Implosion
„Moment!“ insistierte ich. „Ich hätte eine Aufgabe für dich, Jintara! Ich brauche eine Thai-Lehrerin, zahle dir 500 Baht pro Unterrichtseinheit, ist das okay für dich?“„Kaa, das mache ich gern! Wann sollen wir beginnen? Jetzt gleich?“
Bei diesem Lächeln aus tiefschwarzen Augen hoffte ich, sie würde bis zum Abend bleiben. Angelika sah das naturgemäß anders.
Sie witterte nicht zu Unrecht Gefahr, hatte mich schon zwei Mal wegen Weibergeschichten verlassen, allerdings auch geschworen, es diesmal nicht zu tun.
Den Einwand von Angelika, sie selbst und vor allem Kati könnten mir auch Thai beibringen, wischte ich beiseite.
Für diese Tonhöhensprache brauchte man unbedingt eine Muttersprachlerin.
Ich ging mit Jintara Richtung Swimming Pool und redete mir immer wieder ein, ich mache das nur, weil ihr Vater und ihr Freund uns geholfen haben.
Jetzt gab es einmal eine Gelegenheit, dies zurück zu zahlen.
Jintara stellte sehr schnell fest, dass mein Vokabular schon ganz gut war, ich hatte nur Probleme, vernünftige Sätze zu bilden und vor allem, dies auch richtig auszusprechen.
Sie erklärte mir geduldig die Satzbildung und Grammatik auf Thai, erklärte mir spielerisch und anschaulich, was ich richtig und was ich falsch machte.
Dabei streifte mich immer wieder ihr schwarzer Haarschopf, fast wie aus Versehen berührte mich hin und wieder ihr rechtes Handgelenk.
Ich hätte gewarnt sein müssen! Thailänderinnen machen nie etwas aus Versehen! Es gibt immer einen Grund dafür…
Nach einer knappen Stunde hatte ich mehr Thai gelernt, als in den ganzen Jahren zuvor – allerdings auch den Eindruck gewonnen, dieses Mädchen flirtet ungeniert mit mir!
Sie war doch eigentlich mit dem eleganten Polizei-Offizier Norachai Phichit zusammen?
Ich verstand nicht wirklich, was sie bezweckte, es ging deutlich über das Maß an Freundlichkeit hinaus, welches die meisten Thais ohnehin an den Tag legen.
Aber auch da musste man inzwischen Abstriche machen – Schuld daran waren Sex- und Sauftouristen…
Sie suchte immer wieder meine körperliche Nähe, so dass ich den Duft ihres Haares schnuppern konnte – Vanille und exotische Blüten.
Und immer wieder musste ich mir einreden: Angelika und ich – Jintara und Norachai!
Es half mir dabei, dass ich nicht handgreiflich wurde, obwohl sie sicherlich nicht geschrien hätte, wenn ich ihr den Arm um die schmale Taille oder die Schultern gelegt hätte.
Meine Hände blieben da, wo sie waren. Dass ich unter diesen Umständen Thai lernte, verwunderte mich selbst am meisten.
Ich musste ihre pädagogischen Fähigkeiten anerkennen.
Nach zwei Stunden wollte Jintara wieder gehen und ich drückte ihr wie versprochen 1000 Baht in die Hand, die sie als Studentin sicher gut gebrauchen konnte.
Ich bat sie, noch zum Abendessen zu bleiben, obwohl Angelika sicher die Stirn runzeln würde.
Mein Hintergedanke war, dass Katrin von der gleichen Dankbarkeit gegenüber den Polizisten von Tha Chana wie ich beseelt war und mir beistehen würde.
Die Sonne ging unter und Katrin zeigte gleich einmal, wie sie das gemeint hatte, sie würde das Problem in Zukunft anders angehen.
Sie hatte eine zerlumpte Frau im Schlepptau, die ein weinendes unterernährtes Kind auf dem Arm trug.
Die Frau sah abgehärmt aus und wirkte wie 50 – später erfuhr ich, dass sie erst 29 war…
Jintara und später Angelika rümpften die Näschen.
„Das ist Kanita mit ihrer kleinen Tochter Noi“, eröffnete uns Katrin, wohl wissend, dass sie uns damit gewissermaßen die Pistole auf die Brust setzte.
„Ich will euch nur zeigen, wie ernst es mir ist…“
„Kati und Harry! Zu einem Sechs-Augen-Gespräch in den Salon – jetzt!“
Manchmal konnte auch die sonst so zurück haltende Angelika dominant auftreten. Wir schlichen hinterher.
„Was soll das, Kati? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Oberst Sirivong ist tot, der Familienanwalt droht uns mit Rauswurf – und du willst aus dieser Villa ein Obdachlosenasyl machen? Geht’s noch?“
Man erlebte Angelika wirklich selten richtig wütend – das war einer dieser Momente…
Katrin’s Augen schwammen in Tränen. Aha, dachte ich bei mir, diese Waffe setzen Frauen nicht nur gegenüber Männern ein, sondern auch untereinander…
„Bitte, Geli! Ich will euch doch nur zeigen, wie wichtig es ist, diese Stiftung zu gründen! Wir finden sicher einen Platz für Kanita und Noi und all die anderen, die Hilfe brauchen! Ist doch nur für ein, zwei Nächte, bitte, Geli und Harry! Schickt sie nicht wieder weg!“
Diesem flammenden, emotionalen Appell konnten sich weder Angelika noch ich verschließen.
„In Thailand wird das fehlende soziale Netz durch die Familie ersetzt. Was ist mit der Familie dieser Frau?“ wagte Angelika einen letzten Einwand, aber ich sah, sie war zum Einlenken inzwischen bereit.
„Sie wurde ausgestoßen, ich weiß nicht, warum…“ Katrin zuckte mit den Schultern.
Zurück in der Küche sahen wir uns mit einer berührenden Szene konfrontiert.
Jintara hatte im Kühlschrank Milch gefunden, diese etwas erwärmt und flößte sie jetzt dem kleinen, etwa zweijährigen Mädchen ein.
Ich wusste nicht, was Jintara damit bezweckte – war es wirklich nur Nächstenliebe, Tambun, Verdienste sammeln für eine Wiedergeburt als Mensch und nicht als Heuschrecke? Wollte sie sich unentbehrlich machen?
„Khop khun kaa, und du bist?“ fragte Katrin freundlich auf Thai.
„Jintara Ratana!“
wird fortgesetzt...