Meiner Meinung nach bedarf es eines besonderen Geschickes, Personen, die einem fremd sind, so abzubilden, dass man den Charakter, die 'Seele' des Menschen wieder erkennt.
Ein klassisches Beispiel ist die Malerei oder im speziellen die Karikatur.
Nur wenige Künstler verstehen sich daruf, innerhalb kürzester Zeit eine ihnen fremde Person so zu beobachten und einzuschätzen, dass sie daraufhin eine treffende Karikatur anfertigen können.
Bei der Fotografie sehe ich das ähnlich. Wenn ein Mensch sich dazu durchgerungen hat, zum ersten Mal in seinem Leben z.B. Aktfotois von sich anfertigen zu lassen, so wird dieser in den meisten Fällen eher verkrampft vor der Linse stehen. Hier ist es die Aufgabe des Fotografen, dem Model die Anspannung zu nehmen und Vertrauen aufzubauen, das Model zu führen und zu ermutigen, die zum Charakter des Models passenden Posen zu finden etc.
Bei vielen Fotografen beobachte ich jedoch, dass diese ein Standart-Repertoire an Posen abspulen, vielleicht weil es (nach Lehrbuch) eben die Posen sind, die einen Körper am vorteilhaftesten abbilden lassen, vielleicht auch, weil es ihnen an der notwendigen Kretivität fehlt. Nun ist nicht jeder Profi-Fotograf in der Lage, Hochzeitsfotos und Aktfotos, Portraits oder Architektur oder was auch immer in der gleichen Qualität herzustellen. Trotzdem wird er wohl kaum einen Auftrag ablehnen, weil es ihm hilft, seine Rechnungen zu bezahlen. Ebenso gibt es, zumindest meiner Erfahrung nach, Zeit für ein ausführliches Vorgespräch, Zeit ist Geld, und das muß nun mal verdient werden. In der Zeit der digitalen Fotografie, die jeden, der ein Fotohändy zu bedienen weiß auch gleich zum Fotografen mutieren lässt wird es zunehmend schwieriger für die breite Masse der Fotografen, breitbandig zu arbeiten und ihre Brötchen zu verdienen. In Zeiten knapper Kassen schraubt manch einer vielleicht auch seine Ansprüche herunter, wird ein Hochtzeitsfest nicht mehr vom Profi-Fotografen für die Nachwelt festgehalten, sondern von der Masse der Digicambewehrten Gäste. Unter den tausenden von Bildern, die das Paar dann auf CD zur Verfügung bekommt, finden sich dann sicher auch ein paar gelungene. UNd weil in Deutschland mittlerweile jede 2. Ehe wieder geschieden wird, ist das mit den Fotos auch gar nimmer so wichtig.
Der wirklich ambitionierte Amateur hat möglicherweise weniger Erfahrung, weniger technisches Equipment, aber er hat nahezu unendlich Zeit. Zeit, um sich bei einem oder mehreren Treffen oder Vorgesprächen mit dem Model vetraut zu machen, es zu studieren, den Charakter, die Wünsche und Träume, das Wesen des Models zu erforschen und eine dazu passende Bildidee zu entwickeln. Und wenn das erste Shooting nicht gleich perfekt wird, dann fällt es auch für das Model leichte, dies zu wiederholen, weil nicht jedesmal ein paar hundert Euro über die Theke wandern. Oft werden die Bilder des ersten Shootings gemeinsam diskutiert, was dem Fotografen hilft, zu erfahren, wo das Model seine Schokoladenseite sieht oder in welchen Aufnahmen es sich nicht wiederfindet.
Gut, mein Vergleich ist recht pauschal. Soll er aber nicht sein. Vor Kurzem kam eine Frau zu mir, mit der Bitte, ein paar Aktfotos von ihr zu machen. Beim Vorgespräch erfuhr ich dann, dass sie bereits beim Fotografenstudio hier um die Ecke war. Auf meine Frage hin, warum sie dann noch zu mir kommt, zog sie ein paar Kontaktabzüge aus der Tasche und legte sie wortlos auf den Tisch. Ganz ehrlich, ich will nicht behaupten, dass ich fotografieren kann. Aber diese Abzüge hätte kein Model von mir gesehen. Lieblos dahingestellt, unvorteilhaft abgelichtet, teils mit nem Plastik-Regencape bekleidet wirkte die Frau auf den Bildern eher wie ein Schulmädchen, das den Bus verpasst hat und im Regen steht. Von Erotik etc. keine Spur. Die Hochzeitsbilder im Aushang des Fotostudios, die ich mir hinterher angeschaut hab, waren weitaus besser, ebenso die Kinderportraits.
Meines Erachtens war der Fotograf einfach nicht in der Lage, eni Aktshooting kreativ zu gestalten, so wie ich vielleicht nicht in der Lage wäre, eine Hochzeit zu fotografieren. Trotzdem nahm er für seine Arbeit 250 Euros, ohne mi der Wimper zu zucken.
Nun gibt es natürlich auch unter den Profis viele Fotografen, die ihr Handwerk verstehen. Als Beispiel nenne ich mal die Trouts, Painter, Leoncool, Michael Vahle oder Roge, um nur einige anzusprechen. Sprühend vor ständig neuen Bildideen, mit dem richtigen Blick für den passenden Bildaufbau und mit ihrem eigenen Stil, weitab vom Mainstream scheinen sie ein großes Vertrauensverhältnis zu den Models aufbauen zu können, und begeistern uns hier immer wieder mit neuen Kunst-Werken.
Ob es daran liegt, dass sie sich vom Aufnahmebereich her eingeschränkt haben, oder daher, dass eine klassische 'Ausbildung' in der Dunkelkammer den Blick schärft, alleine schon um den Geldbeutel nicht allzu sehr zu strapazieren oder ob es ganz andere Gründe hat, mag ich nicht zu beurteilen. Von mir, der kein Geld mit seiner Fotografie verdienen muß und deshalb annähernd unbegrenzt Zeit für die Umsetzung seiner Bildideen und für die Suche nach dem dazu passenden Model hat, gebührt Profis wie diesen meni allergrößter Respekt und meine Anerkennung.
Fred