BDSM-Hypnose-Buch von Alex Tsander - bei Blurb/USA
Alex Tsander: Beyond Games of Trance. Hypnotism, Hypnosis, Fetishism and BDSM. Blurb/USA, 2014 - Bestellbar nur über die Website des US-amerikanischen Verlages Blurb - das ist allerdings auch nicht weiter kompliziert, und es ist der Mühe wert! (d.h., kein Vertrieb über amazon)Vorweg: Alex Tsander ist ein Vertreter der Hypnose-Theorie des Non-States in der State-Non-State-Debatte. Er hält Hypnose als Körper-Geistes-Zustand für nicht real, sondern für eine sozial-psychologisch bedingte Erscheinung. Was hingegen äußerst real ist im Sinne dieses Theorie- und Praxis-Ansatzes, ist der Hypnotismus - darunter verstehen die Vertreter der Non-State-Schule die bewährten und fein entwickelten Strategien und Verfahren, die regelmäßig zum Auftreten von hypnotischen Phänomenen bei Hypnotisanden führen.
In diesem Sinne ist Alex Tsanders Buch in vier Abschnitte eingeteilt.
Im ersten Abschnitt stellt er die theoretischen Grundlagen der Non-State-Theorie der Hypnose vor, und wie deren Evidenz durch zahlreiche, akademische Experimente nahegelegt wird. Im Prinzip basiert die Argumentation darauf, dass eine große Anzahl der Phänomene, die unter Hypnose erzielt werden, auch auf andere sozialpsychologisch-fundierte Weise erzeugt werden können.
Im zweiten Abschnitt geht es um die Kunst des Hypnotismus. Hier führt Tsander die grundlegenden Fähigkeiten des Hypnotiseurs auf, Erlebnis-Serien mit Hilfe von Wachsuggestionen zu schaffen, die der hypnotisierten Person mehr und mehr das Entwickeln von hypnotischem Verhalten ermöglichen, wozu unter anderem der Durchlauf durch eine Reihe von nach Schwierigkeit gestaffelten Tests zählt, die sowohl im Hypnotee als auch bei den Zuschauern die (illusionäre) Überzeugung reifen lassen, dass sich Hypnose mehr und mehr einstellt. Dabei unterscheidet Tsander zwischen Suggestionen und den später im Prozess verwendeten Anweisungen und den Routinen der intra-hypnotischen Phase.
Im dritten Teil unterscheidet Tsander genau zwischen den (oft non-konsensuellen) Phantasien, die mit einem Hypnose-Fetisch verbunden sind, und den Routinen und Erlebnissen, die mit Hypnotismus in einer konsensuellen D/s- oder S/M-Beziehung real erlebt werden können - Hypnotismus unterstützt dabei das bekannte Mittel der Konditionierung im Fetish-Szenario, wobei verbale Erklärungen (Mantras), Vertrags-ähnliche Selbst-Verpflichtungen und Vereinbarungen eine wichtige Rolle spielen. Ein informierter Konsens ist für all dies die freiwillige Grundlage. Die im vorherigen Abschnitt des Buches vorgestellten Routinen werden im BDSM-Kontext so abgewandelt, dass sie zur Atmosphäre des Kinks passen. Eine besondere Rolle spielen hier Re-Induktion und post-hypnotische Routinen.
Im vierten Teil schließlich geht Tsander auf fortgeschrittene Dynamiken ein, die im Zusammenhang mit Hypnotismus auftreten können und einvernehmlichen BDSM-Sex überschreiten. Hierzu gehören gefährdendes Verhalten, das unterlassen werden sollte, und mögliche, psycho-pathologische Phänomene wie das Auftreten von multiplen Persönlichkeits-Strukturen unter entsprechenden, extremen Bedingungen. Hier fasst Tsander einige dunkle Seiten des Hypnotismus an, die zu leugnen für andere zur heiligen Kuh geworden ist, wozu gerne auch mal FAQs genutzt werden, die wie unbezweifelbare Wahrheiten daherkommen, tatsächlich aber ungesichert und umstritten sind.
Ich besitze dieses Buch als illustrierte Hardcover-Version - die allerdings den Nachteil hat, dass sie nicht paginiert ist (obwohl sie mehr als 360 Seiten umfasst) und Tsander das Literaturverzeichnis gestrichen hat, was umso ärgerlicher ist, als sein Text sehr wissenschaftlich argumentiert und mit zahlreichen Kurz-Verweisen (Name, Jahr) versehen ist, deren zugehörige, vollständige Literaturangabe Tsander seinen Lesern jedoch vorenthält - mit dem wenig zugkräftigen Argument, sich so vor Plagiierung schützen zu wollen. Eine recht unwissenschaftliche Haltung, die nicht zum rationalen Anspruch des Textkörpers passt.
Dennoch: die anschauliche und genaue Schilderung von Routinen und Wirkprinzipien des Hypnotismus, angewandt auf das Gebiet der BDSM-Erotik, erweist sich als durchaus geeignet, die eigene hedonistische Hypnose-Praxis im privaten Erotik-Kontext zu ermöglichen oder, wenn schon vorhanden, zu inspirieren und zu bereichern - auch ohne bei selbstherrlichen, autoritativen Hypnoselehrern Kurse und Workshops bezahlt und besucht zu haben - und so sind IMHO Kauf und Lektüre dieses Buches auf jeden Fall ihren Einsatz wert - sodass ich die formalen Mängel als Wermuts-Tropfen in einem ansonsten gelungen Werk hinnehme, dessen Informationen ansonsten schwer zu finden sind.
Alex Tsander ist im übrigen seit einiger Zeit in Berlin ansässig und ist gelegentlich als hedonistischer Hypnotiseur im KitKatClub aktiv und dort dann am Wochenende hypnotisierend anzutreffen.