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Dem Selbst entkommen >> Leseproben und Diskussion

Dem Selbst entkommen >> Leseproben und Diskussion
Beim Friseur
Der hohe Anteil der Ausgaben für Friseurdienstleistungen und Haarkosmetika an den Haushaltsbudgets belegt, dass die Haare einer Frau ein wesentlicher Bestandteil ihrer Persönlichkeit und ihrer sexuellen Ausstrahlung sind. Was lag also näher, als ein Abschneiden des Kopfhaars zur Dekonstruktion dieses Teils von Angelikas Attraktivität als Frau. Die kulturwissenschaftliche Analyse für diese Szene war überdurchschnittlich ertragreich. Webseiten wie die leider auch schon wieder etwas osteuropäisch wirkende Extremehaircut.com hatten Angelika beim Development von BDSM Guerilla darin bestärkt, dass die Hauptdarstellerin eine Glatze bekommen müsse. Auf der großen Leinwand gab es die berühmte head shaving scene in The Wolf of Wallstreet (2013), in der Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) im Rahmen einer Party der Brokerfirma Stratton Oakmont bekannt gibt, das eine weibliche Angestellte (gespielt von Natasha Newman Thomas) sich für US-$10.000 den Kopf kahl rasieren lassen wird und sich außerdem verpflichtet hat, das Geld zweckgebunden für eine Brustvergrößerung auszugeben. Im non-consensual Bereich gab es die femmes tondues (the shorn women), die von ihren französischen Landsleuten als Vergeltung für ihre angebliche collaboration horizontale nach dem Rückzug der Deutschen Wehrmacht ab 1944 geschoren und dann durch die Dörfer getrieben wurden. Es gab auch geschorene Frauen im historischen Islam und im Judentum, aus Gründen der religiösen Toleranz beschäftigte sie sich aber damit nicht näher.
*
Die Mädchen spüren, dass Angelika sehr stolz auf ihre langen Haare ist, auch wenn sie inzwischen ungepflegt wirken, da sie seit ihrer Versklavung kein Shampoo und keine Pflegeprodukte mehr benutzen darf. Naiv wie sie ist, freut sie sich, als sie ihr sagen, sie würden sie für einen neuen Haarschnitt zum Friseur bringen.
„Aber nur die Spitzen nachschneiden.“
„Genau.“ [Kichern.]
Das in der Nähe des Hauptbahnhofs gelegene Ladengeschäft sieht verglichen mit den 150 Euro Salons ihrer Vergangenheit furchtbar aus. Dem Friseur fehlen Schneidezähne und er hat ein speckiges Hemd und eine fleckige Hose an. Angelika reißt sich aber zusammen und harrt der Dinge, die da kommen werden. Vielleicht ist er ja besser, als zu vermuten ist, denkt sie. Man darf keine Vorurteile haben. Viele Migranten sind exzellente Handwerker, auch ohne deutschen Meisterbrief.
Der Friseur freut sich, als Angelika beim Hinsetzen ihren Minirock hinten hochzieht. Er fängt gut gelaunt an zu schneiden und schauspielert einen Star-Figaro. Sie blickt sich ängstlich nach ihren Herrinnen um, die sich Kaugummi kauend auf Stühle hingefläzt haben und breit grinsen. Einen Spiegel gibt es nicht, sodass sie nicht sehen kann, was da für eine Frisur entsteht.
„Aber bitte wirklich nur die Spitzen schneiden, Herr Friseur.“
„Haare ganz kaputt. Müssen ab“, sagt Tarek, während er mit seiner schmutzverkrusteten Hand durch Angelikas strohige Haare fährt.
„Dann alles ab, Tarek, alles ab“, ruft Sevim lässig, ohne von ihrem Smartphone aufzublicken.
Vielleicht hat ihr Haar wirklich keine Substanz mehr in den Längen und ist gänzlich von Spliss befallen. Es schmerzt Angelika ein wenig, die langen Strähnen zu Boden fallen zu sehen. Sie wundert sich, als der Mann Haarbüschel um Haarbüschel ergreift und immer mehr kürzt und damit gar nicht mehr aufhört. Ein weiterer Blick zu den Mädchen, die sie nur auslachen. Angelika bekommt Panik, als der Friseur zum Scherapparat greift und anfängt, ihren Kopf damit zu rasieren.
„Nein, nein, bitte nicht“, greint Angelika.
„Heul doch“, sagt Natascha.
Als Angelika aufstehen will, drückt Sevim sie mit einem festen Griff in den Nacken barsch zurück in den Sitz. Schockstarr und mit wiedergewonnenem Gehorsam lässt sie alles geschehen, auch als Rasierschaum auf ihrer Kopfhaut verrieben wird und die letzten Stoppeln mit einem Rasiermesser abgetragen werden. Mit einem Handtuch poliert der Friseur ihre blanke Kopfhaut.
„Ausnahmsweise mal ein Pflegeprodukt für dich, Sklavin.“
Tarek reibt ihr grobmotorisch eine seltsam riechende Creme in die Kopfhaut, die davon sofort brennt.
Vor dem Laden hat sich eine aus Mitgliedern des Prekariats bestehende Menschentraube gebildet, die jetzt teilweise hineindrängt und sie eifrig mit Smartphones fotografiert.
Weil Angelika kein Geld hat, um zu bezahlen, muss sie den Haarschnitt den Nachmittag über abarbeiten. Sie fegt barfuß wie sie gekommen ist die Haare zusammen, wischt den Boden und trägt den Müll heraus. Sie nimmt sich vor, die sexistischen Bemerkungen und Gesten der Männer unter dem Hashtag #aufschrei auf Twitter zu posten.
Die Mädchen holen sie später ab. Sie kaufen ihr auf dem Heimweg eine sehr billige weißblonde Pagenfrisur-Perücke aus Kunststoff, obwohl sie eigentlich brünett gewesen war. Angelika ist trotzdem froh, in Zukunft nicht immer mit ihrem neuen Glatzkopf herumlaufen zu müssen. Leider hat Sevim die Perücke erst einmal eingesteckt. Obwohl Angelika wie immer devot zu Boden blickt, spürt sie doch die Aufmerksamkeit der Passanten, die sie als einzige Frau ohne Haare erregt. Manchmal erhascht sie einen abschätzigen Blick und gezischte Bemerkungen.

Anhang zu "Beim Friseur"
Femmes tondues
http://www.theguardian.com/l … ay-landings-second-world-war

http://fr.wikipedia.org/wiki/Femmes_tondues

Kristine Stiles. Shaved Heads and Marked Bodies: Representations From Cultures of Trauma. In: Bruce Lawrence and Aisha Karim, Herausgeber, On Violence: An Anthology, Durham, N.C.: Duke University Press 2007; S. 522-538, online verfügbar unter
https://web.duke.edu/art/stiles/shaved_heads.html

Edmund R. Leach. Magical Hair. The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland (JRAI), July 1958, 88, Part II July – December, S. 147 –164.

Christoper R. Hallpike. Social hair. Man (New Series), Volume 4, Nr. 2, Juni 1969, S. 256 – 264.
FetishFetish
********T_KE Mann
117 Beiträge
Hair Cut
Deine Kurzgeschichte gefällt mir ausgesprochen gut. Sehr gute Einführung in das Thema Haare und danach dann der CUT!
Ugly Catwalking
Die reinste Form der Öffentlichkeit war in der Moderne die Fußgängerzone. Inspiration für die Szene war die Performance-Installation des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven CECI N’EST PAS … 10 AUSNAHMEN VON DER REGEL im Rahmen des Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel, einem Bühnenkomplex in einer ehemaligen Kranfabrik in Hamburg. Vom 7. bis zum 16. August 2014 wurden jeweils von 15 bis 20 Uhr die Passanten inmitten ihrer Alltagsrealität auf der Spitaler Straße Ecke Lange Mühren in Hamburg mit Kunst in Form von Tableaux Vivants in einer Glasvitrine konfrontiert, die an die Freakshows und Menschenausstellungen im 19. Jahrhundert erinnerten. Angelikas Idee war es, diesen Ansatz mit der Idee des Laufstegs zu kombinieren.
<sep03>
*
<sep03>
Abends sehen alle zusammen fern. Angelika ist nackt und muss die Mädchen abwechselnd auf Knien ihr Gesicht zwischen die Beine drücken und sie mit ihrer Zunge verwöhnen, ihnen die Füße massieren und Snacks und Getränke holen. Sie darf nicht auf den Bildschirm schauen. Trotzdem ist sie froh, dabei sein zu dürfen. Im Privatfernsehen kommt eine Show, in der Schülerinnen posing und catwalking lernen und dann mit dem angeeigneten Können bei kleineren Fashion Shows als Nachwuchsmodelle auftreten.
»So was sollten wir mit dem loch machen, in der Fußgängerzone.«
Den ganzen Abend muss Angelika auf verschiedenen High Heels und Plateauschuhen wie ein Mannequin durch die Wohnung stolzieren, schließlich auch im Hausflur. Bei Fehlern bekommt sie die Gerte zu spüren. Es ist ein Trauerspiel.
»Völlig talentfrei.«
»Grobmotorisch.«
»Behindert. Sie lernt es nie.«
»Sie kann es einfach nicht.«
Am nächsten Morgen soll es trotzdem losgehen.
<sep10>
Grundlage für ihr Outfit sind fünf getragene fleischfarbene Strumpfhosen.
»Wie die stinken. Hier loch, riech mal.«
Bei zweien wird seitlich an der Hüfte ein Loch hineingeschnitten, in jede auf einer anderen Seite. Angelikas rechter Arm wird in ein Strumpfhosenbein gesteckt, ihr Kopf in das andere und ihr linker Arm durch das ausgeschnittene Loch. Bei der zweiten Strumpfhose spiegelverkehrt das Gleiche. Dann wird in die dritte Strumpfhose im Schrittbereich ein Loch für den Kopf geschnitten und ihre Arme kommen in die Strumpfhosenbeine. Das vierte und fünfte Paar wird ihr ganz normal über die Beine gezogen.
»Ein sehr gutes Panty Hose Encasement.«
Darüber Shiny High-Waist Leggings von American Apparel in Chameleon Green.
Ein Hobble Dress von Winterfetish aus PVC in der Farbe Hot Pink.
Ascot Ponyschuhe aus Patentleder mit richtigen Hufeisen von Punitive Shoes aus Italien in der Farbe Patent Red.
Als krönender Abschluss nach außen ein klassischer grauer Klepper Regenmantel mit Kapuze. Das Material besteht aus beidseitig gummierter ägyptischer Karnak-Baumwolle, dem berühmten Klepperbatist. Es ist nicht atmungsaktiv und Angelika kommt darunter schnell ins Schwitzen. Die Luftzufuhr durch mehrere etwa 20 bis 30 Zentimeter lange parallel vom Kragenansatz nach unten verlaufende Lüftungsröhren, die sogenannten Rillopfeifen, schafft kaum Abhilfe.
»Das ist wieder typisch Venetia.«
»Was meint das loch?«
»Es gibt viele Klepper-Fetischisten, so hieß die Firma, die diese Mäntel früher hergestellt hat.«
»Sind das die Leute, die seit den 60-er Jahren private BDSM-Parties in ihren Hobbykellern veranstalten und dabei Leberwurstschnittchen reichen?«
»Genau die.«
Alle nehmen den spezifischen, leicht säuerlichen und muffigen Gummigeruch wahr, der ganz anders ist als der typische Latexgeruch von Fetischkleidung. Bei jeder Bewegung entsteht das typische »Rascheln«, das die Kleppergemeinde so schätzt.
»Ich sehe ja furchtbar aus.«
Alle müssen herzlich lachen, als Angelika sich vor dem Spiegel im Flur hin- und herdreht.
<sep03>
*
<sep03>
»Eine Verrückte.«
»Aus welcher Anstalt ist die denn entlaufen?«
»Gott wie hässlich.«
»Trash-Mode.«
»Ist das Marina Abramović?«
»Gruselig.«
Das sind noch die freundlichsten Kommentare, die Angelika in der 700 Meter langen Fußgängerzone der Stadt von Passanten zu hören bekommt, als sie sich so schnell es mit winzigen Japanerinnen-Entengang-Schritten auf dem Kopfsteinpflaster eben geht durch die Menschenmenge windet. Hier dominieren die Filialen großer internationaler Modeketten und normale Menschen aus dem Volk drängen sich dicht an dicht, ohne Laufbahnregelung in beide Richtungen vorstoßend. Die Luxusgeschäfte waren woanders, die Stadt trennte hier fein säuberlich ihre Klassen, vielleicht um Konfrontationen zu vermeiden, bei Normalverdienern keine Neidgefühle aufkommen zu lassen oder um den Reichen den Anblick der Armen zu ersparen, der ihnen ihre Einkaufslaune verderben könnte.
Am anderen Ende der Einkaufsstraße wartet Peggy und nimmt ihr den Klepper-Mantel ab. Angelika ist schon völlig verschwitzt und bettelt um einen Schluck Wasser, den sie blowjobartig aus einer Flasche einsaugen darf. Es geht wieder zurück. Dort ziehen ihr Sevim und Natascha das »Kleid« aus und schicken sie sofort wieder los. Ohne den knöchellangen und bis ganz unten sehr engen Hobble Dress geht es leichter. Angelika beschleunigt ihre Schritte und merkt jetzt erst richtig, wie unbequem die Schuhe mit ihrer stark geneigten Sohle sind. Die Hufeisen erzeugen auf dem Kopfsteinpflaster das typische Pferdegeräusch in einer zweibeinigen Version. Das Problem ist, dass die Menge dazugelernt hat und sie jetzt schon erwartet. Einige Fans laufen neben ihr mit wie bei der Tour de France. Obwohl ihr eingeschärft wurde, ihre Brüste nicht zu berühren, kreuzt sie die Arme doch manchmal vor der Brust, um die Schaukelbewegungen in den Griff zu bekommen. Sie stolpert mehrfach und landet auf den Händen.
Ein richtiger Spießrutenlauf wird es bei der letzten Runde. Sie trägt jetzt nur noch einen C-String und heart nipple pasties von Agent Provocateur – aufklebbare herzförmige Hütchen in Rot mit roten Bommeln auf ihren Brustwarzen, die wild hin und her zappeln. Ihre Schamlippen sind zwar nicht aufgespritzt worden, aber eine Vakuumpumpe hat sie in eine grotesk aufgeblähte Form gebracht, die der String mehr betont als verdeckt. Bei ihren Brüsten war die Saugwirkung weniger deutlich, obwohl sie in den Acrylglaszylindern vielversprechend ausgesehen hatten. Eigentlich waren sie nur gerötet und ein dunkelroter Ring war dort, wo die Zylinder aufgesetzt worden waren. Große »Sklavenmarkt-TV« Stempelabdrücke vorne auf dem Bauch und hinten längs auf den Oberschenkeln. Sie rennt, so schnell sie kann, auch wenn die Füße ihr dabei noch mehr wehtun. Einige Gruppen von Männern und Jungs fangen sie beinahe ein. In dem wieder übergezogenen Kleppermantel gelingt ihr mit ihren drei Komplizinnen die Flucht vor den anrückenden Ordnungskräften. Der Kameramann und der Toningenieur sind mit ihrem Material zu langsam und werden angehalten, können aber ihre vom Kreisverwaltungsreferat ausgestellte Drehgenehmigung für Modevideo-Aufnahmen vorweisen. Die Polizistinnen sehen ein, dass die Darstellerin nicht völlig nackt gewesen war, und lassen sie nach einer mündlichen Ermahnung gehen, dem Model beim nächsten Mal mehr anzuziehen.
<sep10>
A_Ugly Catwalking
Ce n’est pas Hamburg
[Broken link] http://www.cecinestpashamburg.de/
http://www.driesverhoeven.com/en/project/ceci-nest-pas
http://www.kampnagel.de/de/p … s-10-ausnahmen-von-der-regel
<sep10>
Pantyhose encasement
http://sklavenmarkt.tumblr.c … -pantyhose-encasement-manual
<sep10>
Klepper-Mantel
http://sklavenmarkt.tumblr.c … klepper-rillenluftungssystem
<sep10>
Angelikas Streetwear
http://www.punitiveshoes.com
http://store.americanapparel.net/shiny-high-waist-legging_rsac349
http://winterfetish.com/catalog/PVC-Hobble-Dress.html
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