Aus neu mach alt
Auf der einen Seite rennen wir der neuesten Technik-Trends hinterher. Die neue Kamera muss mehr Megapixel, größeren Dynamikumfang und noch rauschärmere Bilder haben, das neue Objektiv noch schärfer abbilden, bei weniger Bildfehlern als zuvor.Auf der anderen Seite verwenden wir die Bildbearbeitungsprogramme, um die Bilder wieder alt aussehen zu lassen, indem Kamera- oder Objektivfehler wieder dazugerechnet werden – bei manchen Modellen ist das schon in den Kameraeinstellungen möglich.
Sensor- oder Filmfehler: Rauschen
Die ersten Digitalkameras rauschten stark, wenn man mit den ISO-Werten nach oben ging, Analogfilme sowieso.
Inzwischen ist das Sensorrauschen zum größten Teil verschwunden, heute sind auch vierstellige ISO-Werte rauschfrei oder zumindest sehr rauscharm. Die Bildprogramme bieten auf der einen Seite Funktionen zur weiteren Rauschverminderung, aber viele Bildbearbeitungsprogramme haben auch eine Funktion „Rauschen hinzufügen“.
Sensor- oder Filmfehler: Farbverschiebungen
In analogen Zeiten hatte jeder Farbfilm seinen eigenen Look. Der eine wurde für seine Hauttöne gelobt, der andere für seine Grün-Wiedergabe bei Landschaften. Die Filme waren nicht in der Lage, das sichtbare Licht korrekt und neutral abzubilden, es gab Farbreduktionen und Verschiebungen.
Inzwischen sind die Sensoren sehr farbneutral und bilden ein weites Farbspektrum so ab, wie wir es im Original sehen. Dafür gibt es Look-Up-Tables, die Reduktionen und Verschiebungen der alten Filme wieder ins Bild hineinrechnen. Fujifilm macht das sogar direkt in der Kamera.
Objektivfehler: Lens Flares
Nicht alles Licht, was vorne in das Objektiv hineinfällt, erreicht auch den Sensor. Da ist das Licht, das schräg in das Objektiv einfällt und vom Sensor gar nicht gesehen werden kann. Vom senkrecht in das Objektiv fallenden Licht geht bei jedem Luft-Glas-Übergang ein kleiner Anteil durch Reflexion verloren.
Dieses Streulicht kann den Bildkontrast vermindern. Besonders stark wirken sich helle Lichtquellen aus, die im Bild stehen oder sich knapp außerhalb des Bildes befinden (gegen letzteres helfen übrigens Streulichtblenden – deshalb: niemals ohne). Im Extremfall kann man jeden einzelnen Luft-Glas-Übergang als farbigen Kreis im Bild sehen, dazu einen farbigen Strahl quer durch das Bild und womöglich noch farbige Flächen.
Die Objektivbauer haben in den letzten Jahren große Fortschritte dabei erzielt, diese Störungen zu reduzieren. Moderne, nanovergütete Objektive haben nur noch einen Verlust von 0,1% pro Glas-Luft-Übergang, ein Zehntel dessen, was alte, einfach vergütete Objektive hatten. Hochwertige Objektive sind innen komplett mattschwarz verkleidet, selbst die Linsen-Außenseiten sind schwarz lackiert.
Auf der anderen Seite gibt es Apps, die Lens Flares ins Bild rechnen bzw. man kann Lens Flares als Ebenen in das Bild hineinnehmen.
Objektivfehler: Vignettierung
Alle Objektive vignettieren bei offenen Blendenwerten, sie sind am Rand etwas dunkler als in der Mitte. Diese Abweichung kann leicht beseitigt werden. Jeder RAW-Konverter kann das, moderne Kamera erledigen das bei JPEG automatisch direkt nach der Aufnahme, sofern da Objektiv die Stärke seiner Vignette meldet.
Jedes Bildverarbeitungsprogramm kann aber auch Vignetten ins Bild hinein rechnen.
Soweit meine Beobachtungen. Was meint ihr dazu? War die alte Analogtechnik doch die bessere Fotografie oder warum „verbessern“ wir unsere neuen Fotos so gerne mit Unzulänglichkeiten früherer Zeiten?