Lotus Islands
Die Brandung, das warme Wasser hatten sie geformt und die weichen Wellen hatten sie an Land gespült. Woher sie kam, wusste sie selbst nicht. Aber nun ging sie mit ihren kleinen Füßen durch den Sand, und ihre Perlenzehen formten kleine Täler und Hügel bei jedem Schritt.Sie blieb nah beim Wasser, stillte Hunger und Durst von Kokosnüssen und einer Quelle unter den Bäumen und schlief nachts in einer Kuhle im warmen Sand.
So fand er sie. Henua, der König der Insel.
Klein zusammengerollt schlief sie noch im schrägen Morgensonnenlicht.
Leise schlich er an sie heran, den Jagdspeer vorsichtig in ihre Richtung haltend. Aber als sie sich nicht rührte und ihn nicht anfiel wie eins der wilden Tiere, die er zu jagen pflegte, ließ er sich Zeit sie zu betrachten. Sie war dunkler als Frauen seiner Insel. Kokosnusschalenfarben hatte er sie als deutlichen Fleck im hellen Sand wahrgenommen.
Ihr Haar war glänzend schwarz und mit Sandkörnchen gesprenkelt, wie ihr ganzer Körper. Sie war klein und zierlich, fast wie ein Kind, ihre wohlgeformtem Hüften und die feste Wölbung ihrer atmenden Brust zeigte aber, dass sie bereits eine Frau war.
Er lächelte über ihrer Schönheit, als sie die Augen aufschlug. Sie erschrak nicht, sondern lächelte zurück. Er sprach sie an. Ihr Lächeln wurde noch tiefer, aber sie sagte kein Wort. Er verstärkte seine Worte mit Gesten, doch sie schüttelte nur lachend den Kopf, sodass die Sandkörner aus ihren Haaren flogen. Sie streckte ihre Hand aus und streichelte über sein nahes Gesicht. Fühlte seine Stirn, seine Augen, seine Nase, die Wangen und den Mund. Ihre Finger glitten an seinen Konturen entlang, als wollte sie ihn lesen.
Diese Berührungen ließen ihn erschauern. So hatte ihn noch keine seiner Frauen berührt. Er schloss seine Augen. Sie lachte ein kleines, glückliches Lachen.
Er nahm sie auf und trug sie in Wasser. Sie schwammen, lachten, liefen über den Strand und verbrachten so den ganzen Tag. Als es Abend wurde, küsste er sie. Und ging in sein Dorf zurück.
Am nächsten Tag fand er sie wieder im Sand. Und wieder lächelte sie.
Fuhr mit ihren Fingern zärtlich seine Muskeln entlang und malte die Muster der dunklen Zeichen auf seiner Haut nach.
Jeden Tag suchte er sie. Er vergass die Jagd, seine Frauen und Kinder und sein Dorf in ihrer Nähe. Flüsterte ihr Koseworte ins Ohr, die sie nicht verstand, aber mit ihrem glücklichen Lachen beantwortete.
„Meine Lotusblume“.
Von seinem Weg über die Insel brachte er ihr diese Blumen mit. Sie legte sie rund um ihren Schlafplatz. Sie leuchteten in der Nacht, wenn er nicht bei ihr war.
Sie verstanden sich im Blick, antworteten mit Lächeln, sie erkannten einander mit ihren Händen.
Sie gab ihm ihr Herzgold, ließ aus ihren Fingerspitzen Sternenstaub auf seine Haut rieseln und schenkte ihm das Diamantenfunkeln ihrer Augen.
Sie lächelte, wenn er kam, und lachte, wenn er sie verließ.
Jeder Morgen brachte die Sonne - und ihn.
Eines Tages kam er nicht. Auch nicht am nächsten.
Da machte sie sich auf den Weg, ihn zu suchen. Lief über den Strand, durch den Palmensaum, kletterte die Felsen empor, wie sie es ihn hatte tun sehen und folgte einem schmalen Pfad durch den dichten Wald dahinter.
Sie fand eine Lotusblume und steckte sie ins Haar, wie er es oft getan hatte. Am Abend kam sie zu den Hütten seines Dorfes.
Da sah sie ihn, am Feuer, im Kreis seiner Frauen, seine Kinder und seines Volkes. Sah, wie er lachte, redete, wie die Frauen ihn ansahen, die Kinder auf seinen Schoß kamen. Wie er einer der Frauen das Haar aus dem Gesicht strich.
Sie ging zurück in die Dunkelheit. Fand im Licht des Mondes den Weg zurück zu ihrem Strand – zu ihrem Meer.
Als er am nächsten Morgen an den Strand kam, fand er sie nicht.
Drei Lotusblumen schaukelten in der Brandung.
Viele Tage noch rief er sein „Lotusblume“ über die Insel und suchte sie überall.
Seinen Kindern erzählte er am Feuer die Geschichte der schönen, kleinen Frau aus dem Meer. Ihre Insel nannten sie ab dann „Lotus Islands“.
Lass deine Augen nicht trübe werden
Wie ein stumpfer Stein
Bewahre das Diamantenfunkeln
Lass deinen Himmel nicht dunkel werden
Wie die einsame Nacht
Bewahre deinen Sternenstaub
Lass dein Herz nicht leer werden
Wie ein einsamer Strand
Bewahre dein Herzgold
(c) tangocleo 2009