Anathem von Neal Stephenson
Dieses Buch habe ich zwar schon ein Weilchen fertig, will es hier aber jedem ans Herz legen, der auf extrem intelligente Fiktion steht.
Hier eine Rezession von mir:
Der Roman Anathem spielt auf einer Welt mit dem Namen Arbre, die in vieler Hinsicht unserer eigenen Welt ähnelt. Es gibt einige Techniken und Materialien, die erahnen lassen, dass die Zivilisation auf Arbre schon einmal höher entwickelt war, aber das spielt in dem Roman eine fast unerhebliche Rolle. Lediglich die Geschichte auf Arbre unterscheidet sich wesentlich von der unseren. Und dies ist nicht nur der Knackpunt an dem Roman, sondern auch der Ausgangspunkt der Geschichte:
Auf Arbre haben sich Intellektuelle wie z.B. Mathematiker in sogenannte Konzente zurückgezogen, wo sie ein klosterähnliches Leben abseits der weltlichen Zivilisation führen. Dies bewahrt sie vor den Ablenkungen der schnellebigen Welt "draußen" in der "sakulären Welt" und macht sie unabhängig von der Regierungsform, dem sozialen oder politischen Stand der Gesellschaft und den Machthabern.
In dieser klösterlichen - aber nicht religiösen - Welt des Klostrums begleitet der Leser einen jungen Avot - Fraa Erasmas - durch eine Geschichte, die viele Elemente erzählerischen Könnens aufgreift.
Was den Leser zu Beginn nicht nur auffällt, sondern auch fordert, ist die eigentwillige Sprache, die Stephenson verwendet. Damit meine ich nicht seine Formulierungen, die gewohnt brilliant ausfallen, sondern die eigene Sprache, die er für die klösterliche Welt der Hauptfiguren schafft. Dies hält in den ersten Kapiteln etwas auf, da man entweder im Glossar nachschlägt, oder sich den Wortsinn anhand der ethymologischen Konstruktion der Wörter erschließen muss, aber die Wörter machen Sinn und lehnen sich an lateinische oder in unserer Welt verwandte Wörter an. Später stört dies nicht mehr, da man sich sehr schnell das Vokabular angeeignet hat. Mir persönlich haben diese Wortschöpfungen sehr gut gefallen, da sie helfen die Ideen und die Gedankenwelt der "Avot" zu transportieren und die Stimmung in dem Roman unterstützen, dass diese in ihrer eigenen Welt leben.
Ich wil hier nicht den Inhalt des Romans wiedergeben oder "spoilern", sondern mich an die äußerliche Form der Erzählung halten.
Der Roman spielt im ersten Teil in der abgeschiedenen Welt des Klostrums, wo die Geschichte sich erst langsam zu entwickeln scheint. Viele Elemente, die am Rande erwähnt werden entpuppen sich erst später als bedeutsam. Dieser Teil führt auch einen später wieder verstärkt auftretenden Stil des Romans ein: Die Diskurse zwischen den Avot. Diese ideenrechen Streit- und Belehrungsdialoge, die manchmal einen etwas intellektuelen Touch haben, machen für mich einen erheblichen Reiz an dem Roman aus. Ich könnte es aber auch verstehen, wenn sie manchen Lesern etwas zu sehr ins Detail gehen oder sich zusehr in die reine Ideenebene versteigen.
Im weiteren Verlauf des Romans lassen die Ereignisse Erasmas eher einen Abenteuerroman erleben - für mich persönlich die uninteressanteeren Teile - bevor die Geschichte nocheinmals diskurslastig wird und dann in einer unerwarteten Umgebung endet.
Es ist schwer, diesen Roman zu klassifizieren. Es ist sicher kein klassischer Science-Fiction- oder Abenteuer-Roman, greift aber Elemente aus diesen Bereichen auf. Wie andere große Werke von Stephenson (z.B. Diamaond Age) ist der Roman mit ein wenig geistiger Arbeit verbunden und nicht immer einfache Feierabend-Lektüre.
Ich war besonders von den neuen unverbrauchten Ideen und dem perfekten Einbetten existierender philosophischer oder naturwissenschaftlicher Elemente begeistert.
Wer im positiven Sinne gefordert sein möchte und neue, unverbrauchte Fiktion in perfekter Sprache lesen möchte ist mit Anathem meinder Meinung nach bestens bedient.