Verhütung ist immer noch Frauensache – zumindest dann, wenn sie sicher und zuverlässig sein soll. Für Männer, die selbst Verantwortung übernehmen möchten, sind die Möglichkeiten begrenzt: Kondome können verrutschen, platzen und beiden Partnern den Spaß verderben. Bleibt die Option eines chirurgischen Eingriffs – der aber auf Dauer unfruchtbar macht. Was fehlt, ist ein sicheres Verhütungsmittel für Männer, das man auch wieder absetzen kann. Warum nur gibt es das bisher noch nicht?
Autorin: Irene Habich | Beitrag erschien ursprünglich in der Séparée, Ausgabe 20.
Komplizierte Verhütungsversuche der 80er-Jahre-Hodenbader
Bestrebungen, Verhütung zur Männersache umzuwandeln, gab es schon früh. Einige Beachtung fanden in den 80er Jahren die Experimente der "Hodenbader", einer Gruppe männlicher Feministen um den Schweizer Beat Schegger. Sie versuchten, sich selber unfruchtbar zu machen, um damit das Patriarchat zu beenden und "konkret etwas zur Gleichstellung von Mann und Frau beizutragen".
Dafür lagerten die Aktivisten ihre Hoden täglich in einem Wasserbad, das sie mit dem Tauchsieder auf 45 Grad Celsius erhitzten. Die Prozedur war nicht wirklich angenehm: So mussten die Hodensäcke mit Gewichten beschwert werden, um sie ganz in das Bad einzutauchen. Und es galt, den Penis vor der Verbrühung zu schützen.
Bekannt war aber schon damals, dass Wärme die Spermienproduktion vermindert, und so zeigten die Torturen tatsächlich Erfolg: Als die Hodenbader ihre Samenflüssigkeit nach drei Wochen unter dem Mikroskop begutachteten, stellten sie fest, dass diese so gut wie frei von Spermien war. Als Verhütungsmethode konnte sich das Ganze trotzdem nicht durchsetzen.
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Warum gibt es nicht einfach eine Pille für den Mann?
Aber warum nur wurde bis heute keine schmerzfreie Alternative zum Hodenbaden erfunden? Wieso gibt es immer noch kein Medikament zur männlichen Kontrazeption? Tatsächlich werde bereits seit Jahrzehnten wissenschaftlich daran geforscht, sagt Eberhard Nieschlag, einer von wenigen deutschen Experten auf dem Gebiet.
Schon in den 70ern habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Arbeitsgruppe gegründet, um ein Verhütungsspräparat für Männer zu entwickeln, der auch er angehörte. Und bis heute versuche die WHO, die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben. "Man hofft, dass es dadurch weltweit zu weniger ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen kommen würde", sagt Nieschlag.
Dass es bisher noch keine Pille für den Mann zu kaufen gibt, liege am mangelnden Interesse der Medikamentenhersteller, glaubt er: "Die WHO kann nur die Forschung fördern. Um Medikamente auf den Markt zu bringen, braucht es die pharmazeutische Industrie."
Die aber verspreche sich von einem Verhütungspräparat für Männer nicht genug Profit. Als Konkurrenzprodukt zur beliebten und günstigen Pille für Frauen dürfte es nämlich nicht zu teuer verkauft werden. Und da satte Gewinne die Konzerne naturgemäß mehr interessieren, als die Förderung der Gleichberechtigung, lässt die Pille für Ihn weiterhin auf sich warten.
Vielleicht liegt es auch daran, dass die Entscheider in Pharmaindustrie und -forschung vorrangig männlichen Geschlechts sind – und keine Notwendigkeit sehen, ihre Geschlechtsgenossen bei der Verhütung in die Verantwortung zu nehmen. Auch glaubt man offenbar, dass Nebenwirkungen, wie sie bei der Pille für Frauen auftreten, für Männern nicht tragbar seien.
Die JOYclub-Redaktion hat 5.000 männliche Mitglieder befragt: "Stell dir vor, es gäbe eine Pille für den Mann, die dich für die Dauer der Einnahme mittels bestimmter Hormone zeugungsunfähig macht: Würdest du sie nehmen?" Die Antworten:
- 44 Prozent wissen nicht, ob sie das tun würden.
- 39 Prozent sagen "Das wäre super, das würde ich machen."
- 17 Prozent geben "Auf gar keinen Fall" an.
Studien mit Hormonspritzen wurden abgebrochen
Wie Verhütung bei Männern funktionieren könnte, weiß man hingegen seit langem. Nieschlag war früher als Professor am Institut für Reproduktionsmedizin in Münster tätig. Dort hatte er Männer behandelt, deren Hoden zu wenig Spermien produzieren: "Bei der Verhütung wäre es ja genau das, was man erreichen will, aber eben nur vorübergehend", sagt er. "Am besten ginge das mit einem Hormonpräparat."
Während die Pille für Sie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen enthält, müsste man Männern das männliche Geschlechtshormon Testosteron verabreichen. Es wird normalerweise in den Hoden produziert. Nimmt man es zusätzlich künstlich auf, zirkuliert eine große Menge davon im Blut.
Dem Organismus spiegelt das vor, dass das Hormon bereits im Überfluss vorhanden sei. Also fährt dieser die körpereigene Produktion von Testosteron und weiteren Botenstoffen zurück. All das führt dazu, dass Spermien nicht mehr ausreifen können. Verstärken lässt sich die Wirkung, wenn man zusätzlich Gestagene einnimmt, Hormone, die auch in der Pille für Frauen enthalten sind.
2009 testete die WHO erstmals Testosteron- und Gestagen-Injektionen an einer Gruppe von Männern, eigentlich mit einem guten Ergebnis. Die Hormonspritzen hätten die Fruchtbarkeit wirksam unterdrückt, sagt Nieschlag. Leider sei die Studie dennoch abgebrochen worden, der Grund:
Den Männern aber, beschloss man, seien die Nebenwirkungen nicht zumutbar. "Ich fand das sehr schade", sagt Nieschlag. "Auch deshalb, weil sich die Versuche in einer frühen Phase befanden, in der es lediglich um die Wirksamkeit ging. Über eine Anpassung der Dosis hätten sich die Nebenwirkungen nach und nach reduzieren lassen." So sei auch die Pille für Frauen mit den Jahren weiterentwickelt und immer besser verträglich geworden, nachdem man Erfahrungen mit der Anwendung habe sammeln können.
Aktueller Forschungsstand zur männlichen Verhütung
Inzwischen sind noch weitere Ansätze in der Erprobung: So gelang es amerikanischen Forschern vor kurzem, Rhesusaffen vorübergehend zeugungsunfähig zu machen. Sie hatten ihnen ein Medikament verabreicht, dass die Spermien unfähig macht, zu schwimmen.
Noch in der Entwicklung ist außerdem ein Kunststoffgel, welches sich Männer in den Samenleiter injizieren sollen. Es soll zwar Samenflüssigkeit, aber keine Spermien durchlassen. Schottische Wissenschaftler verfolgen zudem die Idee, ein Gen zu blockieren, ohne das die Spermien nicht ausreifen können.
Haben Hormonpräparate Zukunft?
Wenn Männer mit Medikamenten verhüten, ist es jedenfalls wichtig, dass sich ihre Spermienqualität dabei nicht dauerhaft verschlechtert. Sonst könnte es nach dem Absetzen weiterhin schwierig sein, Vater zu werden. Und würde mit beschädigten Spermien dennoch ein Kind gezeugt, weil die Verhütung nicht perfekt funktioniert, drohen diesem womöglich Erbgutschäden.
"Zumindest die hormonelle Verhütung wäre aber vollständig reversibel", sagt Eberhard Nieschlag. "Nach allem, was wir wissen, ist sie nicht schädlich für die Kinder, wenn doch welche gezeugt werden. Und wenn man sie absetzt, kehrt auch die Fruchtbarkeit zurück." Bei anderen Methoden kenne man die Risiken noch nicht genau.
Und so wurde der bisher vielversprechendste Ansatz, also der für ein Hormonpräparat, auch nicht verworfen. Momentan wird in den USA an Männern eine Pille getestet, die einen Wirkstoff mit dem sperrigen Namen "Dimethandrolone undecanoate" (DMAU) enthält. Er vereint die Eigenschaften von Testosteron und einem Gestagen und soll die Spermienproduktion sicher blockieren – dabei sollen höchstens geringe Nebenwirkungen auftreten. Es sind aber weitere Experimente nötig. Erfunden wurde DMAU nicht etwa von der Pharmaindustrie, sondern von einer amerikanischen Gesundheitsbehörde.
Männer-Pille hat ähnliche Nebenwirkungen wie Frauen-Pille
Kollegen von Nieschlag ist es ebenfalls unverständlich, dass es trotz allem so lange bis zur Marktreife eines Verhütungsmittels dauert. "Die Pille für den Mann könnte es im Prinzip schon längst geben, denn Studien haben gezeigt, dass Testosteron wirkt", sagt Wolfgang Bühmann vom Berufsverband der deutschen Urologen.
Aus medizinischer Sicht sieht auch er keinen handfesten Grund dafür, warum frühere Studien abgebrochen wurden: "Natürlich muss ein solches Präparat in der Anwendung sicher sein. Die Nebenwirkungen waren aber im Prinzip dieselben, die bei der Pille für die Frau auftreten können."
Es gebe nur kleine Unterschiede: Männer wie Frauen legen zum Teil an Gewicht zu, wenn sie die jeweiligen Hormonpillen zur Verhütung einnehmen, und beide leiden teilweise unter Stimmungsschwankungen. Unter Testosteron-Einfluss, also bei den Männern, könne sich diese aber teilweise als Aggressivität äußern. Bei Frauen kommt das Risiko für gefährliche Thrombosen als Nebenwirkung der Pille für Sie hinzu, das bei Männern entfällt. Dafür verlangsame Testosteron den Blutfluss und könne das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen, sagt Bühmann.
Es sei insofern "nicht einzusehen", dass Frauen die möglichen Gesundheitsrisiken alleine tragen. Männer und Frauen sollten die gleichen Rechte und Pflichten haben: "Von daher wäre es gut, wenn es auch ein medikamentöses Verhütungsmittel für Männer gäbe", findet der Urologe. "Bisher wurden sie da aus der Verantwortung entlassen."
Bühmann glaubt, dass Männer durchaus Interesse an so einem Produkt hätten. Jedes Mal, wenn in der Zeitung ein Bericht über Forschungsdurchbrüche auf diesem Gebiet erscheint, kommen Patienten mit Nachfragen in seine Sylter Praxis: "Es gibt auf jeden Fall eine große Neugier. Viele mögen Kondome nicht so sehr und suchen nach einer Alternative, um die Verhütung selber in die Hand zu nehmen."
Sind Männer für eine eigene Pille zu faul?
An Akzeptanz, glaubt Bühmann, würde es also wohl nicht mangeln, wenn endlich ein Produkt auf den Markt kommt. Das Problem sei ein anderes:
Bühmann traut ihnen schlichtweg nicht zu, eine Pille mit der nötigen Regelmäßigkeit einzunehmen. "Ich spreche da aus Erfahrung, denn als Urologe habe ich sowohl weibliche als auch männliche Patienten." Männer hätten eine schlechte "Compliance", womit in der Medizin die Therapietreue gemeint ist.
Sie vergessen öfter ein Medikament oder setzen es auch einmal eigenmächtig ab, schon, wenn nur leichte Nebenwirkungen auftreten. "Womöglich muss die Frau dann dem Mann die Tablette geben", sagt Bühmann und meint das nur halb im Scherz. Dass marktreife Produkte aber ohnehin weiter auf sich warten lassen, so sieht es auch Bühmann, liege am mangelnden Interesse der Industrie.
Verhütung: Männer müssen mehr Verantwortung übernehmen
Um die Entwicklung der Pille für Ihn trotzdem zu beschleunigen, wurde inzwischen ein internationales Konsortium für männliche Verhütung gegründet, das auch Nieschlag unterstützt. Im vergangenen Jahr hat es ein Manifest veröffentlicht: Darin sind noch einmal all die Gründe aufgelistet, die die Pille für Ihn erstrebenswert machen.
Es sei an der Zeit, dass Männern zuverlässige Mittel angeboten würden, damit diese die Verantwortung für die Verhütung mit ihren Partnerinnen teilen könnten. Frauen müssten immer noch die Last von 85 Millionen ungeplanter Schwangerschaften und 48 Millionen Abtreibungen weltweit pro Jahr tragen.
Neue männliche Verhütungsmittel würden die Bedürfnisse von Millionen Männern und Frauen erfüllen, so das Expertengremium. Daher sollten Regierungen, Gesundheitsbehörden und nicht-kommerzielle Organisationen die Forschung unterstützen, und sich mit der Pharmaindustrie zusammenschließen.
Das Manifest endet mit einem klaren Appell: "Wir fordern jetzt mehr Aktivität!" Die Zeit für männliche Kontrazeption sei gekommen, damit Männer und Frauen profitieren und "das Wohlergehen von Familien, Gemeinschaften und des Planeten Erde insgesamt" gefördert werde.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Erotikmagazin Séparée, Ausgabe 20.
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