Mir persönlich fällt es schwer genug, mich selbst und meine Nächsten wirklich aufrichtig zu lieben, da will ich den Ball lieber flach halten, und mich darauf konzentrieren.
Außerdem: Ich kenne die meisten Menschen doch gar nicht und wie soll ich jemanden lieben, den ich nicht kenne??? Und selbst, wenn ich sie kenne: Viele Leute finde ich schlichtweg blöd und unangenehm, da habe ich gar keine Motivation, zu lieben.
Natürlich könnte ich irgendeine Metaphysik schlucken, die das allgemeine Lieben zu einer Notwendigkeit für mein Seelenheil macht. Aber ich habe beschlossen, daß mein Seelenheil umso besser geschützt ist, je ehrlicher ich mir gegenüber bin und je mehr ich bereit bin, meine Gefühle ernst- und anzunehmen - und da findet sich, da ich ein leicht neurotisches Wesen bin, so einiges an Angst, Haß, Verachtung, Wut, Trauer ...
Alles Gefühle, die wohl kaum in Einklang mit Liebe zu bringen sind. Ich bin schon froh und dankbar, daß ich diese Gefühle nicht ausagiere. Aber von mir zu verlangen, ich dürfe sie nicht mehr
haben, fände ich brutal und unsinnig.
Ich habe, als ich noch glaubte, in der Religiosität glücklich werden zu können, nicht wenige 'Christen' und 'Buddhisten' kennengelernt, die sich mit ihrer Liebe für alle Menschen als eindeutig überfordert erwiesen. Irgendwie erschien mir deren 'Liebe' als ein sehr selbstgefälliges Unterfangen. Bestimmte Gefühle waren nicht erlaubt, weil sie nicht in ihr Selbstbild paßten und/oder sie haben ihr Gegenüber nicht mehr wirklich ernst- und wahrgenommen, sondern nur das in ihn hineininterpretiert, was sie an ihm zu lieben bereit waren.
Im Großen und Ganzen habe ich viele dieser Leute als fremdelnd, eitel, esoterisch verbohrt und irgendwie unlebendig erlebt. Mit ihnen wirklich in persönlichen Kontakt zu kommen, war kaum möglich - wahrscheinlich gerade deshalb, weil sie glaubten, qua allgemeiner Liebe ohnehin schon längst mit Allem und Jedem in Kontakt zu sein.
Es gibt aber demgegenüber bestimmt auch Menschen, die
jedem Einzelnen mit wirklichem Wohlwollen, Interesse und Empathie, Humor und wohlverstandener Demut und Würde begegnen können - einer Haltung, die wirklich Ausdruck einer äußerst gesunden, reifen, und in hohem Maße lebens- und liebensfähigen Persönlichkeit ist.
Ich betone den
Einzelnen, weil ich denke, darauf kommt es an.
Sich einzubilden, man könne die ganze Menschheit - also ein
Abstraktum - lieben, finde ich albern. Und es fördert m.E. Bequemlichkeit und Selbstgefälligkeit. Denn wo man ja sowieso schon alle liebt, braucht man sich nicht mehr die Mühe geben, sich auf den Einzelnen einzulassen - und dann vielleicht festzustellen, daß es doch so einige innere und äußere Hindernisse für wirkliche Liebe oder auch nur Sympathie gibt.
Wichtige Zutaten zum Rezept, immer mehr Menschen, und einen jeden davon in seiner Eigenheit lieben zu lernen, sind wahrscheinlich: eine wohlwollend ironisch-distanzierte Haltung zu den eigenen und anderer Menschen Schwächen einzunehmen und gleichzeitig sich selbst und den Anderen ernst nehmen und würdevoll behandeln. Das kann man
machen. Was man
fühlt, hat man weniger in der Hand.
Das alles ist im Grunde ein einziger kontinuierlicher Prozess, der nur über Selbsterkenntnis und Selbstannahme funktioniert, denke ich. Und wenn man diesen Prozess am Leben halten kann, kann die Liebe darin wachsen. Als unmittelbares Ziel setzen läßt sie sich jedoch nicht.