Floh
FlohDa war sie wieder. Vollkommen überraschend, unverhofft, unerwartet, platzte sie wieder in mein Leben. Wie schon einmal. Beim ersten Kontakt war blitzartig der Kosename den ich ihr heimlich gegeben hatte, für mich wieder präsent. „Floh“. So zierlich und umtriebig wie vor einigen Jahren. Selten still verharrend. Manchmal schien es, fast wie auf der Flucht. Zumindest mir. Und nun? Zuerst nur ein kurzer, vorsichtig tastender Gedankenaustausch.
Was wollte sie von mir? Misstrauische Gedankengänge winden sich entlang meiner Synapsen, wieder, wie schon einmal, begleitet von Unsicherheit. Ich hasse das eigentlich abgrundtief! Das nicht Wissen woran man eigentlich ist. „Alter Mann, vergiss es!“ Dieser Gedanke schiebt sich von ganz hinten, pe-netrant und mit voller Wucht, in den aktiven Gehirnteil. „Und wenn doch?“ Das Teufelchen auf der rechten Schulter guggt mich hämisch grinsend an. Er lacht sich ins Fäustchen - kenn‘ ich schon. Scheint seine Lebensaufgabe zu sein. Den Kerl einfach ignorieren funktioniert auch nur noch bedingt. Arschloch, blödes!
Denk nach alter Mann! Wenn es geht, ausnahmsweise mal realistisch. In Gedanken werfe ich das Teufelchen einfach mal vom Balkon. Nutzt zwar nix, aber so hab ich zumindest für ein paar Minuten meine Ruhe. Meistens zumindest. Er ist einfach widerlich, dieser Gnom. Der Gegenpart zu ihm sitzt hinter mir im Wohnzimmer und schweigt diesmal. Sie weiß was im alten Mann gerade wieder vor sich geht. Sie kennt ihn nun schon seit vielen Jahren und weiß wann es sinnlos ist mit ihm über gewisse Dinge zu reden. Emotionale Schmerzen gehören nun mal zu seinem Leben, da kann auch sie nichts machen. Sie weiß, wenn es wieder vorbei ist, dann ist sie da und fängt ihn auf, soweit sie es vermag. Wenn sie denn zu ihm vordringen kann, was auch immer schwieriger wird.
Er steht auf dem Balkon und schielt nach links. Es ist gut dass das Haus „ver-kehrt“ steht. Nur ein kleines Stückchen mehr an Drehung und er könnte an eine gewisse Stelle sehen. Nein, ist schon gut so. Der Blick sieht in die Auen unter ihm, in der Ferne. Ich sollte ihr einfach einen Brief schreiben, aber dann sehe ich nicht ihre Reaktion darauf. Auch nicht ein eventuelles auslachen. Egal, sei’s drum.
Ich setz mich an den Schreibtisch und beginne einfach.
Ich grüße meine Liebste…
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