Gut, zurück zum Thema "Ist Swingen Wifesharing?". Es handelt sich dabei tatsächlich um zwei voneinander weithin unabhängige kulturelle Erscheinungen und Innovationen, obwohl sich beide heutzutage partiell überschneiden. Swingen entstand in den USA. Die ersten Swingerclubs entstanden nach Zulassung und Etablierung der Sexshops (zum Vertrieb pornographischer Erzeugnisse) in den Großstädten um 1970, damit also die sogenannte "Swinger-Szene". Die BDSM- Szene ist weitaus älter. Ihre Wurzeln reichen zurück bis mindestens in die Zeiten des Ancien Régimes in Frankreich, Österreich, Italien, Spanien usw. Die Rede ist hier von den aristokratischen und großbürgerlichen „Libertins“ des 18. Jahrhunderts und der Pflege der sogenannten „Libertinage“ (Libertinismus). Neben dem Franzosen de Sade sei hier vor allem der Venezianer Giacomo Casanova (1725-1798) genannt.
Geistiger Vater dieser Bewegung ist der Marquis Donatien de Sade (1740-1814), der sich als „Anti- Rousseau“ begriff und Pate stand zur Definition und Bezeichnung einer bestimmten Neigung aus sexuellen und anderen Motiven heraus andere Menschen zu unterwerfen, zu reinen Objekten zu degradieren und diesen durch unterschiedliche Techniken Qualen zu bereiten. Ziel von Wehrlosmachung (Fesselungen) und Folterungen ist jedoch innerhalb des neuzeitlichen Sado-Masochismus (SM) oder des „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ (BDSM) die Erzeugung von sexueller Lust und Lustschmerz und nicht etwa die Zerstörung der Physis devoter und masochistischer Subjekte, da sich diese Szene im 19. Jahrhundert aus dem Großbürgertum und der „Schwarzen Romantik“ herausentwickelte. (Näheres zum Thema „Schwarze Romantik“, siehe Mario Praz „La carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica“, Florenz 1930; 1963 in Deutsch erschienen beim Carl Hanser Verlag unter dem Titel „Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik“.)
Sowohl Großbürgertum als auch „Schwarze Romantik“ des 19. Jahrhunderts waren aufs Engste mit dem Humanismus (d.h. der Studia humanitatis- zu unterscheiden von „Humanität“, auch „Humanitarismus“ genannt; Humanität bildet lediglich eine Folge einer humanistischen Bildung und damit von Zivilisiertheit im klassische Sinne, die u.a. Dinge wie Kannibalismus verbietet), somit also mit der klassischen, hellenistischen Bildung verbunden. Insofern konnte die „Kultivierung des Bösen“ niemals de Sadsche Ausmaße erreichen und verband sich außerdem mit ästhetischen Maßstäben, was besonders in punkto Haltungsübungen und Bondage zum Tragen kommt. Ohne jetzt näher auf Bondage und desen asiatisches Äquivalent Shibari einzugehen (jede Schlinge, jeder Knoten sind hier der Ästhetik unterworfen), sei festgestellt, dass selbst die „Histoire d' O,“ (Geschichte der O) von Anne Desclos aus dem Jahre 1954, in dessen Mittelpunkt eine masochistische Ich-Erzählerin im Kontext zu einem elitären Kreis von Libertins und Sadomasochisten steht, älter ist als die neuzeitliche Swingerszene. Um es also deutlich zu sagen: Sadismus und das, was man später „Sadomasochismus“ taufte, verbindet sich aufs Engste mit der Libertinage des 18. Jahrhunderts. Die vornehmlich aristokratischen Libertins dieser Zeit benutzten überwiegend niedriger gestellte Personen zur Auslebung extremer Fantasien und Wünsche, kombinierten teilweise mittelalterliche Methoden (z.B. die softeren Methoden der Inquisition zu Zeiten der Renaissance) mit Vaginalverkehr und dem, was sie als „Sodomie“ bezeichneten, also Analverkehr. (Erst später wurde dieser Begriff synonym mit Zoophilie, d.h. dem Sex mit Tieren!)
Die Ursprünge der kleinbürgerlichen Swingerszene des 20. Jahrhunderts werden zwar bei amerikanischen Kriegsveteranen der vierziger und fünfziger Jahre vermutet, tatsächlich bildete sich diese jedoch als konkrete Subkultur erst im Zuge der „Sexuellen Befreiung“ und damit der 68er- Bewegung im urbanen Millieu der westlichen Hemisphäre oder Zivilisation heraus.
Wifesharing ist nicht allein in den ersten pornographischen Produkten der Libertins des 19. Jahrhunderts (im Gefolge von Autoren wie etwa Oscar Wilde (ein Libertin und Romantiker des späten 19. Jahrhunderts; geboren 1854 in Dublin und verstorben in Nietzsches Todesjahr 1900 in Paris), der die „L'art pour l'art“ zum Höchsten erhob, d.h. die Kunst um der Kunst willen, das Schöpferische und die reine Ästhetik als Selbstzweck) festzustellen, sondern besonders in der „Histoire d'O“ (Geschichte der O).
Genau genommen erfanden die Libertins des 18. und 19. Jahrhunderts zwar nicht die Triole, also den „flotten Dreier“; die SM-Szene kultivierte jedoch das Wifesharing und das DWS, das „Dominante Wifesharing“, wie wir es gerade sehr häufig dargestellt finden in den Novellen von Anne Desclos um die Sklavin „O“.
Vieles an dieser Novelle ist symbolistisch, so auch bsw. die Berufswahl der „O“ (nämlich Fotografin eines französischen Modemagazin). Oscar Wilde lässt grüßen!
Swingen bedeutet nichts anderes als „Freie Liebe“, d.h. die freie Auslebung von Sexualität mit unterschiedlichen Partner unterschiedlichen Geschlechts in den unterschiedlichsten Konstellationen. Wifesharing und DWS sind Spezialitäten der Libertins des 18. und 19. Jahrhunderts mit Praktiken wie Analverkehr, Doppelpenetration (auch vaginal) und Deepthroating. Nicht jeder Wifesharer mag jedes dieser und anderer Elemente des SM praktizieren und überdies entstand im Laufe des späten 20. Jahrhunderts ein vom BDSM mehr oder minder autonomes Wifesharing.
DWS, also dominantes Wifesharing befindet sich jedoch nach wie vor unter Ägide des BDSM und damit der BDSM-Szene.
Zurück zur Ausgangsfrage „Ist Swingen WS?“.
Klare Antwort: Wifesharing kann nicht mit Swingen, also freier Liebe gemeinhin synonym gesetzt werden, selbst wenn WS tatsächlich innerhalb der Swingerszene entstanden wäre, was freilich nicht der Fall ist. Holzschnitte, Gemälde bsw. des 17. und 18. Jahrhunderts, vom Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. bishin zu de Sades Buchillustrationen belegen klar, dass die MMF oder sogar MMMF und MMMF oder auch die MFMF etc. Spielarten von den Libertins gepflegt wurden lange bevor eine moderne bourgeoise Swingerszene entstand. Und genauso beliebt waren bei den Libertins Fesselungen und Züchtigungen, die Auslebung von Dominanz, Unterwerfung und Lustschmerz.
Wenn Swingen somit das gesamte Automobil der bürgerlichen „Freien Liebe“ darstellt, bildet WS ein Element dieses Vehikels (bsw. die Reifen). Es ergibt keinen Sinn ein ganzes Automobil und Autoreifen per se gleichzusetzen. Man stelle sich vor, man suche einen PKW zu erwerben und erhält dann vom Verkäufer nur Teiles desselben wie etwa die Reifen oder den Motor ohne Karosserie.
Tatsächlich wird WS allerdings auch heute noch überwiegend privat praktiziert und weniger in Clubs, in denen eher Gruppenaktionen oder MFMF im Vordergrund stehen.
Nochmals abschließend: Ist Swingen gleichbedeutend mit WS? Nein!