Reden ist Silber
… Schweigen ist Gold, sagt der Volksmund, der oft mehr Recht hat, als uns lieb ist.Wir – ich eingeschlossen – beten gebetsmühlenhaft jedem uns unsicher erscheindenen Neu-Poster, jedem Menschen, der sich hier in einem Post mit seinen Schwierigkeiten outet, herunter:
reden, reden, reden
Liebst du, wenn ich dich auf den Arsch peitsche? Wirst du geil, wenn ich sage: Knie nieder, du Sau? Magst du es, wenn ich dich so fessele, dass du bewegungsunfähig bist? Liebst du es insgeheim, wenn ich dich ohrfeige?
…..
Ist das wirklich das Allheilmittel, um unsere Schwierigkeiten, den Weg zur Lust zu beschreiten, zu überwinden?
Machen wir es uns mit dem "Reden wir 'mal darüber!" nicht zu einfach? Büchsen wir nicht aus? Und drücken uns vor unserer Verantwortung, sensibel genug zu sein, zu spüren, was unserem Gegenüber gut tun und was nicht?
Entzaubern wir nicht durch das Reden darüber (hinweg) die Innigkeit der Intimität, die sich zwischen Sub und Dom einstellen kann, wenn sie/er spürt, was er/sie eigentlich will, um sich zum Gipfel seiner/ihrer Lust aufzuschwingen?
Und überfordern wir als Doms nicht den submissiven Part, wenn wir ihn zwingen, seine intimsten Sehnsüchte auszusprechen, deren Reiz gerade darin läge, dass sie einfach geschehen mögen, ohne zuvor ausgesprochen, also gewünscht zu sein?
Ich habe oft meine Sub nach ihren erotischen Wünschen, Träumen, Fantasien gefragt. Ihre Antwort war immer klar: dass sie dies im Unklaren lassen möchte. Ihr Kick bestünde darin, dass es mit ihr geschieht, ohne dass sie Einfluss darauf hat. Würde sie mir ihr "Kopfkino" in allen Details schildern und ich käme auf den Gedanken, dies nachzuspielen, wäre der Reiz für sie weg.
Und darüber hinaus: was wäre, wenn eine Aktion, ein Geschehnis, sie kickte, von dem sie zuvor nie im Leben vermutet hätte, dass es sie kickt? Wie hätte sie zuvor mit mir darüber reden sollen? Wenn es ihr noch gar nicht bewusst war?
Ich sage: das Reden ist für uns Doms eine Ausrede, eine Flucht davor, Verantwortung zu übernehmen und sensibel zu sein.
Ist Reden wirklich nötig? Ist es nicht so, dass ich, wenn ich meine Sub offenen Herzens beobachte, sofort spüre, ob ihr etwas gefällt oder nicht? ob sie etwas geil macht oder nicht?
Ich habe viel geredet in meinem Leben - und tue es immer noch. Entsinne ich mich an meine Gespräche mit meinen Geliebten, ging es mir vor allem darum, sie zu überzeugen, dass mein Weg der Lust auch der ihrige sein müsste. Ihr spürt sofort: das hätte ich knicken können. Später knickte es dann das Leben für mich.
Also wozu reden? Ahhh … ja, es geht ja um die "Ängste". "Du, ich will dich peitschen!" – "Oh Gott, du bist ja pervers, das ist nicht dein Ernst!" – "Du, das tut nicht so weh, wie du denkst, und es könnte sein, dass du beim Schmerz eine gewisse Lust empfindest!" – "Sag mal, wie kommst du denn da drauf, dass mich das anturnen könnte?" – "Na, weißt du, Schmerzempfinden setzt gewisse Adrenaline frei, und das hat rauschgiftartige Wirkungen, das kann schon kicken!" – "Also, weißt du, mit Liebe hat das für mich nichts zu tun!" – "Ja, aber schau mal, mein Schatz, …" ….
Bringt's das wirklich?
Glauben wir, mit solchen Argumenten Ängste überwinden zu können?
Umgekehrt geht's genauso: "Du, weißt du, ich bin eigentlich total submissiv, aber Klammern an meinen Brüsten sind für mich der Horror! Versprich mir, dass du das niemals mit mir anstellen wirst!"
OK, wenn ich einen Vertrag Bürgerlichen Rechts aufsetze, müssen die Bedingungen von beiden Seiten geklärt sein. Das bedarf vielen Redens. Denke ich mir BDSM als Vertrag, ist das für mich der erotische Nullpunkt.
Reden ist in einer Hinsicht unabdingbar: ich erzähle meiner Geliebten (sie ist mehr als ein blosser Geschäfts-Partner) meine Fantasien, mein Kopfkino, das, was mich kickt. Ich versuche, so schonungslos wie möglich zu sein. Ich zeige ihr meine Porno-Sammlung. Damit sie weiss, woran sie ist. Damit sie mich besser einschätzen kann.
Aber ich diskutiere mit ihr nicht darüber, ob sie gepeitscht werden will oder nicht. Sondern ich tue es. Und beobachte sie. So genau wie möglich. Schweigend. Und
justiere mein Handeln dementsprechend
so gut wie möglich.
Mein Vorschlag: Jeder Mensch, der nur zehn Sekunden die Augen zu macht, schweigt, und sich im Geiste fragt, wie es seinem Geliebten jetzt gerade damit geht, mit was auch immer, wird eine präzise ehrliche Antwort in sich finden. Ja – oder Nein.
Reden ist hier vollkommen unangezeigt.
stephensson
art_of_pain