Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 10)
Öko-Dildos und veganer Sex
„Ich warne Euch. Heute gehe ich mich vorsätzlich betrinken. Es gibt solche Tage, an denen nur das totale Entblöden an der Theke meiner Stammkneipe hilft. Wer das nicht kennt, lebt entweder total in Watte gepackt, hatte nie echte Probleme oder ist einfach scheintot. Das wird kein Abend für ewige Turnbeutelvergesser!“
Mit diesem guten Vorsatz war ich zu Fuß auf dem Weg zu Helgas Kneipe. Ein Blick in den Himmel half mir, diese destruktive Stimmung zu erklären: Es war Vollmond. Eine dünne Wolkendecke zog in flottem Tempo an der strahlenden Säufersonne vorbei, die Luft war klar. Um den Mond bildete sich in den Wolken ein deutlicher Lichtkranz. Ich beobachtete zwei Autos, die sich im Gegenverkehr begegneten und geduldig auf eine Katze warteten, die beschlossen hatte, mitten auf der Gasse im Scheinwerferlicht mit einer Maus zu spielen. Irgendwann fuhr doch einesr der beiden Fahrer los. Die Maus wurde geplättet. Die Katze zog sich enttäuscht zurück in die Einfahrt eines alten Bauernhofes.
Mausetot. Wie Egon, Paulas Vater. In drei Tagen sollte die Urnenbeisetzung sein, und ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich hingehen sollte. Die Jugendliebe mit Paula war lange her. Auf eine Beerdigung zu gehen, Menschen beim Trauern zuzusehen, denen die Tränen ausbrachen wie ein emotionaler Vulkan, war für mich schon immer wie das Eindringen in eine sehr intime Privatsphäre.
Aber heute wollte ich nicht weiter darüber nachdenken. Als ich Helgas Kneipe betrat, wurde mir sofort klar, dass ich wieder der letzte sein würde, der das Lokal verließ. Es war eine Marotte von mir, immer bis zum Schluss zu bleiben. Wer als letzter geht, über den kann nicht gelästert werden – und Lästern war ein Hobby der Leute auf dem Dorf. Wer nicht vor der eigenen Tür kehren will, wirbelt gerne den Staub der Anderen auf. Ich setzte mich an meinen Stammplatz und bestellte wortlos. Ich drehte mich nach links zum stummen Olli um:
„Du warst in Hamburg? Darüber müssen wir noch mal reden.“
„Mmmmmh.“
Rechts neben mir hockte Roland. Ich kannte ihn seit der Grundschule. Wir waren schon immer grundverschieden, aber wir konnten uns stets freundschaftlich-rivalisierend unterhalten. Er war mit ganzem Herzen reaktionär und forderte gern in Diskussionen mein linkes Herz heraus. Ich grüßte ihn freundlich:
„Hallo Roland, schön Dich mal wieder zu sehen.“
„Ja Peter, freut mich auch. Ich komm so selten weg, Du weißt ja, der Job und so …“
Der konnte mir viel erzählen. Sein Job als Beamter im Landratsamt war zeitlich klar geregelt. Es war eher seine Frau, die ihn davon abhielt, den Abend an der Theke zu verbringen.
„Und? Was treibt dich heute hierher?“, fragte ich Roland aufmunternd.
„Meine Frau hat Besuch von ihrer Schwester aus Wilhelmshaven. Wohnt direkt am Jadebusen. Das passt irgendwie. Ich sag dir, ihren Vorbau würde ich auch gern mal in den Händen halten.“
„Na lass mal lieber, so was gibt immer Ärger.“
„Ich weiß, aber träumen darf man ja mal.“
„Haben sie dich aus dem Haus gejagt?“
„Ja, Frauenabend. Sitzen zuhause und unterhalten sich über Weiberkram. Die besten Mittel gegen Spülhände, Kochrezepte mit Kapern oder wie sie den Film ‚Fifty Shades Of Gray’ fanden.“
Ich lachte knurrend:
„Höschenbefeuchtungsphantasien für frustrierte Hausfrauen. Hör mir auf!“
Roland nahm einen Schluck von seinem frisch gezapften Pils und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe:
„Meinetwegen kann ja jeder glücklich werden, mit Sexspielen, die ihm gefallen. Aber das diese ganzen SM und BDSM-Freaks jetzt den Freischein zum Missionieren bekommen, geht mir echt auf die Nerven. Die reden, als hätten sie die einzig wahre Methode gefunden, sexuelle Erfüllung zu finden. Als Anhänger des guten, alten Blümchensex wirst du zum Außenseiter abgestempelt.“
„Das Problem stellt sich für mich nicht. Ich habe gar keinen Sex.“
Wir stießen miteinander an. Olli, Roland und ich. Helga hatte mitgehört und schmunzelte still in sich hinein.
Ich griff das Thema weiter auf:
„Dieses Missionieren geht mir auch auf die Nerven. Haste in der Zeitung gelesen? Da war eine Frau im Schuhgeschäft und hat nach veganen Schuhen gefragt. Hat den Betrieb aufgehalten, die Verkäuferinnen rund gemacht und Vorträge gehalten. Von wegen Leder, dem Leid der Tiere, bla bla bla. Und das sie nie wieder in diesem Laden einkaufen wird.“
Roland stieß einen Zischlaut der Entrüstung aus:
„Wie machen das eigentlich Veganer, die auf BDSM stehen? Ich meine, Lederklamotten, Lederpeitsche und Lederbänder zum Festbinden geht dann ja auch nicht …“
„Du bringst mich auf eine Idee!“, freute ich mich. „Der vegane Sexshop – das ist die Marktlücke.“
„Aber nicht hier bei uns, Peter. Da traut sich doch keiner rein.“
„Dann halt ein Online-Shop.“
„Da könnte man echt drüber nachdenken. Der Typ mit den Öko-Holzdildos aus dem Odenwald scheint ja auch recht erfolgreich zu sein.“
Die Diskussion begann Spaß zu machen. Ich liebe solche Spinnereien, aus denen zwar meistens nichts wird, die aber unterhaltsamer sind als Comedy mit Mario Barth.
Also spann ich das Thema weiter:
„Jetzt höre ich aber schon die Jute-statt-Plastik-Fraktion schreien: Müssen Bäume sterben für den Orgasmus von High-Society-Damen?“
Der stumme Olli, wie immer prägnant in seinen Aussagen, lieferte einen weiteren Beitrag:
„Lieber Holz vor der Hütten als Holz im Schritt!“
Wir kugelten uns vor Lachen. Helga schüttelte hin und wieder den Kopf ob so viel zelebrierten Schwachsinns, freute sich aber über den Umsatz, den wir zu dritt machten.
Im Laufe der Nacht kauten wir alle Themen durch und amüsierten uns dabei prächtig, wenn auch hin und wieder mit kontroversen Meinungen, die wir stets fair und gelassen, aber vor allem mit viel Gelächter vertraten:
Flüchtlinge – Roland kontra, ich pro.
Neue Regierung in Griechenland – Roland kontra, ich pro.
Autobahnmaut – alle dagegen.
Edathy und der Volkszorn – nüchtern betrachtet totaler Schwachsinn, aber wir hatten schon gehörig einen im Tee.
TTIP – Roland pro, ich kontra. Olli gleichgültig.
Nach Mitternacht machten Roland und ich uns auf den gemeinsamen Heimweg. Wir waren schön betrunken, aber nicht sturzbesoffen. Wir passierten die Katze, welche die geplättete Maus von der Straße kratzte.
„Gibt’s eigentlich auch vegane Katzen?“ fragte Roland.
„Klar, die fressen Wollmäuse!“
Wir lachten lauthals. An einem Fenster im ersten Stock wackelte der Vorhang. Wir winkten fröhlich nach oben.
„Das sollten wir öfter tun, war nett mit dir, auch wenn du nach wie vor eine alte, linke Socke bist.“ Damit reichte mir Roland die Hand zum Abschied.
„Gerne. Du musst nur dafür sorgen, dass die Frau mit dem Jadebusen oft genug zu Besuch kommt …“
„… oder meiner Frau einen Holzdildo schenken und die DVD mit ‚Fifty Shades Of Gray’?“
Der Mond lächelte mir zu, als ich lachend die Haustür aufschloss, nachdem mir zweimal der Schlüssel aus der Hand gefallen war.
„Schönen Gruß an Paula“, winkte ich ihm zu, bevor ich das Treppenhaus betrat.