Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 36)
Pandemie
Die Kirchenglocken schlugen fünf mal. Nein, nicht die kompletten Kirchenglocken, sondern nur die einzelne Bimmelbommel, welche die Uhrzeit anschlägt. Doch in meinem hohlen Kopf gab es so viel Widerhall, dass es sich anhörte wie die Glocken eines gesamten Carillon, an dessen Klaviatur ein durchgeknallter Ork unter Einfluss der neuesten Partydrogen diatonische Alpenhits einhämmerte. Ich erwachte schweißgebadet. Die Nacht war schwül, aber das Klima war nicht Ursache meines Schweißausbruchs.
Ich hatte einen unvorstellbaren Albtraum. Ich schrak in dem Moment aus dem Bett hoch, als ein empörter Dorfbewohner ein Hartholzschild mit der Aufschrift „Ich lass mich nicht von Gates impfen!“ auf meinem weichen Schädel zertrümmern wollte …
Dem ganzen Albtraum lag eine unvorstellbare Situation zugrunde: Aufgrund einer Pandemie mit sehr hohen Ansteckungszahlen beschloss die Bundesregierung, alles dicht zu machen, was auch nur im Entferntesten nach Menschenansammlung und Körperkontakt aussah. Ganz besonders davon betroffen waren nicht nur die Damen im Negligee, die auf der Chaiselongue auf solvente Herren warten, sondern auch der Einzelhandel, der Drogenhandel, die Frisöre und Frisörinnen, die Kinos, die Discos sowie alle Künstler und Künstlerinnen. Das Schlimmste aber:
Alle Kneipen dicht. Sämtliche Zapfhähne der Republik trocken. Kein Schluckspecht sollte mehr auf das Holz des Tresens hämmern. Keine Bierfässer dürfen rollen und man hörte bereits die Bierbrauer grollen: Es fehlten die großen Feste, die den Jahresumsatz bestimmen. Ein echter Albtraum. Wie soll dieses Land ohne gesellschaftlich anerkannten Konsum- und Alkoholrausch durch die harten, dunklen Wintermonate kommen?
Ich träumte, es gäbe trotzdem ein konspiratives Treffen in Helgas Kneipe. Alle waren da, wie von Geisterhandy herbeigerufen:
Der stumme Olli auf seinem Stammplatz im feinen Anzug. Mein Sauf- und Kneipenkumpan Klaus Schmidt. Unser Dorfmetzger Herbert, heute in seiner blutigen Arbeitskleidung, zusammen mit dem Bürgermeister. Aaron mit seiner Freundin Sylvia. Sogar meine unglaublich unerfüllte Liebe Paula hockte zwei Sitze weiter am Tresen und unterhielt sich mit Jürgen, dem Bäcker. Fehlte nur noch meine Ex, aber diesen emotionalen Horror ersparte mir dieser Traum – immerhin.
Helga bediente uns gewohnt routiniert, aber ihre Stirn erschien mir ungewohnt runzelig. Sie machte sich offensichtlich Sorgen ob der Krawalle vor Tür und Fenstern unserer geliebten Kneipe.
„Meint ihr, die kommen rein?“, fragte Helga ängstlich.
„Ich glaube, die haben es nicht auf uns abgesehen“, beruhigte der Bürgermeister.
Klaus Schmidt entrüstete sich mit einem trocken ausgehusteten 'Pah':
„Denen ist doch egal, wen sie in die Finger bekommen. Hauptsache er ist nicht ihrer Meinung, um sich zu ihrem Feind zu machen!“
„Typisch Querdenker“, meinte der stumme Olli leidenschaftslos.
„Querdenker? Was soll das sein? Bis ich quer denke, liegen bereits viele geleerten Flaschen kreuz und quer ...“ fragte ich schnippisch.
Nicht nur Helga, sondern auch Aaron wirkte verängstigt. Vielleicht lag es an seinen jüdischen Vorfahren, vielleicht auch an der dunklen Hautfarbe seiner Freundin Sylvia – oder an beidem:
„… und dann erklärt sich der Mob die Pandemie wieder mit einer jüdischen Weltverschwörung und jagt jeden durch die Straßen, der nicht ins Weltbild passt.“
Aarons Sorgen konnte ich nachvollziehen. Herbert, der Metzger, war dagegen heute seltsam gestimmt:
„Die zionistischen Echsenmenschen vom Mars wollen uns alle versklaven. Uns kleine Geschäfte wollen sie kaputt machen, damit von Bill Gates' Mikrochip geimpfte Konsumopfer nur noch bei Jeff Bezos' Online-Laden einkaufen. Dann kaufen sie den verarmten Menschen ihre Kinder ab, um das Blut von weißen Waisenkindern zu trinken. Militante Veganer, die Schweineblut verabscheuen, berauschen sich ekstatisch am Saft unschuldiger Kinder. Hat mir ein guter Freund erzählt, der weiß das von seinem Cousin, der viel auf Youtube recherchiert ...“
Der stumme Olli lachte laut auf. Sein schallendes Gelächter hallte als endloses Echo durch meinen Traum, bis Olli leise auf Herberts verbalen Auswurf antwortete. Die analoge Echofeder seines elektrischen Verstärkers war offenbar plötzlich gerissen:
„Herbert, denk nach. Die ganze Welt spielt das Spiel mit? Auch Staaten, die absolut nichts mit Bill und Jeff zu tun haben wollen? Die Araber, die Chinesen, die Russen? Das wäre wahrlich eine Laufmasche der Geschichte.“
Olli erhob sein Glas, um in die Runde anzustoßen. In seinem schartigen Gefäß schwappte eine Flüssigkeit, die stark an Blut erinnerte. Eine Bloody Marie traute ich ihm nicht zu:
„Genauso gut könnte ich behaupten, Obama startete seine Karriere als Präsident, weil er nie Lust dazu hatte, auch nur einen Fingerhut voll Baumwolle zu pflücken.“
Jetzt mischte sich der Bürgermeister ein, der bereits etwas angeschickert an der Theke lehnte:
„Hör mir auf mit Obama. Alle schimpfen über Trump, aber wer hat denn wirklich Kriege geführt? Obama hat sich doch durch den Orient und Asien gekämpft wie ein Wildschwein auf der Suche nach Trüffeln. Trump war dagegen sehr genügsam ...“
„... und stiftet einen Bürgerkrieg im eigenen Land an. Mit der Ausstrahlung eines Thujabaums wünscht er sich Blut auf allen Kopfsteinpflastern herbei!“ entgegnete Aaron aufgeregt.
Klaus Schmidt war bisher ganz ruhig. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er erst redete, wenn ein Gedanke genügend ausgereift war:
„Scheiß' doch auf die Amis. Schaut auf die Russen. Die haben schon alle durchgeimpft und feiern schon wieder Partys. Mit echtem Krim-Sekt, denn der gehört ja irgendwie dazu. Ob der Westen das will oder nicht. Ich will sofort zu Olga ...“
Mit glasigen Augen starrte Klaus in eine imaginäre Ferne:
„... irgendeine Olga, egal welche. Hauptsache Brüste!“
Klaus verblüffte mich. Waren jetzt alle verrückt geworden?
Jetzt mischte sich auch noch Paula ein. Ob meines massiven Samenstaus konnte ich ihr sowieso nie widersprechen:
„... und alle lästern über Merkel. Angela ist angeblich an allem Schuld. An der Bankenkrise, an der Asylantenflut, am Virus. Alte weiße Männer schimpfen über eine Frau an der Macht. Nichts hat sich geändert.“
„Genau“, pflichtet ihr Sylvia bei: „... und ein sudanisches Sprichtwort sagt: 'Zwei Könige fahren nicht in einem Kahn'. Deshalb muss jeder sein eigenes Boot schnitzen.“
Ungeduldig mischte sich Helga ein:
„Ihr habt ja mal wieder gut reden“, brüllte sie so laut, das unser aller Ohrläppchen flatterten, „Und was machen wir jetzt mit der verqueren Meute vor meiner Tür?“
„Wir pfählen sie ...“, empfahl der Bürgermeister.
„Wir schlachten sie ...“, war die logische Einlassung des Metzgers.
„Wir backen sie in Blätterteig!“, befahl unser Bäcker, der bisher geschwiegen hatte.
„Auge um Auge. Wir vergasen sie ...“, ereiferte Aaron sich grimmig.
„Wir lieben sie, trotz allem ...“, so der weibliche Einwurf von Paula.
„Ich verkaufe ihre Häuser!“, freute sich der stumme Olli und rieb sich die Hände. Er war seit einiger Zeit scheinbar durchaus erfolgreich als Immobilienmakler.
„Kann ich noch ein Bier haben?“, fragte Klaus Schmidt.
„Du kannst was auf die Fresse haben, Sexistenschwein!“. Helga wurde rot vor Wut. Dies konnte nur ein Albtraum sein.
„Der Büffel prahlt nicht mit seiner Kraft, wenn der Elefant da ist." Allmählich nervten Sylvias afrikanische Kaffeesatzweisheiten.
„Ich nehme die Wahl nicht an“, stöhnte unser Bürgermeister in sein Bierglas.
„Ich gehe da jetzt raus!“, sagte ich knapp und bestimmt.
„Was soll das bringen?“, wollte Klaus wissen.
Der Bürgermeister legte mir seine schwere Pranke auf die Schulter:
„Peter!“
Er hatte Tränen der Rührung in den Augen:
„Wenn du das Opfer bringen willst, geh' mit Gott, aber geh' ...“
„Genau“, frotzelte Olli: „Wir werden alle auf dein kaltes Heldengrab pinkeln, wenn wir dort nach der Pandemie unseren ersten Umtrunk halten!“
Verdutzt schaute ich ihn an.
„Denk' an das Leben. Willst du dich wirklich wegen so was streiten und kämpfen, dafür sterben? Denke an alles, was das Leben bietet ...“
Olli breitete die Arme aus und zwischen seinen Händen entspannte sich ein Breitwandfilm: Es tanzten die Damen, die einst hier in der Kneipe auftauchten. Paula und ich küssten uns in dem Film unter der Glasglocke einer Erdpfeife im kuscheligen Gras. Jäger blamierten sich in Helgas Kneipe und unsere Lieblingswirtin drückte mich an ihren enorm großen weichen, warmen Busen. Ich schwamm darin und trank Weizenbier aus ihren Stillgeräten.
Mit einem Schrei erhob ich mich aus dem wogenden Fleisch der Wirtin:
„Zur Sonne, zur Freiheit“, brüllte ich über die Theke hinweg.
Niemand konnte mich aufhalten. Ein Schirm, der seit Monaten verlassen an der Garderobe verstaubte, sollte mein Schwert sein, mit dem ich nach draußen stürmte.
Ich lief gegen die Menschen wie gegen eine Wand. Ihre Parolen rösteten meinen Verstand:
„Schimpfen statt Impfen“
„Dorfgesundheit first“
„Merkelfreie Zone“
„Ohne Gates gäits bässer“
„Friede – Liebe – Trump“
„Nie mehr Pharma-Sklave“
„Impfdosen zu Flugkarten“
„Ich will Disco – kein Impf-Fiasko“
Ich schrak in dem Moment aus dem Bett hoch, als ein empörter Dorfbewohner ein Hartholzschild mit der Aufschrift „Ich lass mich nicht von Gates impfen!“ auf meinem weichen Schädel zertrümmern wollte.
Alles nur ein Traum. Sollen die da draußen doch machen, was sie wollen. Winterschlaf steht mir gut. Wenn der Bär seinen Schatten sieht, geht er zurück in sein Höhle.
Gute Nacht.
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... und wieder bin ich nicht rechtzeitig fertig geworden und schrieb dann halt zweimal 8 Wörter, die da waren:
schwül
Kirchenglocken
runzelig
rollen
Chaiselongue
ekstatisch
grollen
Thujabaum
leidenschaftslos
schnippisch
verängstigt
genügsam
Fingerhut
Baumwolle
Kopfsteinpflaster
Laufmasche
Aber alles schwer zu kapieren, wenn man Peter und sein Kneipenfreunde nicht kennt. Die Übersicht gibt es hier:
Stereotypisches Thekenmännergespräch
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