• Untiefe
• Qualle
• leichtfüßig
• handzahm
• durchatmen
• piesacken
• schmallippig
• kurzerhand
Die Niederlage Reginald des Rächers
Leichtfüßig betrat sie den Supermarkt und tanzte ausgelassen durch die Gänge. Ein Date! Ein Date zum Dinner! Nicht irgendein Date, nein, der blonde Hüne aus der IT-Abteilung, in dessen Gegenwart das tiefe Durchatmen so schwer fiel, hatte endlich geruht, sie zu beachten. Reginald der Ritter hatten sie und ihre Kolleginnen aus dem Schreibbüro ihn heimlich genannt, da er bislang auf keine ihrer mehr oder weniger subtilen Flirtversuche eingegangen war. Wie ein Ritter, der sich in seiner Rüstung verschanzt und stets edel und heroisch seiner Wege geht. Oder reitet.
Gestern hatte Reginald, der in Wirklichkeit einfach nur Harald hieß, sie aus heiterem Himmel am Kopierer angesprochen während er hinter ihr darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Ob sie ihm sagen könne, wo das Din-A-3 Format aufbewahrt werde, wollte er wissen. Dabei lagen sämtliche Papierstapel, nach Größe sortiert, unübersehbar rechts vom Kopierer im Eck. Genau wie all die Jahre zuvor auch.
Und heute in der Kantine, das Thema Essen lag auf der Hand, bzw. unappetitlich auf den Tellern zwischen ihnen - sie hatte noch mit ihren Kochkünsten geprahlt - hatte er sich praktisch selbst zum Essen eingeladen. Wogegen sie zwar nichts einzuwenden gehabt hatte, im Gegenteil, sie hatte sich so sehr gefreut - aber die Zeit wurde langsam knapp. Der Chef war um halb vier noch mit einem angeblich fürchterlich wichtigen Rundschreiben dahergekommen und jetzt war es zu spät für aufwendige Bratereien. Das Hors d’œuvre war noch nicht ausgewählt, die Zutaten noch nicht eingekauft, noch immer driftete sie, von ihren wallenden Hormonen getrieben, mehr oder weniger ziellos durch den Laden wie eine Qualle, die von den Wellen in den Untiefen des Meeres umeinandergespült wird.
Eine kalte Platte vielleicht?
Kurzerhand begab sie sich zur Fleisch- und Feinkosttheke um sich von der Fachverkäuferin dort beraten zu lassen. Doch diese Dame war offenbar mehr an ihrem bevorstehenden Feierabend interessiert als an der Kundschaft. Sichtlich genervt gab sie nur widerwillig und knapp Auskunft über die ach so vielen leckeren Antipasti die verlockend zwischen ihnen ausgebreitet lagen und die Frage nach frischem Hack wurde schmallippig mit dem Bescheid beantwortet, die Maschine sei bereits gereinigt.
Enttäuscht verließ sie den Laden, ohne etwas gekauft zu haben. Dann eben nicht. Wozu gab es Lieferdienste? Und mal ganz ehrlich: Harald war doch sicherlich nicht in erster Linie wegen des Essens an sie herangetreten? Oder doch? Wenn sie an ihren Bruder dachte ... Der aß nach all den Jahren noch immer jeden Sonntag bei seiner Ex-Frau zu Mittag, nickte gar dem Nachfolger freundlich zu, nur um sich tüchtig den Bauch vollschlagen zu können. Liebe ging halt doch durch den Magen.
Damit es aber erst zur Liebe kommen konnte, sollte nicht nur der Tisch, sondern auch die Anzubetende appetitlich hergerichtet sein. So verschwitzt und abgehetzt konnte und wollte sie Harald keineswegs gegenübertreten. Also ab nach Hause und unter die Dusche. Kaum war sie mit den nötigsten Restaurationsarbeiten fertig, klingelte es auch schon an der Türe. Pünktlich war er, das mußte sie ihm lassen. Hastig die oberen Knöpfe ihres Hauskleides schließend, zu offensichtlich wollte sie sich auch nicht anbieten, eilte sie zur Türe.
Riß sie auf und trat überrascht gleich wieder drei Schritte zurück. Statt des erwarteten Kollegen sah sie eine riesige Kiste aus Styropor, die sich zentimeterweise in ihre Wohnung bewegte und sie dabei Stück für Stück zurückdrängte. Was sollte DAS denn? Sie hatte doch noch nichts bestellt! Empört stemmte sie die Hände in die Hüften und wollte gerade loszetern, da schwang sich Harald hinter dem keuchenden Lieferanten vorbei und hielt ihr einen wirklich geschmackvoll zusammengestellten Blumenstrauß entgegen: ''Guten Abend Brigitta! Gut siehst du aus! Als ich euren Chef heute noch kurz vor Feierabend in euer Büro stürmen sah, dachte ich mir schon, daß du keine Zeit mehr zum Kochen haben würdest und habe uns vorsichtshalber etwas mitgebracht.'' An den Boten gewandt fügte er hinzu: ''Bitte stellen sie die Kiste einfach hier ab, vielen Dank, und das ist für Sie guter Mann.''
Verblüfft das wirklich großzügige Trinkgeld betrachtend, zog der Mann von dannen und Harald, ganz Herr der Situation, lupfte die Kiste wie selbstverständlich auf den Küchentisch, den er durch die halboffene Türe erspäht hatte.
Neugierig näherte sie sich dem Tisch und beobachtete gespannt, wie Harald mit einem verschmitzten Grinsen den Deckel abnahm. Was er wohl mitgebracht hatte? Chinesisch? Indisch? Sushi? Auf alles Mögliche war sie gefaßt aber nicht auf die Gestalt, die plötzlich aus der Kiste sprang wie Jack aus seiner Box und lauthals forderte: ''Zeigt mir die Töpfe, die Gewürze und wie der Herd funktioniert und dann schafft euch aus der Küche, ich kann keine Leute brauchen die mir beim Kochen über die Schulter gucken!''
Hastig rieb sie sich die Augen. Da stand doch nicht etwa ein Zwerg in ihrer Küche und funkelte sie erbost an? ''Na wirds bald? Hat dir wohl die Sprache verschlagen Frau Königstochter, was? Verwöhnte Bälger, allesamt. Töpfe, Gewürze, Herd hab ich gesagt!''
Fassungslos starrte sie auf den offenbar alles andere als handzahmen Wicht hinab, der bereits damit beschäftigt war, allerlei Eßbares aus der Kiste zu zerren, und wollte gerade saftig Kontra geben, als Harald ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte und sie sanft aber bestimmt aus der Küche schob.
''Laß mich nur machen'', beschwor er sie. ''Reginald ist manchmal etwas unfroh, besonders wenn er lange in seiner Kiste gesessen ist, aber er kocht wie ein junger Gott. Ehrlich.''
Reginald. Der Zwerg hieß Reginald? Wer wollte hier eigentlich wen zum Narren halten? Während Harald wieder in der Küche verschwand, ließ sie sich völlig entnervt auf ihr Sofa fallen.
Hatte Harald sie und ihre Kolleginnen belauscht und sich hernach diese Farce ausgedacht um sich für den Spott und das Gelächter, das er in diesem Falle zweifelsohne ebenfalls gehört haben mußte, zu rächen? Als IT-ler hatte er ja dank der modernen Technik Möglichkeiten, die sich normale Menschen nicht einmal ansatzweise vorstellen konnten. Was hatte er vor? Wollte er sie mit Psychospielchen piesacken und sich an ihrem Unbehagen weiden? Wie konnte sie sich aus dieser Bredouille retten? Ausgeschlossen, daß sie sich ihm nun noch hingeben konnte, was er jedoch nach diesem buchstäblich hingezauberten Menü zweifelsohne erwarten würde. Mit zitternden Fingern griff sie nach ihrem Mobiltelefon und begann, in der Kontaktliste nach ihrer Freundin Monika zu scrollen. Monika war eine begnadete Hellseherin und weiße Hexe, diese wüßte sicherlich Rat. Doch noch bevor sie den Call-Button drücken konnte, erschien ein weiß behemdeter Arm hinter ihr und entwand ihr das Telefon.
''Wir wollen doch jetzt nicht telefonieren, oder? Wir wollen es uns doch lieber etwas gemütlich machen, bis das Essen fertig ist?''
Wie erstarrt saß sie da. Nur nichts anmerken lassen. Feind in Sicherheit wiegen. Mit einem, wie sie hoffte, einigermaßen freundlich erscheinenden Lächeln klopfte sie einladend auf die Sitzfläche neben sich während sie gleichzeitig aufstand und beiläufig zum Schränkchen hinüberging, in dem sie die Alkoholika aufbewahrte.
''Darf ich dir etwas zu Trinken anbieten?'' Hoffentlich hatte ihre Stimme nicht allzu sehr gezittert.
''Ach nein Danke ganz lieb Brigitta, aber ich bin mit dem Auto da und man soll doch zum Essen, welches übrigens gleich fertig sein sollte, nichts trinken. Die Magensäure, du verstehst? Ist doch eins deiner Lieblingsthemen, der Magen, richtig?''
Das süffisante Grinsen mit dem er seine als Frage getarnte Beobachtung wie nebenbei in den Raum stellte, bestärkte Brigittas dumpfe Ahnung. Harald HATTE sie abgehört. Ihre Magenbeschwerden waren in der Tat oft diskutiertes Thema im Schreibbüro gewesen. Ihr wurde kalt. Nerven bewahren, ermahnte sie sich, du hast von Monika einiges gelernt wogegen dieser Computerbube mitsamt seinem Mini-Bocuse nicht würde ankommen können. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich. Die Sekunden verstrichen und schienen sich ins Unendliche zu dehnen.
''Ach sieh nur'', rief sie scheinbar fröhlich aus und wandte sich dem Fenster zu. ''Die lieben Vögelchen sind wieder auf dem Balkon!''
Rasch, bevor er sie daran hindern konnte, drehte sie den Griff und öffnete das Wohnzimmerfenster weit. Schnalzend und keckernd ergoß sich eine wahre Flut an Eichhörnchen ins Zimmer. Sie krabbelten Harald in die Hosenbeine, zerrten an seinen Haaren und zerfetzten mit ihren scharfen Krallen seinen teuer aussehenden Anzug.
''Zu Hilfe!'', schrie dieser. ''Bist du wahnsinnig, schaff mir diese Viecher vom Hals, aber dalli!''
''Nimm du deinen Koch und verschwinde aus meiner Wohnung, aber ebenso dalli'', entgegnete sie ungerührt. Wild um sich schlagend rannte Harald aus dem Zimmer, schrie nach Reginald, welcher nach seinem Auftauchen aus der Küche ebenfalls sofort von den Eichhörnchen attackiert wurde, woraufhin beide laut fluchend aus der Wohnung rannten und dabei völlig vergaßen, die Wohnungstüre hinter sich zu schließen.
Rasch holte sie dies nach und rutschte sodann mit dem Rücken zur Türe langsam auf den Teppich hinab. Gerade noch einmal gutgegangen. Wie betäubt saß sie da, bis sie vom lauten Keckern ihrer kleinen Helfer aus ihrer Erschöpfung aufgeschreckt wurde.
''Ja, ihr Guten, Lieben! Ihr sollt euren Lohn erhalten! Freilich!'' Rasch stand sie auf und schloß mit einem goldenen Schlüssel, der stets an einer Kette um ihren Hals hing, ein kleines Kästchen im Flur auf. Diesem entnahm sie eine Handvoll Zaubernüsse, die sie an die kleinen Hörnchen verteilte. Jedes nahm sich eine Nuß und verschwand damit aus dem Fenster hinaus in das Wäldchen, aus dem sie gekommen waren.
Während sie rasch die Unordnung in der Küche beseitigte - es hätte übrigens Nudeln mit einer undefinierbaren Soße gegeben - und vorsichtshalber alles miteinander in den Müll schüttete (bis auf die Gerätschaften Reginalds natürlich, die sie Harald am nächsten Tag im Büro unauffällig auf seine Platz stellen würde), nahm sie sich erneut vor, nun aber wirklich nie mehr, absolut NIEMALS mehr, einen Mann in ihre Wohnung zu lassen. Auch keine harmlos wirkenden IT-Spezialisten. Ganz besonders die nicht.
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