Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Stammtisch München
5627 Mitglieder
zum Thema
Der Besuch (FSK 18)15
Hallöchen zusammen. Da ich ein kreativer Mensch bin, tobe ich mich…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Die Wiederkehr

It´s me!
*********ld63 Frau
9.267 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Die Wiederkehr
Da meine neue Geschichte für die Kurzgeschichtengruppe auch gut in unsere Gruppe passt, poste ich sie mal hier für euch.

Doch Vorsicht: Gruselgefahr! *angsthab*
Denn wer weiß, ob sie sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen hat... *zwinker*


*blume*

Die Wiederkehr

Ein goldener Oktobertag in einem kleinen, verwunschenen Dorf in Rheinhessen. Anne nahm einen Schluck Cappuccino und lehnte sich entspannt zurück. Sie schloss die Augen und genoss die unerwartete Sonnenwärme auf ihrem Gesicht. Welch Wohltat nach den grauen, regnerischen Tagen der letzten Wochen! Das Café lag zentral in der Altstadt, inmitten pittoresker Fachwerkhäuser. Es war nicht viel los an diesem Montag. Abgesehen von einem alten Mann, der auf der Bank neben dem Eingang saß, war sie der einzige Gast.

Als sie vor zwei Tagen von München angereist war, hatte sie noch mit sich gehadert, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, zwei Wochen ihres Urlaubs in ihrer hessischen Heimat zu verbringen. Doch schon auf der Taxifahrt vom Bahnhof zu ihrem Elternhaus fiel der Stress der letzten Wochen merklich von ihr ab. Im letzten Jahr hatte sie so viel gearbeitet, dass sie fast taub geworden war für den steten Lärmpegel der Großstadt, in der sie lebte. Selbst das kontinuierliche Hintergrundrauschen der Stadtautobahn hatte sie kaum noch wahrgenommen.

Es war bereits dunkel, als sie endlich ankam. Anne stieg aus dem Taxi und blickte in den sternenklaren, funkelnden Nachthimmel. Nach dem letzten Regenschauer war die Luft würzig und frisch. Plötzlich spürte sie, wie sehr sie das alles vermisst hatte. Ihre Mutter empfing sie an der Tür in Kittelschürze und Pantoffeln. Sie war sichtlich überrascht. „Kind, warum hast du nicht angerufen, bevor du uns besuchen kommst? Ich konnte gar nichts vorbereiten für deinen Besuch!“

Anne stellte ihren Koffer ab und umarmte sie fest. Ihre Mutter wurde immer vergesslicher. Das war auch der Hauptgrund, warum Anne nachhause gefahren war: um nach dem Rechten zu sehen. Seit ihr Vater vor zwei Jahren seinem zweiten Herzinfarkt erlegen war, driftete ihre Mutter immer mehr ab in ihre eigene Welt. Zeitweise vergaß sie, dass er nicht mehr lebte und sprach von ihm, als sei er nur kurz zum Einkaufen gefahren.

Anne hatte beschlossen, sich heute eine Auszeit von ihrer Familie zu nehmen und war mit dem Polo ihrer Mutter losgefahren, um die Gegend zu erkunden. Als Kind war sie oft hier gewesen auf Sonntagsausflügen, doch die Erinnerungen daran waren blass und verschwommen. Das goldene Licht ließ die Weinberge in Rot- und Gelbtönen leuchten. Feiner Nebel lag über den Hügeln und hüllte die liebliche Landschaft in ein mystisches Licht. Anne betrachtete alles staunend, als sähe sie es zum ersten Mal. Eine Burgruine aus dem 12. Jahrhundert lockte sie, die hoch über dem Dorf auf einem Hügel thronte.

Der Ausblick auf die Rheinebene bis in die benachbarte Bergstraße war wunderschön. Als sie zwischen den moosbewachsenen Steinen und den Mauerresten umherschlenderte, tauchte sie tief ein in die Geschichte dieser Burg. Einst war sie der Sitz von Königen und Kurfürsten gewesen, war vielen Angriffen ausgesetzt und wurde im Dreißigjährigen Krieg endgültig zerstört. Bis auf die Grundmauern brannte sie nieder, nur die meterdicken Außenwände hatten das Feuer überstanden. Der Innenhof der stattlichen Ruinen wurde noch immer für Freiluftspiele und besondere Feiern genutzt. Auf einer Tafel sah Anne eine Zeichnung der ursprünglichen Festung aus dem 14. Jahrhundert. Vor ihren Augen erwachte die Burg zu neuem Leben. Was für ein magischer Ort!

Anne griff nach ihrem Handy und betrachtete die Aufnahmen der Burgruine, die sie gemacht hatte. Dieser Ort hatte eine morbide Schönheit, die sie völlig eingenommen hatte. Bei einem der Fotos stutzte sie. War dort ein Schatten neben der riesigen Erle, deren dicke Äste weit über die Mauern ragten? Sie konnte es nicht genau erkennen. Auf der Burg waren nicht viele Besucher gewesen und Anne hatte es sehr genossen, ungestört alle Winkel und Erker zu erkunden. Sie hatte völlig die Zeit vergessen und ihr Magen knurrte vernehmlich. Sie winkte dem Wirt und bestellte selbstgemachten Apfelkuchen mit Sahne. Der alte Mann hatte seine Hände auf den Gehstock gestützt und starrte neugierig zu ihr hinüber. Anne zog ihr Schreibheft aus der Tasche und begann, ein paar Eindrücke und Bilder zu notieren, die sich ihr aufgedrängt hatten während ihres Rundgangs durch die Ruinen.

Als der Wirt ihr den Apfelkuchen brachte, hob sie den Kopf. Rechts am Tisch neben ihr saß jetzt ein elegant gekleideter Mann im weißen Hemd und Lederwams. Er nickte freundlich ihr zu und tippte sich an seinen Hut. Er sah sehr zufrieden aus, während er über den Platz blickte, gerade so, als würde alles, was er sah, ihm gehören. Seltsam, dachte Anne, sie hatte ihn gar nicht kommen sehen.
Zwei Tische weiter saß nun eine junge Frau im langen, taubenblauen Kleid. Sie trug eine weiße Haube auf dem Kopf und starrte mit düsterem Blick auf ihre gefalteten Hände. Von ihr ging eine tiefe Traurigkeit aus, als habe sie etwas unwiderruflich verloren.
Wie aus der Zeit gefallen, dachte Anne und sah sich irritiert um. Gab es hier eine Kleinkunstbühne? Waren das vielleicht Schauspieler, die ihre Mittagspause hier verbrachten? Neben dem alten Mann hatte sich noch ein weiterer Gast auf der Bank in der Sonne niedergelassen. Eine reichlich ramponierte Gestalt in abgewetzter Uniform und Lederstiefeln. Die wirren Haare standen in allen Richtungen von seinem Kopf ab. Anne betrachtete ihn stirnrunzelnd. Der Mann saß vornüber gebeugt, als sei er unendlich müde.

Der Wirt und Hotelmanager erschien wieder in der Eingangstür und begann, mit dem alten Mann zu plaudern. Von den neuen Gästen nahm er keine Notiz, auch schien er keinen Anstoß an dem Landstreicher zu nehmen, der in unmittelbarer Nähe neben dem Alten auf der Bank saß. Die Gäste wiederum rührten sich nicht auf ihren Stühlen.

Als der Wirt in seine Küche zurückkehrte, wurde es plötzlich sehr still im Café. Die Kirchturmuhr schlug dreizehnmal. Als habe sie auf dieses Zeichen gewartet, erwachte das Mädchen im taubenblauen Kleid aus seiner Trance und sah Anne eindringlich an. Ihre blauen Augen wirkten seltsam starr wie gesprungenes Glas. Auch der Kavalier neben ihr drehte sich zu Anne um. Der Blick aus seinen dunklen Augen war nun fordernd, eine stumme Aufforderung, wozu auch immer. Wie auf Kommando hob jetzt auch der zerlumpte Soldat den Kopf und sah in ihre Richtung. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen. Anne bemerkte mit Entsetzen, dass seine gesamte linke Gesichtshälfte eine einzige klaffende Wunde war.

Das ist jetzt nicht real! Panisch schloß sie die Augen und atmete ein paar Mal tief aus und ein. Oder ich bin schon so überarbeitet, dass ich wirklich anfange, durchzudrehen! Anne schüttelte heftig den Kopf, wie um diese Trugbilder abzuschütteln. Sie musste sich wieder beruhigen! Etwas streifte kurz ihre Hand wie ein eisiger Luftzug. Sie erschrak, riss die Augen auf und sah sich hastig um. Die Tische rechts und links von ihr waren leer.

Der Alte, der nun wieder allein auf der Bank in der Sonne saß, glotzte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Anne nahm all ihren Mut zusammen und fragte ihn: „Sagen sie, wo sind die anderen Gäste hin? Sie haben sie doch auch gesehen, oder nicht?“
Der alte Mann antwortete nicht und starrte sie nur weiter schweigend an. Schließlich legte er den Kopf in den Nacken und begann, lauthals zu lachen. Anne sprang auf, legte einen Schein auf den Tisch und verließ fluchtartig das Café. Das schrille, geckernde Greisenlachen verfolgte sie den ganzen Weg zurück bis zu ihrem Auto.

IntoTheWild, 10.2022
Collage @IntoTheWild63
**********silon
8.337 Beiträge
wie schon geschrieben, die nimmt mich total mit. *g* ich mag diesen schauer.
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.