Alles steht auf dem Kopf
Der Alltag hatte Helen wieder, doch nichts fühlte sich mehr normal an. Die Erinnerungen an die Nacht im BDSM-Club und das tantrische Silvesterseminar ließen sie nicht los. Sie versuchte, sich mit Arbeit abzulenken, doch sobald sie zur Ruhe kam, stürzten die Gedanken auf sie ein. Wie konnten so unterschiedliche Erfahrungen sie so tief berühren? War das alles richtig? Darf sie das?Ihre Erziehung in einer religiösen Familie rebellierte gegen alles, was sie erlebt hatte. „Das ist nicht normal“, sagte eine strenge Stimme in ihrem Kopf. „Du darfst so etwas nicht fühlen.“ Was würde ihre Familie sagen, ihre Kinder? War es nur ihre Einsamkeit gewesen, die sie so schwach gemacht hatte? Und was war mit Anna – hatte sie sie vielleicht ausgenutzt?
Doch der Moment, der Helen am meisten quälte, war der während des Rituals im Seminar. Annas Berührung – so zärtlich, so absichtslos – hatte sich wie ein Stromschlag angefühlt. Die weichen Hände, die Nähe, ihre nackten Körper. Helen hatte eine Erregung gespürt, die sie nicht ignorieren konnte. Aber es war Anna, ihre beste Freundin. Eine Frau. Das durfte sie doch nicht empfinden, oder? Schon gar nicht für Anna.
Die Zweifel und unterdrückten Gefühle raubten Helen den Schlaf. Sie suchte verzweifelt nach Antworten. Als die innere Qual unerträglich wurde, beschloss sie, sich diesen Gefühlen zu stellen – aber vorsichtig. Ein weiteres Tantra-Seminar traute sie sich nicht zu, und alleine in einen BDSM-Club zu gehen, wagte sie erst recht nicht. Anna wollte sie nicht einweihen, bevor sie sich nicht selbst im Klaren war.
Beim Stöbern im Internet stieß sie auf einen Tantra-Kennenlern-Workshop. „Ein paar Stunden halte ich aus“, dachte sie. Ohne weiter nachzudenken, meldete sie sich an.
Der Workshop
Als Helen den Raum betrat, fühlte es sich an, als würde die Zeit stehen bleiben. Der Duft von Räucherstäbchen, die sanfte Musik, die warmen Lichter – alles erinnerte sie an das Silvesterseminar. Die vertraute Atmosphäre brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Sie spürte, wie sie erstarrte, unfähig, auch nur einen Schritt weiterzugehen.
Plötzlich spürte sie einen leichten Druck auf ihrer Schulter. „Alles in Ordnung?“, fragte eine sanfte, aber präsente Stimme.
Helen drehte sich um, und ihre Augen trafen die der Sprecherin. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie spürte eine Gänsehaut am ganzen Körper. Vor ihr stand eine Frau, die auf den ersten Blick unscheinbar wirkte – nicht das, was man als klassisch schön beschreiben würde. Doch ihre Ausstrahlung war überwältigend. Sie strahlte eine Authentizität und Stärke aus, die Helen regelrecht in den Bann zog. Es war, als würde ihr Körper vor Leben pulsieren.
„Hi, ich bin Mary“, sagte die Frau mit einem warmen Lächeln. „Wie heißt du? Bist du zum ersten Mal hier?“
„Helen“, brachte sie schließlich heraus. „Ja, ich… ich bin neu.“
Mary nickte verständnisvoll. „Dann lass uns sehen, dass du dich wohlfühlst.“ Ihre Stimme war ruhig, fast hypnotisch, und Helen fühlte sich wie magisch angezogen.
Verloren im Augenblick
Die erste Übung begann: intensiver Augenkontakt und synchrones Atmen. Helen saß Mary gegenüber, ihre Knie berührten sich leicht, und sie wagte es kaum, den Blick zu heben. Doch als sie Mary schließlich in die Augen blickte, fühlte sie sich förmlich hineingezogen. Die Welt um sie herum verschwamm, während sie in diesen tiefgründigen, ehrlichen Augen versank. Mary strahlte Wärme und Vertrauen aus, und gleichzeitig lag eine Verletzlichkeit darin, die Helen tief berührte.
Mit jedem Atemzug fühlte Helen, wie sich ihre Anspannung löste. Ihr Herzschlag beruhigte sich, und sie spürte eine Verbindung, die sie nicht erklären konnte. Es war, als ob Mary in ihre Seele blicken könnte – und trotzdem fühlte sich Helen sicher.
Weitere Übungen folgten, jede intensiver als die vorherige. Mit jedem Moment fühlte sich Helen freier, offener und lebendiger. Sie ließ sich treiben, ohne zu hinterfragen, was richtig oder falsch war.
Nach dem Workshop
Als der Workshop endete, war es bereits spät. Die Teilnehmer verabschiedeten sich, doch Helen blieb noch unschlüssig stehen. Mary trat zu ihr. „Soll ich dich nach Hause bringen? Es ist ziemlich spät, und ich habe ein Auto.“
Helen zögerte kurz, dann nickte sie. Sie wollte Marys Nähe nicht verlieren. Während der Fahrt sprachen sie über Belangloses, doch die Verbindung zwischen ihnen war spürbar. Helen fühlte sich, als würde sie jemanden seit Jahren kennen, den sie erst vor ein paar Stunden getroffen hatte.
Als sie schließlich vor ihrem Haus ankamen, wollte Helen sich noch nicht verabschieden. „Willst du noch auf einen Tee reinkommen?“, fragte sie, überrascht von ihrem eigenen Mut.
Mary lächelte. „Gerne.“
Ein offenes Herz
Drinnen, bei einer warmen Tasse Tee, konnte Helen sich nicht mehr zurückhalten. Sie begann zu sprechen, alles herauszulassen, was sie seit Wochen quälte. Sie erzählte von dem BDSM-Club, dem Tantra-Seminar, ihrer Anziehung zu Anna, den widersprüchlichen Gefühlen, die sie nicht verstand. „Und jetzt… jetzt fühle ich mich auch zu dir hingezogen“, gestand sie schließlich, mit Tränen in den Augen. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist.“
Mary hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Als Helen schließlich verstummte, nahm Mary ihre Hand. „Helen, Gefühle sind nicht gut oder schlecht. Sie sind einfach da. Was zählt, ist, dass du dir selbst erlaubst, sie zu fühlen.“
Helen spürte, wie ihre Tränen flossen, doch sie fühlte sich nicht mehr allein. Mary zog sie sanft in eine Umarmung. Es war keine gewöhnliche Umarmung, sondern eine, die alles zu sagen schien: „Ich bin hier. Du bist sicher.“
Helen ließ los, ihre Tränen liefen frei, und Mary hielt sie einfach, wischte die Tränen von ihrem Gesicht – und dann, fast ohne es zu merken, ließ sie ihre Lippen Helen berühren. Ein sanfter, zärtlicher Kuss auf die Wange, dann auf die Stirn. Helen spürte die Wärme, die Zärtlichkeit, die Geborgenheit. Ihr Atem stockte, und sie wusste, dass dieser Moment alles verändern würde.
*
Wie geht es weiter?
Hier endet die Geschichte – für jetzt.
Was denkt ihr, wie der Abend zwischen Helen und Mary weiterging?
Schreibt mir eure Gedanken und Ideen – lasst uns gemeinsam die Reise von Helen fortsetzen!
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Diese Serie von Kurzgeschichten erzählt von Helens Reise zu sexueller und emotionaler Befreiung. Jede Geschichte ist eine kleine Episode, die ihren Weg zu mehr Selbstentfaltung und Lebensfreude beschreibt. Obwohl die Erzählungen fiktiv sind, basieren viele Details auf realen Erlebnissen – auf Erfahrungen, die ich, mein Mann, meine Freunde oder Bekannte gemacht haben. Ob in Clubs, bei Tantra-Seminaren oder anderen besonderen Veranstaltungen, nahezu alles, was Helen in diesen Geschichten durchlebt, hat auch im echten Leben stattgefunden.
Link zum Teil 1&2:
Homepage "Helens Befreiung (Kurzgeschichten)" von Inanna Ling