Ziehst....
"Ziehst Du mal mit runter?"
Diese Frage bezeichnet im Fachjargon unserer meist weiblichen werktätigen Kassiererinnen vorwiegend im Discounter-Bereich die Bitte an die Kollegin, doch mal für drei bis vier Minuten eine zweite Kasse zu öffnen, um die Schlange der wartenden Kunden von etwa 10-12 auf einbiszwei Einkaufswagen zu verkürzen.
Kommt die Kollegin dieser Bitte nach, so führt das in aller Regel dazu, dass den nachfolgenden geschätzt 40-60 Kunden jeweils ca 3 Minuten Wartezeit erspart bleiben. Jedem, wohlgemerkt. Macht summasummarum geschätzt ca zweienhalb Stunden wertvoller Lebenszeit, die diesen Menschen für kreative oder caritative Zwecke zur Verfügung stehen, anstatt diese Zeit mit dem sinnlosen wiederundwiederlesen der beknackten Reklametexte auf den Verkaufsverpackungen zu verschwenden.
Der oberflächlich betrachtet äußerst depressive Grundtenor dieser gefragten Metapher steht also in bemerkenswertem Kontrast zum äußerst positiv-erhebenden, ja erhabenen pragmatischen Effekt des intendieren Ziels.
Verständlich wird diese Diskrepanz wie so oft erst durch einen Wechsel der Betrachtungsperspektive:
Aus dem Blickwinkel der Kassiererin, deren Sehachse aufgrund ihrer zumeist im Sitzen ausgeführten Tätigkeit üblicherweise ein wenig unterhalb derer der vorbeirauschenden Kunden liegt, scheint sich der nichtendenwollende Strom der Einkaufswagen, welcher gefühlt einer unbekannten Quelle irgendwo zwischen Tiefkühltruhe und Wiener Würstchen zu entspringen scheint, gewissermaßen auf sie herabzuergießen, und anders als durch ein Gefälle kann sich der Kassierrerinnen-Körper die primär vorbewußt-haptisch wahrgenommene Topologie und Viskosität dieses Geschehens nicht erklären zu können.
Herunterziehen meint also die seltsam-kindlich zum Ausdruck gebrachte Näher-Herbeibringung des sichtbaren Endes der Schlange, eigentlich wohlwissend, dass dieses Ende - dem heraklitischen Flusse gleich - halbminütlich durch einen anderen, neuen, einkaufswagenschiebenden PoPo physikalisch repräsentiert wird.
Und doch verspricht gerade dieses Herunterziehen auch und gerade der Werktätigen selbst ein Gefühl der Erleichterung: Wird doch die widrigenfalls drohende Verstopfung und Verpfropfung des Ganges mit jedem Meter Schlange zunehmend als Bedrohung wahrgenommen, da sich der quadratisch dazu wachsende Schalldruck der zunächst mosernden, dann meuternden, zuletzt beinahe mordenden Kunden zu einem tosenden Donnergrollen erhebt, sobald der erste Popo den Emmenthaler im Kühlregal am Anfang des Ganges berührt.