Wir sein

Wir sein

Windböen peitschen den Regen über Stadt und Land.
Wir stehen vor dem Fenster und blicken in das Grau.
Du sagst: Da draußen möchte ich jetzt sein, möchte nochmal Kind sein.
Und blickst mich an, nimmst meine Hand.
Ich sage: Ja, es muß schön sein, als Kind hab ichs vermisst, weil ich's nicht durfte.

Der Weg ist naß, auf der großen Pfütze malt der Regen seine Kreise.
Du drehst dich im Kreis, reckst das Gesicht zum Himmel, um die Tropfen einzufangen.
Dein Gesicht strahlt mit deiner gelben Regenjacke um die Wette.
Deine gelben Gummistiefel spiegeln sich im trüben Wasser.
Nun komm schon, es ist doch nur Wasser, lachst du mir zu.

Ich schäme mich, das Kind in mir erinnert sich an die mahnenden Worte der Mutter.
Ich möchte es, doch kann ich es nicht.
Ich trage Gummistiefel, seit langer Zeit, im Keller standen sie im hintersten Regal und staubten zu.
Du trittst auf mich zu, nimmst meine Hand und drückst sie fest.
Vertrau mir und lass es zu. Sei Du.

Wir gehen langsam in die Pfütze, der Boden wird weich und steinig zugleich.
Und plötzlich stampfst du leicht auf, daß es spritzt.
Du grinst. Jetzt Du.
Auch ich stampf' auf.
Da siehst du, geht doch.

Das hab ich früher gern gemacht, sagst du.
Im Matsch gespielt, gebuddelt und geschaufelt,
mit dem Kettcar durch die Pfützen, daß es spritzte,
in alten Hosen über Stock und Stein,
die gelben Gummistiefel schlammverschmiert,
mit roten Wangen durch den Wald.
Ich war ein Ferkel und ein Dreckspatz!

Was hält dich davon ab, das heute nachzuholen?
Heut und hier, mit mir?
Renn durch die Pfütze, spring doch mitten rein, egal.
Sau dich ein. Mach dich schmutzig, dreckig.
Sei du.
Da drüben ist es matschig, lass uns zusammen rein.
Hörst du das Röcheln des Bodens, wenn du den Stiefel wieder rausziehst?
Den bis zur Hälfte lehmigbraunen Gummistiefel, von dem deine Mutter sagte, du würdest davon Stinkefüsse bekommen?
Mach es, hier und jetzt.

Und ich mache es, noch zaghaft
Beginne zu lachen,
beginnen zu rennen,
beginne in die Pfütze zu springen,
Gehe in ein kleines Matschloch, mache meine Gummistiefel dreckig,
werde zum Kind
werde ich
wie du

während du versonnen und zufrieden einem roten Ahornblatt hintersiehst, die Hände tief in den Taschen deines gelben Regenmantels vergraben.