Ich glaube, auf diese Frage wird man keine allgemeingültige absolute Antwort erhalten können ...
Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf die Subjektivität dieses Prozesses ... sondern vor allem darum, dass es keine feste, einzugrenzende Erscheinung ist ...
... sondern ein PROZESS
Weiblich fühlen, BEWUSST weiblich fühlen wird sich vor allem nur ein Individuum, das in irgendeiner Weise in Konfrontation dazu steht. Klar, auch Frauen fühlen sich manchmal "unbeschreiblich weiblich", aber ich glaub dass sich darin nur ausdrückt, dass sie sich in ihrem Geschlecht erfolgreich fühlen, attraktiv, so wie auch Männer ein Gefühl dafür haben können als Mann anzukommen.
Dieses Weiblich fühlen, um das es hier als Thema geht ist aber ein Weiblich fühlen im Kontrast, in der NICHT- SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT.
Am Anfang ist vielleicht nur das Gewahrwerden, DASS etwas nicht stimmt. Aber ist deses Aufdämmern des eigenen Schicksals schon ein weibliches Empfinden?
Ach .. ich kenne diese philosophisch und soziologisch durchzogenen Diskussionen ... was ist biologisch, was ist gesellschaftlich festgelegt? Wie kann ein "Mann wissen, wie eine Frau fühlt". In der Ethnologie nennt man diese Perspektive ethnozentrisch. Und sie ist für Außenstehende unmöglich zu erreichen - gespiegelt in der Frage: Wie ist es ein Pferd zu sein?
Auf meinem mittlerweile nicht mehr ganz so kurzen Weg machte ich viele Entwicklungsschritte, die sich für mich im Nachhinein in meiner Erinnerung auflösten wie Spuren im Wüstensand. So viel kann ich sagen: Ich war am Anfang des Prozesses, nach seinem Ausbruch, ganz bestimmt keine Frau. Ich war ein Mensch, den die Unvereinbarkeit von innerem Empfinden, Körperbild und sozialer Rolle so weit unter Druck gesetzt hat, dass ich meine tiefen Ängste überwinden und mich der Öffentlichkeit stellen musste.
Über die Schritte davor, Kindheit, Jugend, erstes Bewusstwerden habe ich viel reflektiert, habe abgewogen, vielleicht auch interpretiert ... und erstaunt festgestellt wie viele Zeichen vor dem Ausbruch schon an der Wand waren. Aber in meiner männlichen Erscheinung konnte ich sie nicht sehen. Diesen Prozesse dürften die meisten durchlaufen, die mit einer gewissen Bewusstsheit begabt sind.
Doch dieses suchen in der Vergangenheit ... liefert keine Antworten. Letztendlich bleibt nur jeder Person einzeln die Wahl den Gefühlen zu folgen oder sich rational gegen die Gefühle zu entscheiden. Man muss ins Wasser springen um zu erfahren ob es einen trägt. Risiko!
Ich erfuhr, dass Weiblichkeit sich in mir entwickelte ... aus einem Keim, der vermutlich schon vor meiner Geburt angelegt war und sich einfach nicht verdrängen lassen wollte. Bei normaler Entwicklung wächst dieser Keim zu einem Mädchen heran und dieses Mädchen entwickelt sich zur Frau .... Bei mir hat sich stattdessen eine dauerhafte Improvisation entwickelt ... aber nicht das Ziel des Keimes.
War die Wahrnehmung in meiner Kindheit und Jugend nur eine idealisierte Persönlichkeit? Ein Ziel, eine Fluchtpersönlichkeit?
Heute kann ich sagen: Nein. Sicher bin ich nicht so, wie ich mich als Kind gesehen, visualisiert habe. Aber ja, ich habe diese Gefühle, ja ich bin authentisch und lebe ungebrochen. Mein Wesen ist androgyn, nicht männlich, nicht ganz weiblich ... eine Melange aus beiden, unentmischbar, kein Frankensteinmonster mit männlichen Armen, weiblichen Beinen usw. Früher sah ich mich als femininer Mann, wie einen Engel ... doch ich merkte, dass ich zu weiblich dafür bin. In der männlichen Welt gibt es einfach keine Platz für mich ... keinen Platz für meine Gefühle, für meine Wahrnehmung, für meine Körperästhetik.
Dieses androgyne Gefühl spiegelt vielleicht meine Gehirnentwicklung wieder, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geschlechtstypisch abgelaufen ist. Simpel gesagt: Mein Gehirn bekam im entscheidenden Moment nicht genug Hormone um komplett zu vermännlichen. Wieviel Frau, wieviel Mann in meiner Gehirnstruktur zu finden ist ... das lässt sich sicher nicht beantworten, zu groß ist die Variabiliät bei beiden Geschlechtern.
Aber dieses Gehirn blühte auf, als mein Körper sich zu verweiblichen begann ... die Depressionen ließen rasch nach, ich wurde offener für therapeutische Ansätze. Ich fühle mich so gut in meinem Körper, ein Gefühl, das mir seit meiner Kindheit fremd war. Es ist so gut nicht mehr darüber nachzudenken, ob eine Geste, eine Äußerung, meine Mimik zu weiblich wirkt. Ich bin einfach nur ich selbst ... und stoße auf keine Hindernisse, muss mich nicht korrigieren! Auch das ist mir unbekannt seit meiner Pubertät. Damals fing ich an andere Männer nachzuahmen ... um unauffällig zu sein. Heute lebe ich aus meiner Mitte heraus.
Die Hormone verändern mich massiv ... auch innerlich. Es ist eine Reise, eine lange Reise und sie endet erst mit dem Tod. Bei jeder Frau beginnt der Prozess der Weiblichkeit irgendwann in der Phase zwischen Kindheit und Jugend ... und endet mit dem letzten Atemzug. Fortwähend verändert sich Weiblichkeit, die Phase vor der Fruchtbarkeit ist eine andere als die gebärfähige Zeit und die wieder anders als die PMS Zeit und die wieder anders als das hohe Alter. In jeder Phase fühlt sich Weiblichkeit anders an .. ich bin mir sicher, dass mir das jede Frau bestätigen wird.
So kann es, bei allem guten Willen, keine erschöpfende Antwort auf diese Frage geben.