Pfeifende Seifenblasen
Olav war ein Spinner. Eigentlich war er nicht besonders beliebt, aber er war ein solch begnadeter Torwart, dass man auf ihn nicht verzichten konnte. Man duldete seine Spleens, weil man ihn einfach brauchte, vor allem da „Frischauf Hopfingen“ auf der Zielgeraden zum Gruppensieger war. Gruppensieger! Die Spieler bekamen allein schon beim Gedanken daran Gänsehaut. Zusammenhalt war dafür
unabdingbar.
Doch vier Wochen vor dem entscheidenden Spiel übertrat Olav definitiv eine Grenze. Er hatte sich schon öfter Scherze erlaubt, die häufig hart am Duldbaren entlang schrammten, diesmal jedoch ging er eindeutig zu weit.
Als die Spieler nach dem
Fußballtraining in die Umkleide zurückkamen, war die
Unterwäsche aller außer Olavs mit Sekundenkleber an die Bänke fixiert, und als der erste vom Klo um Hilfe rief, weil er an der Brille klebte, explodierte Team-Kapitän Walter:
„Olav, du Sau! Du bist eine Pestbeule an meinem Arsch! Du brauchst nicht zu lachen! Glaub nicht, dass wir nicht gemerkt haben, dass du der Lieblingsbubi vom Trainer bist. Ist mir scheißegal! Auch der Trainer kriegt mal zu viel. Pass bloß auf!“
„Mann, krieg dich wieder ein. Du hast wohl keinen Humor.“ Ein allseitiges Murren war die Antwort. „Meine Güte, habt euch nicht so. Es ist doch lustig, einander Streiche zu spielen.“
Walters Augen wurden zu Schlitzen. „So? Meinst du? Soso.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab. Olav sah nicht mehr, dass er den anderen zuzwinkerte. Er wunderte sich nur, dass niemand mehr ärgerlich zu sein schien.
Kurz darauf gab es ein Heimspiel mit dem Hauptrivalen „5. FC Grimmlingen“.Es war ein wichtiges Spiel, und der Trainer hatte allen Spielern eingeschärft, vor allem am Abend vorher nicht zu saufen und früh schlafen zu gehen. Olav hielt sich daran. Er wollte den anderen beweisen, was für ein unübertroffener Torwart er war.
Er kam schon eineinhalb Stunden vor dem Aufwärmen ins Vereinsheim. Er brauchte die Zeit für sich. Walter war auch schon da, wie meist.
„Hi!“ Olav versuchte, Walters Abneigung zu übersehen.
„Mh!“ brummte Walter, der gerade an der
Kaffeemaschine stand, „auch ne Tasse?“
„Ja, gern.“ Olav war überrascht. So was hatte es noch nie gegeben.
„Zucker?“
„Ja, wie immer, weißt du doch.“ Wurde Walter vergesslich?
„Klar. Hätt sich aber geändert haben können.“ Er ließ zwei Stückchen Würfelzucker in den Kaffebecher fallen, rührte um, stellte ihn neben Olav auf die Bank und setzte sich zu ihm. Olav leerte den Becher zur Hälfte und fragte: „Immer noch sauer?“ Er schielte dabei über den Becherrand, leerte ihn dann vollends und stellte ihn neben sich auf die Bank.
Walter atmete auf und sagte kryptisch: „Seit eben nicht mehr.“
„Wieso eben?“
„Nur so.“
Olav schüttelte den Kopf, erhob sich und griff nach seiner Sporttasche. „Ich geh raus. Lust auf ein bisschen Torschießen?“
„Nö“, sagte Walter rasch, „nicht wirklich. Bis später.“ Mit diesen Worten griff er die beiden Becher und stellte sie in die Spüle.
Olav schob sich einen
Kaugummi in die Backe während er sich umzog. Dann lief er hinaus und dribbelte einige Zeit lang quer übers Feld. Diese Übung fiel ihm normalerweise gar nicht schwer, heute hatte er jedoch ein sonderbares Problem. Der Ball waberte. Olav begann zu kichern. „Du waberst“, sagte er zu dem Leder zu seinen Füßen.
„Ich wabere nicht“, antwortete der Ball, „ich bitte dich.“
Olav bekam einen Schluckauf, und bei jedem Hickser entschwebten seinem offenen Mund
himmelrosa-knallgelb changierende seifblasenenartige Gebilde, die mit einem feinen Pfeifgeräusch vor seinem Gesicht platzten.
„Was ist das denn?“, fragte Olav entsetzt, wobei er nicht wirklich eine Antwort erwartete.
„Seifenblasen“, meinte der Ball, „ziemlich hübsche, nebenbei bemerkt.“
„Mit wem redest du?“, fragte Ben, der Stürmer, der mit den anderen zum Aufwärmtraining eingelaufen war.
Olavs Gedanken rasten. Niemand durfte von dem hier etwas merken. Er schien verrückt zu werden, aber das musste er unbedingt verbergen..
„Mir dir“, antwortete Olav, während sich ein violetter Schmetterling auf Bens Kopf niederließ, „mit wem sonst? Oder siehst du hier jemanden?“ Der Ball zu Olavs Füßen nahm die Form eines Würfels an und sagte: „Und wer bin ich?“ Olav konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
„Jungs! Los, alle hierher“, der Trainer war offensichtlich nicht in bester Laune. „Schnell, Leute, schneller! Wir sind hier nicht bei den
Hottentotten!“
Olav gesellte sich zu den anderen und begann mit dem Training.
„Liegestützen!“
Olav ließ sich auf Hände und Füße nieder, mit Liegestützen war es aber nichts. Der Rasen unter ihm legte sich in Falten, und das Gras war himmelblau. Olav kippt zur Seite und begann hemmungslos zu lachen.
„Olav!“
„Hä?“ Olav lachte immer noch so sehr, dass auch die anderen angesteckt wurden. Außer dem Trainer.
„Aufhören, sofort aufhören, ihr Spinner!“ Die Stimme des Trainers schnappte über.
Nur langsam beruhigten sich die Spieler. Außer Olav. Er hatte jetzt einen fürchterlichen Schluckauf und schielte furchtbar auf seine Nasenspitze.
„Was ist denn los Olav?“, fragte der Trainer jetzt besorgt, „geht's dir nicht gut?“ Olav blickte auf.
„Saugut, Trainer! So gut ist es mir noch nie gegangen. Geht gleich vorbei.“
„Okay, dann aber richtig. So ein Verhalten kann ich nicht dulden.“
Olav erhob sich und reihte sich zum Lauf ums Spielfeld ein. Er war der Letzte. Für einen Moment passierte nichts Besonderes und Olav wollte schon aufatmen, als plötzlich aus dem Rücken des Vordermannes Flügel sprossen. Kleine Flügelchen aus dunkler Schokolade. Für Olav gab es kein Halten mehr. Er stürzte sich mit den Worten: „
Zartbitter! Mhm!“ auf den Vordermann und biss ihn in den Rücken.
Das Spiel wurde verschoben, und Bissopfer und Olav landeten im Krankenhaus. Als man Olav sagte, er stehe unter Drogen, fiel er aus allen Wolken. „Ich hab in meinem Leben noch nie Drogen genommen.“
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Jetzt aber doch. Sie stehen unter LSD.“
Da wusste Olav, wem er das zu verdanken hatte.
Zum nächsten Training erschienen Ben und Olav jeweils mit kapitalen Veilchen. Merkwürdigerweise vertrugen sich beide von da an bestens. Noch überraschender war allerdings die Wandlung Olavs: Er war immer noch ein Kasper, aber schlimme Streiche gehörten der Vergangenheit an.
Dem Trainer war das ziemlich egal. Hauptsache Frieden im Team. Schließlich war das Wichtigste ja auch, dass „Frischauf Hopfingen“ den Gruppensieg errungen hatte.