Wir sind alle Nutten und Hurenböcke!
Auf die eine oder andere Art zumindest, aber dazu gleich ...
Unfassbar. Ihr seid so cool. Das ist Anstiftung! Anstiftung zu einer weiteren inhaltlichen Eruption und einem beherzten Griff ins schon eingelochte Eingemachte.
Danke
xlachfaltenx marka002 Kamelienschenke Walhorn Roland_W49 Lucy7169 ... Euch allen!
Noch kommen wir, wie man sieht, nicht ganz los vom heißen Kern des Themas.
(Werde so langsam ein wenig zusammenfassen und zu einem recht erhellenden ... letzten Faktenschlag zum Kernthema ausholen, ich Patzerfisch, ähm, Pazi.fist.
Inzwischen sind wir hautnah dran an der Grundannahme, dass das ProstSchG nicht unterschätzt werden sollte, weil es zwar in einem Bereich wirkt, der uns alle nun nicht sooo zu tangieren scheint, aber dennoch ein Symbol für erheblich mehr ist. Eben weil – so meine These – es ein Gradmesser ist und als Symbol angesehen werden kann, dass sich in unserer Gesellschaft in Sachen „Freiheiten” etwas Gravierendes tut.
Und zwar nichts, was eine weitere Liberalisierung versprechen würde, im Gegenteil: Hier hopst das Bunnyhäschen auf und ab und fuchtelt mit einer Fahne auf der
(in Frivol-Rot von mir aus gerne ... ) „Freiheit, Gleichheit, Liederlichkeit” eingestickt ist. Und Hasi macht gerade eine mächtig beeindruckende Rolle rückwärts.
Ein paar Fragen drängen sich auf: Was (zum Geier ,-) geht uns das an? Warum sollte ausgerechnet dieses Gesetz das Zeichen einer einschneidenden Veränderung sein und den Startschuss zu einer moralischen Kehrtwende in unserer Gesellschaft darstellen? Wieso sollte ausgerechnet dieser Gesetzesänderung (zutreffender: Neueinführung!) eine solche Brisanz und Bedeutung beigemessen werden?
Die Tragweite konnten wir schon hinreichend und nicht anders denn als „weitreichend” skizzieren, auch Ihr habt sie vielfältig angesprochen und in Kernaussagen zusammengetragen:
menschelnd
Es „ist letztlich lediglich der Missbrauch von gesetzlichen Manifestationen, um die eigene (christlich-geprägte) moralische Keule zum Einsatz zu bringen. (...) Insofern lohnt es auch weiterhin, gegen dieses Gesetz vorzugehen, was ein weiteres Thematisieren erforderlich macht.
https://www.joyclub.de/my/4034132.dreamstory.html
Das Thema erledigt sich also nicht – gesellschaftlich, politisch, kulturell und überhaupt menschlich.
luccioladagosto
Für mich ... ist der Gedanke besonders wichtig, dass die sexuelle Selbstbestimmung - wie auch andere Freiheitsrechte – latent in Gefahr ist und jederzeit zurückgenommen werden kann, wenn die politische Stimmung im Lande umschlägt.
Um die Relevanz geht es nun – sehr erfreulich, wie ich finde – schon geraume Zeit und wir zerren immer mehr Fakten dazu ans Licht.
Der Vorwurf, diese Gesetzesänderung beabsichtige nicht, wie primär und politisch vollmundig adressiert, den
Schutz der Sexarbeiterinnen, sondern die
Regulierung, der mich früh beschlich und nicht mehr losließ ... diesen Vorwurf kann ich inzwischen gut belegen. Er ist Fakt.
( (Ihr dürft gespannt sein, ich bemühe mich gleich, dieses Erkenntniswasser direkt von der Quelle zu zapfen und zumindest für den einen oder anderen brackig-knackigen Schluck einzuschenken).
Die Folge dieses SexdienstleistungsVerdrängungsGesetzes – und da sollten wir uns besser keine verharmlosenden Gedanken gestatten – wird eine Einschränkung der sexuellen Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft sein und eine Behinderung der Möglichkeiten, den bunten Reigen der Spielarten unserer individuellen sexuellen Bedürfnisse auch zu leben!
Mittelfristig wird sich das zudem unweigerlich negativ auf unsere Toleranz in Sachen Sex auswirken.
Sehe den erhobenen Zeigefinger der politisch korrekten, „neuen” Moralapostel und Sittenwächter schon fröhlich wackeln ...
(Und, Ihr lieben Freunde des Orgiastischen, da geht’s nicht wirklich um Lustvolles oder gar ums Fingern ,-).
Im Kleingedruckten ist sogar eine
Ausweitung des Stigmas der Prostitution(!) auf bisher nicht über diesen gestrengen Gesetzeskamm geschorene sexuelle Randbereiche gewollt:
Deutscher Bundestag. Gesetzentwurf der Bundesregierung:
Dem Schutzzweck entsprechend wird für dieses Gesetz ein weiter Begriff der Prostitution zugrunde gelegt, der alle Formen bezahlter sexueller Kontakte umfasst.
(*1)
Wir kennen die Beispiele inzwischen: Die Fetisch-Veranstalter, die Dominas, die gar keinen Geschlechtsverkehr oder auch nur Körperkontakt anbieten (und dies, obwohl sich explizit an einer gesetzlichen Definition der „sexuellen Handlung” in Bezug auf Körperkontakt abgearbeitet wurde), außerdem der markante Dauerbrenner der Tantramasseure usw. Sie alle werden nun (erstmals!) mit in den sexsippenhaftigen Regulierungswahn-Eintopf geschmissen.
Uns stieß zügig – Ihr habt es auch mehrfach angesprochen – ein eklatanter Widerspruch auf: Einerseits scheint es genügend Gesetze zu geben, die Arbeit, Soziales, Steuern, Gewerbe, Gebäudenutzung etc. regeln. Außerdem gibt es den berühmten „Gleichheitsgrundsatz” in unserer Verfassung. Und trotzdem wird ein völlig neues Spezialgesetz nur für Sexarbeiter geschaffen?!
Das dahinterliegende Motiv für diese politische Weichenstellung, muss und darf kritisch geprüft und infrage gestellt werden!
Lucy7169, Dich beschäftigte dieser Widerspruch auch, Du stelltest die Frage nach sachgerechten Urteilen, die aus dem allgemein gültigen Arbeitsrecht selbst resultieren und betonst die Forderung des „gleichen Rechts für alle”. Das kann ich nur unterstützen. Das kann, sollte, muss das Ziel sein!
Denke mal, dass niemand für Huren „höhere” Rechte geltend zu machen versuchte als jene, die zum Beispiel auch für freiberufliche „Katzenmusiklehrer” maßgeblich sind. Auch sie, wie jeder freiberuflich Tätige, müssen sich den Auflagen eines friedlichen Miteinanders in einem Wohnumfeld beugen. Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen bestanden für Sexarbeiter die Rechte aus der „Gleichbehandlung” jedoch ohnehin nur auf dem Papier. Wir waren bis gestern noch weit davon entfernt und sind es jetzt mehr denn je.
Lucy: „Die gewerbliche Nutzung inkl. der Genehmigung des ausgeübten Gewerbes in diesen Räumen müsste doch schon längst vorliegen. Oder hat man dies in der Vergangenheit vergessen?”
Genau da liegt der Hase im Pfeffer! Man gefiel sich in der Belassung der Grauzone. Bislang wurden Laufhäuser, Bordelle, Sexmobile, Ein-Frau-Puffs usw. entweder verboten, genehmigt oder in den allermeisten Fällen schlicht: ohne legalen Status geduldet. Damit ist von jetzt auf gleich nun aber Schluss. Das ProstSchG
fordert unter Androhung von Bußgeldern und Strafmaßnahmen spätestens ab Dezember 2017
zwingend die Beantragung von
Genehmigungen aller Art, macht Schluss mit Laissez-faire und der bisherigen Praxis des Gewährenlassens. Und damit haben wir den dicken Hund nun endgültig am Ohr und ausgegraben:
Für diese einschneidende, völlig neuartige Rechtslage wurde eigens ein hochkompliziertes Arbeits-Spezialgesetz ersonnen, das ausschließlich für Sex- und nicht für Sexophonspieler gilt!
(Gleichbehandlung?¿ Hallooo ... !!)
Die Bundesregierung sagt dazu:
Wie zutreffend festgestellt, besteht für Behörden bereits nach den allgemeinen Polizeigesetzen, nach den Ordnungsbehördengesetzen ... [u.w.] die Möglichkeit, Anordnungen zur Ausübung der Prostitution zu erteilen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nun ein Fachgesetz geschaffen, das auf das Prostitutionsgewerbe zugeschnittene spezialgesetzliche Regelungen trifft, ... die Vorrang vor den allgemeinen Vorschriften haben.” (*1)
Der Zynismus besteht darin, dass die Legalität der Sexarbeit und ihre Anerkennung als rechtsabgesicherte und rechtskonforme Tätigkeit zwar gesetzlich bekanntermaßen einige Jahrzehnte bestanden hat, aber eben nur zu einem geringen Bruchteil und mitnichten gleichberechtigt zu anderer Arbeit gesellschaftlich umgesetzt wurde. Und dieses grundgesetzlich verankerte Recht auf Gleichbehandlung wird nun aufgegeben.
Das heißt – man kann es nicht genug betonen – mit diesem Sex-Spezialgesetz ist das ursprüngliche Ziel der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer soeben gestorben!
Der Handlungs„spielraum” in der Rechtsauslegung
Spulen wir etwas zurück: Wir erinnern uns, dass vor 1983 Bordelle grundsätzlich nicht legal betrieben werden konnten und erst ein Grundsatzurteil zumindest die „Möglichkeit einer Genehmigung” eröffnete. Städte hatten die Betriebe entweder stillschweigend geduldet oder im Sinne einer Gesetzeslücke zum Beispiel als „Wohnheim für obdachlose Dirnen” genehmigt
(„Staun!” Ist das zu fassen? ,-). So geschehen auch in der Landeshauptstadt BaWüs, die für ihr
Dreifarbenhaus, das direkt neben dem Rathaus gelegene, älteste und lange auch größte Bordell Stuttgarts, jahrzehntelang das bunte Treiben eben als ein solches „Wohnheim für obdachlose Dirnen” genehmigte.
(2)
Inzwischen haben wir auch im Kopf, dass die Anwendung der Regelungen und Gesetze der schon bestehenden arbeits-, bau-, gewerberechtlichen Maßnahmen bereits ausreichende Handhabe gegen Bordelle und Prostitution aller Art erlaubten. (Unterschiedlich zwar von Stadt zu Stadt und Bundesland zu Bundesland, aber überall von reichlich Rechtsauslegungsspielraum begleitet). An einigen Orten erscheint die Koexistenz gelungen und ist bislang ohne Gentrifizierungs- und Verdrängungskämpfe geblieben, wie
Roland_W49 es für die Mannheimer
Lupinenstraße darstellt, des vom lateinischen „lupa”, der Wölfin, abgeleiteten ach-so-hübsch benannten Mannemer Straßenstrichs. In der Regel ist die Situation problematischer, wie
Walhorn es für Aachen bezeugt, wo eine Bürgerschaft sich schon in der Geschichte nicht eben viel Mühe gab, ihre Haltung zu ihrem rotlichternden Igitt-Bezirk zu verbergen und ihre
Hurengasse konsequent in
Mistgasse umbenannte – ein starkes Stück (Meinungsbekundung ,-). Die meisten Städte kämpfen notorisch mit „ihrem” Milieu und die Politik ist immer wieder in Gefahr, ihr Problem mit der Sexdienstleistung mit einer Haltung zu lösen, die man –
marka002 sagen es deutlich – getrost mit
„Scheinheiligkeit” bezeichnen darf. Besonders kritisch wird es fürs Gewerbe, wenn
„bei den Stadtverwaltungen das Dollarzeichen in den Augen blinkt.” Auch von Berlin, Hamburg und brandaktuell aus Stuttgart kann ich nur Belege in Sachen „Umrubeln” der moralisch verwerflichen, versexten Innenstadtstraßenzüge zugunsten „höherer Investionsinteressen” berichten.
(3,10,12)
Ein Fallbeispiel zu den „Aufräumungsarbeiten” in einem der auch touristisch reizvollsten Bezirke Stuttgarts, dem historischen Altstadtbezirk des sogenannten Bohnen- und Leonhardsviertels, zu dem das Rotlichtmilieu seit Jahrhunderten dazugehört. Der Immobilienkaufmann John Heer, der ebendort zwei Bordelle betreibt, klagte 2016 gegen den plötzlichen Schließungsbeschluss der Stadt, denn er fand es fragwürdig, dass die Stadt einen Betrieb, den sie rund 40 Jahre lang geduldet hat, einfach so dichtmachen darf. Seine unter Beschuss geratenen Laufhäuser wurden auch laut polizeilicher Bestätigung bereits 1972 eröffnet und für Bordelle, die vor der „Vergnügungsstättensatzung” von 1985 schon existierten, gilt sogenannter „Bestandsschutz”. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe urteilte, dass sich auf den Bestandsschutz und zudem auf das Grundgesetz berufen werden dürfe und eine Schließung rechtswidrig sei.
(3)
Zu diesem Stuttgarter Quartier gäbe es Anekdoten ohne Ende, die ich mir aber wegen chronisch drohender Überlänge besser verkneife. Lediglich eine Kostprobe darf mit ...
Stellen wir uns vor, wir säßen in der „wohl verschwiegensten Bar Stuttgarts”, der
Uhu Bar, und lauschten dem „Schriftsteller, Reiseleiter, Witwentröster und lila Pudel” in Selbstauskunft ,-), i]Holger Hommel , der
der Stadteil-Initiative ins Vorwort dichtet:
[Wie] ... viele es schaffen, dieses alte und so pittoreske Stück Stuttgart mit seinen vielen Problemen einfach zu übersehen? Wie kann man nur zur seligen Mittagszeit geduckt durch die schäbigsten Laufhäuser der Republik marschieren, ... [sie] wohl gern auch nutzen und dann am nächsten Tag in irgendeinem städtischen Gremium bei diesem Thema eine Meinungs- und Kenntnislosigkeit in die eigene Gesichtsmuskulatur modellieren? ... Wie viel Selbstbetrug hält der Mensch eigentlich aus? Wir sind eine verlogene Gesellschaft. Geht es den Mädchen in unserem „Städtle” vielleicht deshalb so schlecht, weil sie uns so klar auf unsere Dauerlügen hinweisen?
Wie weit ist eigentlich vom Rathaus bis zum „Städtle”? Wenn man zwei rote Empfangsteppiche zusammenbinden würde, dann müsste es der Oberbürgermeister fast bis in die Jakobsstube hinein schaffen. Die ... gilt als Schwulentreff. Muss man deswegen homosexuell veranlagt sei, um dort ein paar Bierchen zu trinken? Nein, und sagen wir es für die Paranoiden gleich dazu: Man wird vom Bier dort auch nicht schwul.
Wer die Bedeutung des Wörtchens „Gegenwind” erfahren möchte, der engagiere sich für die Belange des vernachlässigten Rotlichtviertels und schon erhebt sich die große Koalition der Bedenkenträger, Besserwisser und Entrüsteten. Die Letzteren sind eigentlich die Tinte im Drucker nicht wert, sie verlassen sich seit Menschengedenken auf die zölibatäre Libidobremse ... und beweisen damit lediglich die beneidenswerte Fähigkeit, die Lebensrealitäten komplett auszublenden oder zu ignorieren. (4)
So, Ihr Lieben, nun aber genug gegrinst
,-).
Jetzt geht’s ans ausgemachte Abgemachte:
Die Bundesregierung und ihr neues Spiel(begrenzungswerk)zeug namens ProstSchG
Habe den Maso in mir hervorgekramt und mir den kompletten Werdegang dieses Sex-Spezial-Gesetzes durch sämtliche Instanzen angetan. Dafür kamen die Gesetzesvorlage der Bundesregierung, die Stellungnahmen des Normenkontrollrates wie des Bundesrates und die darauffolgende Änderungs- und Feinjustierungsbereitschaft der Bundesregierung auf den Seziertisch.
Es ist viel, das könnt Ihr Euch vorstellen. Nehme daher nicht die Vielzahl der Regelungen selbst inhaltlich auseinander und unters Skalpell, das geht gar nicht, sondern extrahiere nur einige Gewebeproben, die eine Einschätzung erlauben und fasse sie selbst zusammen, wenn nicht als Zitation angezeigt. Das ganze Ding ist spannend wie ein Krimi und es ist mir wichtig, dass diese Hirnwasserleiche und die Fakten selbst zu Euch sprechen:
Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel an den Präsidenten des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Norbert Lammert:
Hiermit übersende ich den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes
zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen.
Federführend ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich bitte, die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen.”
(6) ( Alles klar? „Regulierung” heißt das Riesenbaby. Und: das Hauptmotiv kommt, wie wir wissen, immer zuerst ,-).
Setzt Euch besser. Auf den Tisch kommen nun die fünf „Kernelemente” plus drei Stilblüten des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, der seit dem 1.7.2017 Gesetz und damit die derzeit gültige Rechtslage ist:
1. „Einführung einer
Erlaubnispflicht für alle Prostitutionsgewerbe.”
2. „für dieses Gesetz [wird] ein
weiter Begriff der Prostitution zugrunde gelegt, der alle Formen bezahlter sexueller Kontakte umfasst.”
(Das nennt man Ausweitung der Kampfzone!)
3. „Das Gesetz führt
erstmals umfassende Vorgaben für Betreiber von Prostitutionsgewerben und für Prostituierte ein.”
Die „umfassenden Vorgaben” sind die Erlaubnispflicht sowie „Anzeige-, Kontroll-, Hinweis-, Aufbewahrungs- und Aufzeichnungspflichten”. Insgesamt sind es „
49 neue Vorgaben” und „
27 Informationspflichten”.
4.
Fürs Gewerbe wird’s teuer ...
Die neuen 49 Vorgaben und 27 Infopflichten verursachen sowohl „einmaligen als auch fortlaufenden Erfüllungsaufwand”, sagt der Gesetzgeber. Für das Prostitutionsgewerbe stelle das ProstSchG zwar eine besondere Belastung dar, aber die Bundesregierung verweist ausdrücklich darauf, dass die Kosten ausschließlich zu Lasten der „Branche des Prostitutions¬gewerbes“ und der „Personen, die sich in diesem Bereich als Anbietende von Dienstleistungen betätigen” anfielen. Sie sagt weiter „betroffen ist lediglich ein gesamtwirtschaftlich recht schmaler Sektor der Wirtschaft”, der zudem überwiegend dem Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen zuzurechnen sei.
(Was heißt das? Es sind sowieso nur Kleinunternehmer betroffen und um die wenigen armen Teufel schert sich keiner oder was?)
5.
Die Kommunen sollen zusehen, wie sie damit klarkommen ...
Nach Einschätzung der Gesetzgeberin, der Bundesregierung, entstünde der Verwaltung ein
jährlicher Aufwand von circa 14 Millionen Euro. (Diese Kosten werden vollständig auf die Länder und Kommunen abgewälzt, daher auch der Aufruhr hier und da). Für den
einmaligen Umstellungsaufwand von circa 11 Mio. trägt der Bund gerade mal 33 000 Euro, der Rest bleibt wiederum an den Ländern und Kommunen backen).
(1)
Das war der Schweinsgalopp durch die ernüchternden, nackten Tatsachen. Um den Eindruck für Euch wenigstens etwas plastischer zu machen, drei Stilbüten von einer ganzen Reihe:
Zunächst das
Werbeverbot. Und zwar alles. Verboten. In jeder Form: anbieten, ankündigen, anpreisen, ausstellen, anschlagen, vorführen ...
(Hallo Hamburg, Aachen und 14 weitere Städte ... Das ist das Ende der Koberfenster).
Dann der vielgepriesene und immer so sehr ernst genommene
Datenschutz (in einem einzigen Auszug, da gibt’s noch mehr): „Übermittlungen der nach diesem Gesetz erhobenen personenbezogenen Daten sind im Übrigen nur zulässig, soweit die Kenntnis der Daten zur Verfolgung von ... Ordnungswidrigkeiten wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz erforderlich ist oder eine > besondere Rechtsvorschrift dies vorsieht. <
”
(6) Die kann jede Kommune, jede Stadt erlassen übrigens. (Das nenne ich mal „volle Verfügungsgewalt” und eine echt devote Datenlage ,-).
Die nächste Stilblüte ist keine oder wenn, dann enthält sie pures Gift: Sie macht einen ausschließlich für das Sexgewerbe geltenden
Verlust des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Grundgesetz Artikel 13)” zum Gesetz (ProstSch):
Die zuständigen Behörden sind befugt, zum Zwecke der Überwachung ... die Grundstücke, Geschäftsräume und die für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume zu betreten, auch dann, wenn sie Wohnzwecken dienen. Die betroffene Personen, die Hausrecht an den jeweiligen Räumen haben, haben die Maßnahmen zu dulden; das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (1)
Das schreit geradezu nach einer Verfassungsbeschwerde! Für unter anderem diesen Passus wurde vom Bundesrat in seiner Stellungnahme mit Vehemenz um ersatzlose Streichung gebeten. (Und der Bundesrat ist bekanntlich nicht der schärfste aller denkbaren Kritiker der Regierungsriege ,-).
Hierzu die Stellungsnahme des Bundesrates, Begründung:
„Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Trennung von Arbeiten sowie Wohnen und Schlafen tatsächlich in der Arbeitswelt eine Selbstverständlichkeit ist. In vielen Branchen haben freiberuflich Tätige oder Selbständige oft keine finanziellen Kapazitäten für die Anmietung von zusätzlichen Büroräumen.
Entsprechende Ressourcen [dürfen] ... bei den meisten Prostituierten nicht [vorausgesetzt werden]. Überdies sind die in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele für mögliche Ausnahmen unrealistisch. Es ist beispielsweise für Personen, die zur Ausübung der Prostitution nach Deutschland einreisen, kaum vorstellbar, innerhalb von ein bis zwei Tagen eine separate Unterkunft zu finden.
Vielmehr ist zu befürchten, dass Bordellbetreiber, um der Auflage des Gesetzes zu genügen, zusätzlichen Wohnraum zur Verfügung stellen und damit eine ohnehin schon gegebene faktische Abhängigkeit von Prostituierten noch verstärkt wird.” (8)
Usw. Ich erspar’ Euch weiteres. Der Normenkontrollrat jedenfalls bemängelte die vage, nur auf Annahmen beruhenden Ausgangszahlen und die darauf basierenden Phantasieberechnungen der anfallenden Kosten. Der Bundesrat ging deutlich weiter, er forderte die Streichung ganzer Vorschrifteninhalte und deren Paragraphen, dem zur Trennung von Wohnen und Arbeit zum Beispiel, der gesamten „Anordnungen für Prostituierte” (ProstSchG §11) und weiterer, monierte ebenfalls die nur mutmaßlichen Kosten sowie deren Abwälzung auf das Gewerbe und zu einem geringen Teil auch auf die Kommunen und forderte eine Kostenkompensation durch den Bund. Der Bundesrat hob zudem sein Unverständnis bezüglich des völligen Fehlens von Aussagen zur Besteuerung hervor.
Im normalen Procedere geht ein Gesetzentwurf mit seinen Stellungnahmen zurück und die Bundesregierung prüft, bessert nach, legt erneut vor oder sie greift zum Mittel der „Gegenäußerung”, wie in diesem Fall geschehen. Unterm Strich lautete diese in den wesentlichen Punkten: „Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit / Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag ab ...”
(9)
Machen wir einen Köpper zurück zu denjenigen, die das nun ausbaden müssen und mit ins kalte Wasser, das dem Gewerbe derzeit höher als bis zur Halskrause, nämlich bis zur Oralverkehrsöffnung steht und von dem die Kommunen nun auch endlich merken, dass sie sich mit ihrer Unterstützung für das Gesetz im Vorfeld auch ganz schön selbst ins Knie ...
(Verzeihung. Das ist wirklich zu obszön! )
Stuttgart jedenfalls meldet, die Umsetzung verzögere sich mindestens um ein halbes Jahr; es sei zu wenig Personal vorgesehen. Nach jetzigem Stand sei das neue Gesetz eine „Billigheimerlösung” mit bloßem Symbolwert. Der Leiter des Ordnungsamts spricht zurückhaltend von „unzulänglicher Finanzierung”, der des Gesundheitsamts bemängelt, dass „Sozialpädagogen in dieser Berechnung gar nicht drin seien. Ebenso wenig ärztliches Personal. Völlig übersehen habe man offenbar auch, dass man Dolmetscher brauche.” Der Landessozialminister: Das Land müsse nun „ein schlecht gemachtes, hektisch zusammengestricktes und sehr bürokratisches Bundesgesetz umsetzen.”
(11) Die Polizeibehörde bedauert, dass sie erst vor geraumer Zeit ihren landesweit einmaligen, eigenständigen „Arbeitsbereich Prostitution” mit Dienststelle direkt vor Ort und im Milieu verloren habe. Diese sei aufgrund von Personalengpässen in den Kriminaldauerdienst „integriert” worden.
(13)
Und der streitbare Betreiber von zweien der 200 Bordelle und Rotlichtbetriebe der Stadt, John Heer, kommt ein letztes Mal zu Wort: Er hält vor allem die Anmeldepflichtpraxis für Huren und die Forderung zur Trennung von Arbeit und Wohnen für völlig verfehlt. Dass man z.B. nun von den Frauen verlange, in den frühen Morgenstunden „aus den geschützten Räumen rauszugehen” und den Heimweg in ihre Wohnungen anzutreten, damit setze man sie „massiven Gefahren aus”, sagt er und „das alles wird auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Die werden geschwächt, deren Ausbeutung findet durch das Gesetz jetzt erst richtig statt.”
(11) (Wenn der wüsste, wie sehr seine Einschätzung sich mit der des Bundesrates deckt ...).
Fazit zum SexarbeitsVerdrängungsGesetz
Das neue ProstSchG ändert nichts an der grundsätzlichen Legalität der Sexarbeit übrigens. Sie wird weiter zugestanden, aber zugleich durch diesen wirklichkeitsfremden Forderungswust einer fast undurchschaubaren Zahl von Verordnungen und Einzelbestimmungen verhindert. Der Weg zu einer legalen, rechtmäßigen Beschäftigung wird – so auffällig, dass man es nur bewusst nennen kann – verstellt. Jede „Duldung” sexueller Dienstleistungen und einschlägiger Etablissements wird abgeschafft. Gleiches Arbeitsrecht für alle? Abgeschafft!
Neu ist auch, dass das Stigma der „Prostitution” nun einem noch größeren Kreis von Berufs- und Randgruppen zugemutet wird. Insgesamt führt die Auseinandersetzung mit diesem politischen Akutfall also zu einem nicht eben wenig ernüchternden Fazit:
Nur die auf beiderseitigen Interessen beruhende und bewusste Duldungspraxis (!) der vergangenen Jahrzehnte ermöglichte einen relativ hohen Freiheitsgrad des Angebots wie der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen.
Und wenn schon! Was geht uns das an?
Wieso beschäftigt man sich mit so einem Gesetz? Was hat das mit uns, mit mir zu tun, mit einem Leben als Nicht-Hure oder Nicht-Freier? Das ist eine Frage, die mir aufgrund dieses dauerfeurigen Threads auch mehrfach gestellt wurde. Da sie sich ebenfalls verallgemeinern lässt, nehme ich sie mit auf.
Wieso sollte man sich mit so etwas Speziellem auseinandersetzen, das einen selbst gar nicht oder ganz selten nur berührt und das nichts mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hat? Weil eben Letzteres ein Irrtum ist.
Meine bescheidene Erfahrung bei allem Interesse fürs „Milljöh” ist auch beschränkt. Ich war zwar zu Schüler- und Studentenzeiten mit einer befreundet, hatte aber persönlich noch nie was mit ‚ner Nutte, logisch fast ,-),kann also nicht mit eigener Kaufsex-Erfahrung aus dem Nähkästchen plaudern. Putzte zwar als Jugendliche in einer Peepshow (unweit des Stuttgarter Bohnenviertels, ein gummistiefelpflichtiger Job und reich an klebriger Erkenntnis), wohnte mehrfach mitten im Kiez, auch in Berlin. Das zeigt ein Basisinteresse am Rotlicht an sich. Außerdem mag ich schräge Vögel aller Couleur und Art, habe wohl für Randgruppen der Gesellschaft einen instinktiven, liebevollen Blick, das kommt hinzu.
Wenn ich es mir selbst so recht überlege, hat sich mein Elan für ausgerechnet „diese” genauere Inspektion der „Rumhurerei” aus gleich mehreren Gründen so ergeben: Zuerst schreib' ich natürlich gerne, auch besonders gerne an oder für „eine Sache”. Viel wichtiger aber ist, dass humanistische Themen mich immer herausfordern und besonders diejenigen, die unseren Umgang mit jeder Art von „Freiheit” betreffen – ich hätte auch über Meinungsfreiheit schreiben können und habe dies auch schon im Zusammenhang zum Beispiel mit den Anschlägen auf „Charly Hebdo” getan. Das ist genauso brisant und wichtig, diesen Teil unserer errungenen Freiheit und deren Gefährdung zu betrachten. Ein weiterer Grund ist der Anlass: Dieses übergriffige, neuartige Gesetz. Zunächst wollte ich schlicht wissen, was dahintersteckt, denn mir war klar, dass jeder gesellschaftliche und moralische Rückwärtsgang sich in der „Sex- und Schmuddelecke” unserer Gesellschaft besonders deutlich offenbaren wird.
Der vierte Grund ist meine Überzeugung, dass wir uns in gewissem Sinne alle „prostituieren”. Dass wir unseren Geist, unseren Körper jeden Tag „zu Markte tragen” und damit Geld verdienen ... (Wir arbeiten schließlich! ,-). Wir setzen zwangsläufig alles ein, was wir sind, unseren Geist, Körper, Erlerntes, Eingeübtes, unseren Charme, um auch in den Genuss gesellschaftlicher oder zwischenmenschlicher nicht „geldwerter” Vorteile zu kommen.
Insofern ist die Prostitution nur eine besonders extreme Position auf der Skala des menschlich „normalen” Verhaltens für mich.
Der nun sicher schon fünfte Grund ist, dass wir, die wir im JOY sind, per se einen unmittelbaren Bezug zu ausgerechnet „sexueller Selbstbestimmung” kaum verleugnen können, denn wir sind hier als selbsterklärte Erotiker zugange – in welcher Ausprägung und wie weit von der gesellschaftlichen Norm und der „guten” Moral entfernt auch immer.
Nicht wahr ...
?!
Danke Euch fürs Mit- und Nachdenken und wünsch’ Euch ein sonniges Gemüt und ein sexy Wochenende ...
| Nyx, der Gesetzes(er)brecher ...
_
*
1 | Deutscher Bundestag. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/8556, 25.05.2016
2 | Entwurf eines Gesetzes zur ... Begründung der Bundesregierung: A. Allgemeiner Teil I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen
3 | Stuttgarter Zeitung: Die schwierige Regulierung des Sexgewerbes. Mathias Bury, 6.6.2017
4 | Stuttgarter Zeitung: Bordellbetreiber klagt gegen die Stadt. Marc Schieferecke, 15.1.2016
5 | holger-hommel.de – staedtle.de: über uns – staedtle.de/rotlicht u.w.
6 | BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND – DIE BUNDESKANZLERIN: An den
Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Prof. Dr. Norbert Lammert, Platz der Republik 1, 11011 Berlin (25.5.2016)
7 | Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (NKR-Nr. 3452)
8 | Stellungnahme des Bundesrates. Der Bundesrat hat in seiner 945. Sitzung beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen: ...
9 | Gegenäußerung der Bundesregierung. Die Bundesregierung nimmt zur Stellungnahme des Bundesrates wie folgt Stellung: ...
10 | Stuttgarter Zeitung: Das Rotlichtviertel wird aufgehübscht. Marc Schieferecke, 18.3.2016
11 | Stuttgarter Zeitung: Prostituiertenschutz als „Billigheimerlösung”? Mathias Bury, 9.7.2017
12 | Bei Abriss Aufstand.de, Offener Brief an Aufbruch Stuttgart
13 | Stuttgarter Zeitung: Rotlichtexperten fusionieren mit Dauerdienst. Christine Bilger, 22.8.2016