Doms wahre Wahrnehmung
Gerdom fragte: "Was ist, wenn ich auch nichts mehr wahr nehme?"
Dann dräut Unheil. Das Schiff ist im Nebel, der Kapitän besoffen, der Lotse von Bord.
Deshalb müssen wir Doms üben, unsere Wahrnehmung zu erhalten. Mir fällt das nicht leicht, weil mich eine Session immer so geil macht, dass ich Gefahr laufe, ins Fieber zu verfallen.
Wie kann man Wahrnehmung während einer Session
üben?
Die erste Methode besteht darin, sich vorzunehmen, nicht geil zu werden. Dass das gehen kann, zeigen Gynäkologen, die den Unterleib eines hübschen Mädchens auch in Augenschein nehmen können, ohne dass ihre weisse Arzthose eine Beule ausbildet. Man stellt sich als neutraler
Beobachter ausserhalb sich selbst und versucht, ein möglichst
guter Beobachter zu sein, so dass man hinterher den Verlauf der Session genau aufschreiben könnte. Die eigene Lust muss nicht zu kurz kommen – man kann Subbie nach Session und Atempause ja befehlen, sich nun explizit dem dommigen Lustbedürfnis zu widmen.
Die zweite und weniger radikale Methode besteht darin, sich zu konditionieren, dass man nach bestimmten rituellen Handlungen innerhalb einer Session eine Wahrnehmungspause einlegt. Ich übe mich etwa darin, nach einer Serie von Peitschenschlägen zurückzutreten und zehn Sekunden lang ohne Denken nur wahrzunehmen – wahrzunehmen, wo meine Sub sich im Subspace gerade befindet, wie es ihr mit dem geht, was ich ihr antue, ob ich weitermache, ob ich selbst die Verantwortung weiter übernehmen will oder nicht.
Da jede(r) von uns Doms andere Rituale pflegt, muss jeder selbst sich solche Punkte suchen, die dafür geeignet sind, dass sie oder er
innehalten kann. Hier ist vieles denkbar. Ist etwa eine Wanduhr im Blick (schreckliche Vorstellung), konditioniere ich mich, alle fünf Minuten für zehn Sekunden eine Wahrnehmungspause einzulegen. Geht es um Bondage, konditioniere ich mich, bei jedem Griff nach einem neuen Seil kurz innezuhalten. Spiele ich mit Wachs, zwinge ich mich, bei jedem Griff nach einer neuen Kerze mit Flüssigwachsvorrat kurz das Befinden meiner Sub zu erkunden. Ich bin sicher: jeder findet seine Aufhänger-Situationen.
Hat man sich auf dieses Innehalten konditioniert, bleibt noch die Frage, wie man dann auch "wahr"nimmt. Jeder von uns nimmt immer alles wahr, dies sei versichert. Unser Problem ist immer nur, dass unsere eigenen Gedanken und Gefühle uns die Wahrnehmung verstellen. Also müssen wir von uns selbst
absehen, um Subs Zustand richtig erfassen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mit geistiger Imagination am besten geht. Ich stelle mich etwa hinter meine Sub, betrachte ihren Rücken und versuche die Worte "Weiter" oder "Stopp" auf ihrer Haut zu lesen. Mein Geist projiziert das richtige Wort auf ihre Haut. Richtig ist es deshalb, weil in dem Augenblick, in dem ich versuche, das Imaginierte zu lesen, ich von meinen eigenen Emotionen absehen muss – und genau dies ist die Bedingung dafür, dass ich meine wahre Empfindungen wahrnehmen kann.
Eine andere bewährte Methode in den Momenten des Innehaltens ist, die Augen kurz zu schliessen und mir eine Ampel vorzustellen. Zeigt sie grün, geht es meiner Sub gut und ich kann weiterspielen. Und rot – ist ja klar – heisst: weitere härtere Aktionen einstellen. Damit die Ampelmethode funktioniert, muss ich mir
ausserhalb einer Session mein imaginiertes Bild zurechtgelegt und mit Subs Befinden verknüpft haben, indem ich mir etwa eine Ampel vorstelle und ein Schild darunter hänge, auf dem "Subs Befinden" steht. Dann bin ich gerüstet, während einer Session auf dieses innere Bild jederzeit zurückgreifen zu können.
Je mehr wir Doms diese Dinge üben, umso mehr werden sie verlässlich anwendbar sein. Einmal in Fleisch und Blut übergegangen, werden sie den Fluss einer Session nicht behindern. Dafür gewinnen wir die Freude, mit immer mehr Sicherheit mit Sub bis zur Grenze spielen zu können, ohne dass die Gefahr des Absturzes droht.
stephensson
art_of_pain