1. Januar
Jesus Christus
»Und als acht Tage erfüllt waren, nach denen man ihn beschneiden mußte, da wurde ihm der Name Jesus gegeben, der von dem Engel genannt worden war, ehe er im Mutterleib empfangen wurde« (Lukas 2, 21). So wird das Kind in seinen menschlichen Umkreis und in das Leben seiner Kultur aufgenommen. Der Name verbindet sich mit der Individualität, der Mensch mit dem Namen. Nennen wir den Namen eines nicht anwesenden Menschen, so ist etwas von seinem Wesen mit einem Mal da.
Zum Namen Jesus gehört der Name Christus seit der Taufe im Jordan hinzu. »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes«, antwortet Petrus auf die Frage Jesu: »Ihr aber, für wen haltet ihr mich?« (Matthäus 16, 16). Jesus Christus, Gottes Sohn – das Neue Jahr in seinem Namen beginnen, heißt aufs Neue zu versuchen, seine Kraft in das eigene Leben aufzunehmen. »Das Gesetz ist durch Moses gegeben, die Gnade und die Wahrheit aber ist durch Jesus Christus entstanden. Gott hat niemand bisher mit Augen geschaut. Der eingeborene Sohn, welcher im Innern des Weltenvaters war, er ist der Führer in diesem Schauen geworden« (Johannes 1, 17-18).
Lesevorschlag: Johannes-Evangelium, Kapitel 1, 1-18, der »Prolog«
August-Stimmung
Einsamer nie als im August:
Erfüllungsstunde – im Gelände
die roten und die goldenen Brände,
doch wo ist deiner Gärten Lust?
Die Seen hell, die Himmel weich,
die Äcker rein und glänzen leise,
doch wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus dem von dir vertretenen Reich?
Wo alles sich durch Glück beweist
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge –:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
GOTTFRIED BENN
2.
Januar
Melchior
In der Reihe der Gedenktage erscheinen nach der Jahreswende die drei Magier, die später gemeinsam dem Stern nach Bethlehem folgen und dem Kind huldigen, zuerst einzeln. Alte Traditionen lassen sie aus verschiedenen Ländern des Ostens kommen als Repräsentanten der alten Kulturen. Die Gaben, die sie mitbringen, symbolisieren den Ertrag der Menschheitsgeschichte in den verschiedenen Entwicklungsepochen, jeweils »eine ganze Welt«.
Der Name Melchior entstammt der hebräischen Sprache und bedeutet »König des Lichtes« – melek'or. Der persische Gott Ahura Mazdao wurde als ein solcher »König des Lichtes« verehrt, man erlebte ihn in der Sonne und wußte, daß er einst zur Erde kommen sollte.
Aus dem Altpersischen:
Die mächtige, die königliche Verheißung tragende Sonnen-Äther-Aura, die Gottgeschaffene, verehren wir im Gebet, die übergehen wird auf den sieghaftesten der Heilande und die anderen, seine Apostel, die die Welt vorwärts bringt, die sie überwinden lässt. Alter und Tod, Verwesung und Fäulnis, die ihr verhilft zu ewigem Leben, zu ewigem Gedeihen, zu freiem Willen, wenn die Toten wieder auferstehen, wenn der lebende Überwinder des Todes kommt und durch den Willen die Welt vorwärts gebracht wird.
September-Stimmung
Herbstbild
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
FRIEDRICH HEBBEL
3. Januar
Caspar
Sein Name wird offiziell vom persischen Kandschwar abgeleitet, was »der Schatzmeister« heißt. Man könnte aber auch »Gataspar« oder »Gitaspar« lesen. Dann würde die Verbindung zu Indien deutlich, denn er ist der Repräsentant der uralt-heiligen indischen Kultur, die jenseits des heute historisch zu Fassenden zu suchen ist. Was heute an alten indischen Texten (z.B. die Bhagavadgita, die Upanishaden) vorhanden ist, erscheint wie der Abglanz der alten Kultur und doch lässt sich die alles durchziehende Geistverbundenheit auch in ihnen erleben.
Die drei Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe charakterisieren Wesentliches aus der jeweiligen Kulturepoche. Das Gold lässt sich der Sonne zuordnen, aus deren Kräften in der alten persischen Kultur Zarathustra die Erdenverhältnisse gestaltete. Der aufsteigende Weihrauch ist Bild für die innige Verbundenheit der Menschenseele mit der göttlichen Welt, wie sie in den ältesten Zeiten erlebt wurde, und Myrrhe erinnert an ihre Verwendung als Arznei und als Mittel für die Einbalsamierung in der ägyptischen Kultur, in der die Mumie das besondere Verhältnis zur Totenwelt bezeichnete.
Lesevorschlag: Bhagavadgita 9.–11. Gesang und Lukas-Evangelium, Kapitel 8, 4-15
Oktober-Stimmung
Michaelizeit
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
RAINER MARIA RILKE
4.
Januar
Balthasar
Dieser Name kann aus dem babylonischen »bel scharr ussur« abgeleitet werden und heißt »Gott schütze sein Leben«. Die babylonisch-ägyptische Kulturepoche wird durch diesen dritten der Magier repräsentiert. Was wir aus dieser Zeit wissen, zeigt ein Verhältnis des Menschen zum Tod, das im Verhältnis zu älteren Kulturen neu war. Der Totenkult, die reichgeschmückten Gräber, Texte wie das »Ägyptische Totenbuch« und die Praxis, die Seele so zu schulen, dass sie in der Einweihung durch einen Todesschlaf in die geistige Welt gelangen kann, um wissend in das Erdenleben zurückzukehren, sind einige Motive dieser Kultur.
Die verschiedenen Zeitalter der Menschheitsgeschichte hat man oft auch mit den verschiedenen Lebensaltern der Menschen in Zusammenhang gebracht. So kann man auf den meisten alten Bildern die drei Magier als Menschen verschiedenen Alters dargestellt sehen. Fast immer kniet Caspar, der Älteste, anbetend vor dem Kind, Melchior ist der Mann im besten Alter und Balthasar ein Jüngling, meist noch ohne Bart. Auch ist auffallend, dass erst nach dem Jahr 1500 n. Chr. der dritte König als Mohr dargestellt wird, also erst, nachdem die Entdecker nach Westen in die »neue Welt« gefahren sind und damit eine neue Zeit angebrochen war, die »Neuzeit«, denn dass es Menschen schwarzer Hautfarbe gibt, war immer eine Selbstverständlichkeit, waren doch die Menschen Alt-Ägyptens dunkelhäutig, wie die Äthiopier und Jemeniten.
Lesevorschlag: Der Mythos von Isis und Osiris (z. B. zu finden bei Brunner-Traut, Altägyptische Märchen) und Betrachten ägyptischer Kunst
November-Stimmung
Gedenken an die Toten
Schöner Novembertag
Weil die Äste schon kahl sind,
fließt das Licht leichter durch sie,
auch harft übern Fluss her der Wind,
so süß wie noch nie.
Wie eine riesige Frucht
hängt die Sonne im Blau.
Wer sie jetzt nicht mehr sucht,
findet am Dornstrauch die Beere, die schlau
im Laub des Sommers sich barg.
Der Fisch in der kiesigen Bucht
hat Flossen rosenrot,
und steht so still, als wäre
er wie das Schneewittchen im gläsernen Sarg
verzaubert und tot.
GEORG BRITTING
5.
Januar
Simeon Stylites
Dieser Simeon lebte im 5. Jahrhundert in Syrien, er starb 459 n. Chr., nachdem er dreißig Jahre lang auf einer Säule gelebt hatte. Diese Form des Mönchtums hatte sich in Syrien herausgebildet und wurde durch lange Zeit hindurch immer wieder geübt. Eine solche Lebensform zu erfüllen, erscheint uns heute ganz unmöglich: Auf einer Säule zu leben bedeutet, die Bewegungen auf ein Minimum zu reduzieren, allen Willen, der den Körper bewegen möchte, der nach außen gehen möchte, durch die Willenskraft der Seele anzuhalten und nach innen zu wenden in die Tätigkeiten der Konzentration, der Meditation, des Gebetes, der Gedankenübung und des Ausgleichs aller Seelenstimmungen in einen inneren Frieden, in die Anschauung Gottes in der Seele.
Wenn wir am letzten Tag der zwölf heiligen Nächte und Tage dieses Heiligen gedenken, mag das unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir die Erlebnisse dieser Weihnachtszeit für das Leben des kommenden Jahres verinnerlichen und nicht wegfließen lassen. Auch, dass das Leben des ganzen Jahres den Atem zwischen Tätigkeit nach außen und Besinnen nach innen braucht, wie es sogar von Jesus im Evangelium berichtet wird.
Lesevorschlag: Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, 5-15
Dezember-Stimmung
Adventszeit
An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang
O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist’s, dass ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub’ ich doch zu schwanken;
Ich schließe sie, dass nicht der Traum entweiche.
Seh’ ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens her geladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarb’gen Fischlein gleich im Gartenteiche?
Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?
Und welch Gefühl entzückter Stärke,
In dem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heut’ gen Tags getränkt,
Fühl’ ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir. Doch sage!
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist’s ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage? –
Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn.
Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon.
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halb geöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug’, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge.
EDUARD MÖRIKE
6. Januar
Das Fest der Erscheinung Christi
Epiphanias
In dreifacher Weise ist die Erscheinung Christi geschehen:
Der Stern wies die drei Magier mit ihren Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe zum Kinde. Bei der Taufe im Jordan erschien die Christus-Wesenheit und verband sich mit Jesus. Während der Hochzeit zu Kana offenbarte sich zum ersten Mal die schaffende Kraft des Christus in der Erdenwelt bis in die Verwandlung des Stoffes hinein, er verwandelte Wasser zu Wein.
Vom Stern, dem die Magier gefolgt sind, hatte auch schon der Prophet Bileam gesprochen. Er war gerufen worden, um das Volk Israel zu verfluchen, konnte das aber nicht, da er den Stern des Kommenden sah (4. Mose 22-24). »Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen« (4. Mose 24, 17). Jetzt war der Stern da, er »war nahe« und führte die drei Magier »bis er über dem Orte stillstand, wo das Kindlein war. Als sie aber den Stern sahen, wurden sie von großer Freude ganz erfüllt« (Matthäus 2, 9-10).
Das neue Jahr mit dem Aufblick zum Stern zu beginnen, kann als Gebärde für die Bemühung eines jeden Tages hilfreich sein.
Lesevorschlag: Matthäus-Evangelium, Kapitel 2
Stimmung der Zusammenfassung des Erlebten
Drei
sind der heiligen Ziele
des Lebens:
Das Finden des Aufgangs
in allen Dingen,
Ein Walten in Kraft
solange es Zeit ist zu wirken,
Und das Bereit sein
nach Gottes Ratschluss und Wink.
FRIEDRICH DOLDINGER
Hier ist
Amen zu sagen
diese Krönung der Worte die
ins Verborgene zieht
und
Frieden
du großes Augenlid
das alle Unruhe verschließt
mit deinem himmlischen Wimpernkranz
Du leiseste aller Geburten.
NELLY SACHS