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Sextoys, Pornos und gesellschaftliche Ächtung

Der älteste Sex-Shop Kölns schließt seine Pforten

1962 eröffnete Beate Uhse den ersten Sex-Shop der Welt. Dieser war in Flensburg beheimatet und als "Fachgeschäft für Ehehygiene" deklariert. In demselben Jahrzehnt kam auch die sexuelle Revolution in Deutschland ins Rollen. Immer mehr Menschen interessierten sich für und beschäftigten sich mit ihrer Sexualität. Beathe Uhse errichtete in der Folge eine ganze Kette an Sex-Shops. Andere Anbieter wie Orion zogen bald nach und auch unabhängige Shops begannen aus dem Boden zu schießen.

Mit dem Internetzeitalter verloren die Sex-Shops an Wichtigkeit

Mit den breiten Angebotspaletten international agierender Anbieter, der neuen Anonymität und vor allem dem neuen Preisgefüge konnten sie bald nicht mehr mithalten. Zudem hatten und haben viele Sex-Shops noch immer ein gewisses Schmuddelimage inne. Man schaue sich nur einmal an, wo man Sex-Shops in der Regel findet: Das sind weniger die Innenstädte und mehr Bahnhofsviertel oder Industriezentren.

Viele versuchten zwar, sich anzupassen und von ihrem Schmuddelimage wegzukommen, indem sie ihre Läden hell und freundlich gestalteten oder sich direkt auf enge Zielgruppen (etwa Sex-Shops für Frauen oder Fetischanhänger usw.) beschränkten. Doch egal, wie erfolgreich manches Einzelkonzept auch sein mag, der Niedergang der stationären Shops ist schon lange nicht mehr von der Hand zu weisen.

Maria Koch schaut zurück auf 38 Jahre Tätigkeit in ihrem Sex-Shop. © Monika Sandel
Maria Koch schaut zurück auf 38 Jahre Tätigkeit in ihrem Sex-Shop. © Monika Sandel
 

Der Autor des empfehlenswerten Buches "Porno in Deutschland", Philip Siegel, der weiterhin in unregelmäßigen Abständen über eine Branche schreibt, die sich in den letzten Jahren extrem wandelte, besuchte einen traditionsreichen Sex-Shop in Köln. Dessen Besitzerin verabschiedet sich nach 38 Jahren aus der Branche. Mit ihr ihr kleiner Shop. Für uns blickt sie zurück auf eine tolle Zeit, die nicht immer einfach war…

Der Siegeszug der Pornografie und die Auswirkungen

"Sex wird total überbewertet", sagt die Frau, die über fast vier Jahrzehnte genau damit ihr Geld verdient hat. "In Filmen, in der Musik, in der Werbung, überall Sex. Das ist doch nicht normal." Maria Koch ist Inhaberin eines Sex-Shops. Draußen, auf der schmalen, knallbunten Fassade steht: "Das Erotikfachgeschäft für Frauen und Männer". An einem Samstag geht auf der leicht verwahrlosten Venloerstraße in dem Kölner Stadtteil Ehrenfeld ein Stück Kulturgeschichte zu Ende.

Der älteste Sex-Shop der Domstadt macht dicht. Nach 38 Jahren. Maria Koch geht in Rente.

Als die kleine, schlanke Frau im Mai 1976 mit ihrem damaligen Ehemann den schmalen Laden eröffnet, ist Pornografie gerade seit drei Jahren erlaubt. "Der Sommer war unglaublich heiß, keiner kam zu uns. Wir wollten schon schließen, aber im Herbst haben die uns dann alles aus den Händen gerissen."

Pornografie wird zu einem Bestandteil des öffentlichen Lebens. Große Kinos, die nur Pornos spielen, eröffnen überall in Deutschland. In Köln sind es vier.

Das kleinste Pornokino der Stadt wird ersetzt durch Videokabinen

Aber auch das kleine "Sex-Center" (so hieß der Laden damals) zeigt Filme. Super-8. Ein winziger Raum mit sechs Holzstühlen, einer Bank und einer Leinwand, nur unwesentlich größer als ein moderner Plasmabildschirm. So saß die Kundschaft damals eng aneinander gedrückt und schaute anderen Menschen beim Sex zu. Ein Miteinander von fast intimer Vertrautheit. Für heutige Verhältnisse fast unvorstellbar. Maria Koch legte die Filme in den Projektor und wischte nach Geschäftsschluss den Zuschauerraum.

Das vielleicht kleinste Kino der Stadt gibt es schon lange nicht mehr, dafür stehen da seit Jahren fünf Videokabinen. 20 unterschiedliche Filme, 50 Cent für vier Minuten. "So günstig kriegen sie das nirgendwo in Köln", meint Maria Koch nicht ohne Stolz. Aber im Internet-Zeitalter gelten Kabinen als Anachronismus. Porno-Kabinen, das gleicht Onanieren in der Öffentlichkeit. Heute sind supermarktähnliche Erotik-Center angesagt, die gut ausgeleuchtet alles vermeiden, was schmuddelig wirken könnte.

Pornos gelten jetzt im Sex-Shop als dirty. So haben sich die Zeiten geändert.

Das Leben mit der Lüge aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung

Nachdem ihre Ehe Anfang der 90er Jahre in die Brüche geht, führt Maria Koch den Laden alleine weiter. Eine Frau, die fast jeden Tag, 38 Jahre lang, immer nur mit Pornos, Sexspielzeug und Reizwäsche zu tun hat, die mit manchmal recht merkwürdigen sexuellen Wünschen konfrontiert wird – geht das eigentlich auf Dauer? Schlägt einem das nicht irgendwann aufs Gemüt?

Es gab natürlich Erlebnisse, die immer in Erinnerung bleiben: Etwa der Mann, der sich neben die Reizwäsche stellte und an einer Babyflasche nuckelte – so lange, bis Maria Koch nicht mehr anders konnte, als ihn vor die Tür zu setzen. Oder der Videokabinenbesucher, der Löcher in die Wände bohrte, um seine Nachbarn zu beobachten. Ein anderer Kunde, der immer wieder mit Plastiktüten voller neuer Sachen aufkreuzte und sich in den Kabinen seiner abgetragenen, stinkenden Kleidung entledigte. All das gehörte sozusagen dazu. War Teil ihrer Arbeit. Sagt sie.

Was mir wirklich zugesetzt hat, war die gesellschaftliche Ächtung, vor allem die der Frauen.
Der schlauchförmige Sex-Shop hat 38 Jahre auf dem Buckel.
Der schlauchförmige Sex-Shop hat 38 Jahre auf dem Buckel.
 

Maria Koch wird ganz ernst. "Die Feministinnen haben mir in den 70er-Jahren das Leben schwer gemacht." Zugeschmierte Schaufenster und verklebte Türschlösser. "Ich hatte oft Angst, dass mir diese Furien den Laden zerlegen. Und das mir als Frau." Aber eine andere Form der Missachtung hat sie stärker getroffen, persönlicher. "Beim Kegelabend, beim Gartenfest, immer die ähnliche Reaktion: Die Männer neugierig, interessiert, die Frauen voller Verachtung und Geringschätzung. Für die Frauen war ich damals wie ein Feind, weil ich etwas verkaufte, mit dem sie so ihre Schwierigkeiten hatten: Sex."

Irgendwann fing Maria Koch dann an zu lügen und verschwieg ihren Beruf. 20 Jahre lang hat sie gelogen. Auch gegenüber ihrer Tochter. Erst als die 15 ist, rückt sie mit der Wahrheit raus. "Die hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt", erinnert sich Maria Koch heute und lacht, unbeschwert und herzlich.

Das Zwischenmenschliche geht mit dem Verschwinden der Sex-Shops verloren

Der kleine Laden, dieser schmale, etwas abgewetzte 70qm-Schlauch, hat seine besten Zeiten längst hinter sich. Viele Regale stammen noch aus den Anfangsjahren, jetzt sind die meisten fast leer und sorgen für zusätzliche Tristesse. Ab und zu geht die Tür auf, ein Mann betritt den Laden, begutachtet die Restposten: "Saugnippel mit Ballpumpe".

Ein junger Typ, Jeans, Kappe, Turnschuhe, kommt bis zur Kasse und ist enttäuscht, als er die leeren Auslagen sieht. "PVC-Hosen" steht noch auf einem Pappschild. Damit ist sogenannte Adult-Babywäsche gemeint – farbige, unterschiedlich gemusterte Gummiunterhosen für Männer. "Schade, dass Sie bald zumachen", sagt der Mann völlig unbeschwert von irgendeiner Scham. "Ich werde Ihre Beratung vermissen. In den großen Läden macht das doch keinen Spaß."

"Sie haben sich was Schönes ausgesucht."
"Sie haben sich was Schönes ausgesucht."
 

Ein anderer Kunde hat drei DVDs ausgewählt, zum Paketpreis von 7,50 EUR. Die Titel: "Das Beste aus Pussy-Exzesse", "Lutsch-Luder" und "Männerüberschuss Extrem". "Sie haben sich was Schönes ausgesucht", meint Maria Koch mit der ihr ganz eigenen Art von Höflichkeit. Manchmal wirkt sie dabei so, als sei sie selbst ein wenig verwundert über das, was sich da um sie herum abspielt.

Maria Koch hat in den letzten Wochen viele Geschenke bekommen: Rotwein, sogar eine Flasche Champagner, Konfekt, Blumen. Auch von dem 94-Jährigen, der immer mit dem Taxi vorfuhr und der sich dann von Maria Koch stützen ließ bis zum rettenden Stuhl neben dem Porno-DVD-Regal. "Dem habe ich dann die Cover-Texte vorgelesen und die Bilder beschrieben."

Respektvolle Intimität als Dienstleistung

Der kleine, vom Inhaber geführte Sex-Shop erleidet gerade ein ähnliches Schicksal wie der Tante-Emma-Laden vor 30 Jahren. Der Bundesverband Erotikfachhandel sieht einen deutlichen Schrumpfungsprozess. Grob geschätzt: Vor zehn Jahren 1400 Geschäfte, jetzt noch 800. Der persönliche Kontakt geht verloren, alles wandert ab ins Internet. Maria Koch sieht auch für sich das typische Einzelhändler-Problem: "Der Kunde kommt, guckt, lässt sich erklären – und bestellt dann im Netz." Wer immer wieder kommt, sind die Stammkunden. Ältere Kunden. Auch ein paar Jüngere.

Wie wird das sein, am Montag aufzuwachen ohne Sex-Shop? "Gut", sagt sie. "Aufwachen und wissen, keine Videokabinen mehr sauber wischen zu müssen." Sie lacht:

Manchmal habe ich mich schon gefragt: Mit was verdienst Du hier eigentlich die ganze Zeit Dein Geld?

Aber etwas wird sie nach 38 Jahren auch vermissen, ganz klar. "Das Schönste war das Vertrauensverhältnis mit den Kunden. Von fast keinem kannte ich den Namen, aber von vielen die Geschichte. Von der Ehe, der Freundin, den Krankheiten, den Sorgen im Beruf." Vielleicht ist das über fast vier Jahrzehnte lang die eigentliche Dienstleistung von Maria Koch: Mitten in der Anonymität eines Sex-Shops ist so etwas entstanden wie eine respektvolle Intimität zwischen Männern und einer Frau.

 

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© Philip Siegel
© aller Bilder: Monika Sandel