ich hab ein - gewiss kitschig motiviertes - faible für alte ehepaare. also die sorte, die einander auch nach 60 gemeinsamen jahren noch etwas zu sagen hat und sich, wenn vielleicht auch nicht mehr leidenschaftlich lodernd, immer noch liebt und schätzt.
durch meine arbeit habe ich intensiv mit menschen zu tun und bekomme sehr tiefe private einblicke - auch in ihr beziehungsleben. und dort sind die innigen momente rar gesät bei vielen. umso rührender die ausnahmen, die einen ganz hollywood ums herz machen.
ein ehepaar, sie etwa achtzig, er knapp neunzig. sie hatten sich erst eher spät kennen gelernt. sie war seine zweite frau. über vierzig jahre haben sie gemeinsam verbracht.
als seine demenz immer stärker zu vorschein kam, hat sie ihn zuhause gepflegt. bis sie selbst schwer erkrankte. eine unheilbare krankheit, die sie an den rollstuhl fesselte, mit der bitteren aussicht, bei klarem verstand bald schon in der völligen bewegungslosigkeit zu enden und letztlich kläglich zu ersticken.
morgens hat sie sich zuallererst zu ihm umgedreht und ihn angestrahlt. "mit dir ist jeder tag sonntag" hat sie ihm manchmal gesagt und nach seiner hand gefasst. er, der mittlerweile in einer komplett anderen welt lebte, hat den druck ihrer hand aber immer erwidert.
wenn es ihr besonders schlecht ging und sie in seinem blickfeld saß, dass nach dem schlaganfall stark eingeschränkt war, weshalb er nur von links auf sie reagierte, dann strich er ihr die haare aus dem gesicht und streichelte es. in diesen momenten hat er, dem die menschen in seinem leben in der erinnerung bunt durcheinander purzelten, sie immer wieder erkannt.
trotz seiner schweren demenz und allerlei zusatzbeschwerden war er körperlich besser in schuss als sie und so war es verwunderlich, dass ausgerechnet er eines tages wieder ins krankenhaus musste, während sie daheim blieb und im sterben begleitet wurde.
sie hat ihn unheimlich vermisst, fand keine ruhe und kaum schlaf. zu diesem zeitpunkt war sie bereits so geschwächt, dass sie das telefon neben ihrem bett nicht mehr benutzen konnte, von dem aus sie bis wenige tage zuvor ihren alltag erstaunlich souverän gesteuert hatte.
um ihr ein wenig von ihrer sorge zu nehmen, habe ich angeboten, im krankenhaus anzurufen und mich nach seinem befinden zu erkundigen. die stationsschwester in der leitung hab ich ihr den hörer überlassen.
diese kleine, sterbende frau sprach mit vor aufregung zitternder stimme und einem freudigen glanz in den augen, als sie hörte, dass es ihm gut ginge und er bald nachhause käme. "bitte sagen sie meinem mann, dass ich ihn heiß und innig liebe" flüsterte sie, weil ihre stimmbänder bereits von der lähmung beeinträchtigt waren, und ich hätte gerne das gesicht der schwester gesehen. mir jedenfalls hat es die sprache verschlagen. und mein kitschzentrum zum überlaufen gebracht.
zu seiner heimkehr hat sie ihm noch eine "party" organisiert und ihm dinge bestellt, die er immer gern gegessen hat. in der nacht vor seiner rückkehr hat sie vor aufregung kein auge zugetan.
wenige tage später kam dann der lang befürchtete erstickungsanfall. und obwohl diese kleine, auf haut und knochen abgemagerte frau todesängste durchlitt und panisch nach der notfalldröhnung verlangte und letztlich, weil ihre angst zu groß wurde, doch noch die letzten stunden im krankenhaus verbrachte, anstatt wie gewünscht zuhaus zu versterben. aber bevor die sanitäter sie mitnehmen durften, musste geklärt werden, was mit ihrem mann, der im bett daneben lag, geschieht und sie hat veranlasst, dass er sie begleiten konnte und nachts nicht unbetreut blieb. ihr letzter wille quasi, den sie äußerte, als sie bereits blau anlief.
bei aller tragik hat mich die intensität unfassbar berührt, mit der vorallem sie ihn geliebt hat und was sie dafür getan hat. auch wenn die beiden, von ihrer beziehung losgelöst, keinesfalls nur nette menschen waren - in diesem punkt haben sie mir, hat gerade sie mir unheimlich imponiert.