternen willst, dann such Dir jemanden, der so fliegen kann wie Du. Doch selbst wenn Du Sie nicht findest oder Sie Dich nicht – es macht keinen Unterschied. Denn Deine Flügel wirst du nie wieder abnehmen.

Niemals mehr ...
**********gosto Frau
16.055 Beiträge
Wunderschön geschrieben, lieber @*******jan! *biker*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Was für ein Befreiungsschlag, in einem atemberaubenden Tempo geschrieben. Vom ersten Satz an hattest Du mich, und ich habe mit offenem Mund gelesen, nein, eher in mich aufgenommen, all das, was Du geschrieben hast. Genickt, weil mir die Gedanken, Gefühle so vertraut vorkommen. Und dann, das erleichterte Aufatmen, an genau dieser Stelle:


...und dann erreichst Du endlich das Meer.

Da hätte ich mir einen Absatz gewünscht. Um entschleunigen zu können, das Tempo von diesem Höllenritt auf dem Motorrad auch gedanklich herausnehmen zu können. Das mag meiner Liebe zum Meer entspringen und es mag nur mir so gehen.

Was ich sonst noch sagen möchte:

Entschuldigung, dass ich mein Versprechen breche. Aber das muss noch raus.

Bitte, brich es noch ganz oft.

: )
*****div Frau
7.968 Beiträge
Zitat von ********elle:
Bitte, brich es noch ganz oft.

Dem kann ich mich nur anschließen. *bravo*
Danke für diese atemberaubend geschriebene und inhaltlich Gänsehaut erzeugende Geschichte.
Es kommt mir vor, als hätte sie unser bester Freund geschrieben, der seine Empfindungen für seine Motorradausritte in einfacheren Worten genauso beschrieben hat. Er ist 2017 tödlich verunglückt, nicht mit dem Motorrad, sondern bei einem tragischen Arbeitsunfall.
Dank dieser Geschichte ist er wieder da, so lebendig, wie er immer gewesen ist. "Es", das ihn immer ausgemacht hat, ist auch wieder da: das Funkeln der Sterne ...
Lieber Mercurio, dann darf ich Dir -und allen, die Biker sind - vielleicht diese Geschichte auch noch empfehlen:
https://www.joyclub.de/profile/homepage/2300647-285147.out_of_the_dark.html

"Alte Biker sind entweder harte Hunde oder tot. Hartwig lebte noch. Vierzig Jahre lang hatte er immer rechtzeitig genug den Kopf eingezogen, wenn der Sensenmann nach Beute Ausschau gehalten hatte, zwei schwere Unfälle überlebt, seine Maschinen nicht."
Nichts ist so perfekt, dass es nicht noch besser gemacht werden könnte. Genau das ist es, was Ihr alle mir hier beigebracht habt. Liebe Indi -genau an der Stelle hast Du recht, aber so was von ... Hast mir eine Hausaufgabe gegeben, meine Liebe. Ts, ts ...

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Wenig später sind sie da, die schönste Straße des Nordens und dein Lächeln; von Wismar nach Neubukow, am Salzhaff entlang, voller Kurven und sonnendurchfluteter Alleen. Malerische Dörfer fliegen nur so an dir vorbei, du erreichst du endlich das Meer und jetzt endlich kannst du atmen ... atmen ... ... atmen ...

Es ist dieser Platz, an dem den Helm abzunehmen schon fast eine heilige Handlung ist wie das Bekreuzigen beim Eintritt durch ein Kirchenportal. Das hier ist deine Kirche. Die Handschuhe aus und die Beats aus den Ohren, die Musik, die Du jetzt hören willst, ist eine andere. Es sind nur ein paar Schritte bis ans Wasser, der Sand knirscht unter deinen Füßen und du setzt dich in den Schneidersitz; legst die Hände auf die Knie, formst mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis, schließt die Augen und lässt den Kopf nach vorne sinken. Nur noch du, der Wind, das Meer, seine Wellen und ihr leises Rauschen sind bei dir – ihr alle gehört zusammen: Erde, Wasser, Luft und das Feuer in Dir.

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