Braucht Sie Freiheit, um sich die Hörner abzustoßen
Lange Geschichte: Meine Verlobte fühlte sich eingeengt und hat die Beziehung zu mir gegen die Chance auf eine Affäre eingetauscht. Wir waren vier Jahre zusammen und im ersten Jahr unserer Beziehung habe ich für mich gedacht: das ist die Frau, mit der ich alt werden möchte. Es gab viel Trubel und Turbulenz in ihrem Leben. Vom Wechsel der Arbeitsstelle, dem Finden einer Ausbildungsstelle in ihrem neuen Traumberuf über ihre finanziellen Notlagen bis hin zu ihrer Depression und dem Tod ihrer Großmutter. In all den Krisen war ich der Rettungsanker und habe ihr beigestanden und rausgeholfen. Teilweise hab ich ihr meine Hilfe fast aufgezwängt. Leider. Es entwickelte sich eine Abhängigkeit - sie war von meiner Hilfe abhängig, so wie ich davon abhängig war, ihr zu helfen - die uns beide im Laufe der Zeit auffraß. Seit sechs Monaten bin ich nun leider in meiner eigenen Depression gefangen und durch meinen Einsatz für sie in den letzten Jahren habe ich viel von dem verloren, was mich einst ausgemacht, was mich letztendlich am Anfang zum Mann ihrer Träume gemacht hat. Und genau jetzt, wo ich in meiner schwachen Zeit hänge, kehrt sie mir den Rücken zu. Das enttäuscht mich. Allerdings: Gerade, dass ich mich so abhängig von ihrer Liebe gemacht habe, führte dazu, dass sie mich eigentlich verlassen muss. Sie schickt mich sozusagen auf "kalten Entzug".
Nun hat es sich ergeben, dass sie einen anderen Mann (über das Internet) kennen gelernt hat, der scheinbar ein wenig wie der Teil von mir ist, der verloren gegangen ist und in den sie sich verliebt hat. Ich weiss, der Typ ist nicht Satan - er hat ja keine Schuld am schlechten Verlauf und ihrer Bereitschaft, ja ihrem Hunger danach, endlich wieder jemanden so zu lieben, wie sie mich früher einmal lieben konnte. Als ich die Geschichte herausfand (auf unschöne Art durch spionieren in ihren Mails) ist durch diesen letzten Vertrauensbruch (ihre Liebschaft vs. meine Spionage) unsere Beziehung zerbrochen.
Ein Stück weit, vermute ich, liebt sie mich noch, aber der andere Kerl wirkt im Augenblick viel attraktiver. Ich war ihre erste wirkliche Beziehung und die Aussicht auf neue Erfahrungen und ein Entkommen aus dem Teufelskreis aus Streit und Überwachung und die neue Freiheit in ihrem Leben reizt sie sehr.
Ich arbeite derzeit daran, mich selbst (mit Hilfe einer Therapie) wieder in den Griff zu kriegen und ich will irgendwie meine Liebe nicht aufgeben. Immer noch sehe ich in ihr die Frau, die ich lieben will.
Was soll ich also tun? Soll ich sie ziehen lassen? Soll ich ihr sagen: "Hey, ich liebe dich noch immer und will, dass du zu mir zurück kommst. Ich arbeite daran, wieder der Kerl zu werden, den du lieben kannst und willst."
Ich fühle mich traurig, weil ich meine Probleme langsam in den Griff kriegen kann, das spüre ich. Ich weiss, dass ich noch ein Stück weit gehen muss, aber dann wird aus mir wieder ein Mann, den ich selber gut leiden kann. Aber sie ist zehn Jahre jünger als ich und hat das Bedürfnis zum ersten Mal in ihrem Leben Freiheit und Eigenständigkeit voll auszukosten. Auch das kann ich nachvollziehen. Sie kann sich endlich aus sozialer und materieller Abhängigkeit befreien. Das reizt sie sehr.
Wenn ich es nun schaffe, sie doch wieder zurück zu kriegen, ist das dann eine Lösung auf Zeit? Oder bleibt da ständig der kleine Teufel auf ihrer Schulter, der flüstert: "Komm doch, nimm dir deine Freiheit. Erlebe was! Geh ein Risiko ein!" Oder kommt die Krise nur daher, dass sie sich die Hörner abstoßen muss, nachdem ich ihr erster Richtiger Mann war? Sie fragt sich - in mehreren Bereichen: "War das schon alles?" Was meint ihr? Kann ich, wenn ich ihr viel Freiraum einräume, diese Beziehung wieder beleben? Gibt es die Chance für uns, wieder glücklich zu werden? Kann ich dabei auch selbst wieder gesund und zufrieden werden? Oder wird immer das Gefühl in mir nagen, dass sie nur darauf wartet, ihren nächsten Prinzen zu treffen und das Spiel geht wieder von vorne los? Wie viele Männer braucht eine Frau im Leben, damit sie sagen kann: "Ich hab nichts verpasst."
