Grübeln
Die Frage, wie “wirklich” die Wirklichkeit ist, ist eine alte und führt ins Off-Topic. Der Gedanke, “Brot” sei doch für uns alle Brot, scheint bestechend, obwohl es auch hier Ausnahmen gibt – nicht für jeden Menschen ist Brot “Brot”. Der messbare Druck der Wäscheklammer jedoch verweist doch auf etwas “Reales”. An diesem Punkt des Arguments wird es kompliziert; vielleicht mag hier der Hinweis genügen, dass es geheime und nicht so geheime Synchronisationsmechanismen von Kopfkinos gibt. Die nicht so geheimen nennt man etwa “Erziehung”: ein Kleinkind lernt von der Mutter, “wie es die Welt zu sehen hat”, sprich: ein Kopfkino wird konditioniert. Selbst der Gedanke, “Wirklichkeit” sei etwas Messbares (etwa der Druck einer Wäscheklammer), existiert weltgeschichtlich betrachtet erst seit kurzem. Er entstand zunächst in einem Kopfkino eines Einzelnen (Isaac Newton).
Dieser Film hat sich inzwischen weltweit in fast allen Köpfen synchronisiert.
Um auf “Joy” zurückzukommen: “Erniedrigung = Lust” wurde, neben anderen Gleichungen, befragt. Das erste Wort deutet auf eine moralische Interpertation einer Handlung eines Menschen an einem anderen, das zweite auf einen gefühlten Zustand von glücklicher Lust.
Beides entsteht überhaupt nur mit der entsprechenden inneren Disposition, in der Sprache unseres Threads also: dem Kopfkino. Manche Menschen (etwa Subs) sind so disponiert, dass sich beide Filme überlappen, dann funktioniert das Gleichheitszeichen. Andere wenden sich empört ab.
Auf den Grund, warum der Film der “Wirklichkeit” oft nicht so lustvoll empfunden wird, wie der Film “im Kopf”, hatte ich schon hingewiesen: oft macht man die Rechnung ohne den Wirt. Sprich: im Erleben kommen andere Qualitäten hinzu, die man beim Film im Kopf locker ausblenden konnte. Denn: im Erleben sind noch andere Personen beteiligt, und auch die haben Kopfkino. Eine gelungene Session ist nur dann gelungen, wenn die Beteiligten ihr Kopfkino hinlänglich synchronisiert haben. Klare Verteilung der Rollen, klare Regie, klares Bühnenbild. Das will geübt sein. Gute Schauspieler und gute Regisseure wurden auch nicht über Nacht geboren.
Unser Kopfkino stösst an Grenzen, die uns unsere Kreatürlichkeit setzt. So kann ich davon träumen, zu fliegen. Wenn ich oben am Berg stehe und die Arme ausbreite und hinausschreite, werde ich nicht fliegen, sondern abstürzen und vielleicht sterben. Wenn ich eine Hängebondage so anlege, dass ich das Seil um den Hals meiner Geliebten fixiere, wird aus dem geilen Kopfkino schnell Totschlag.
Aber selbst bei solchen, ins Extrem gezogenen Gedanken könnte es ja sein, dass ich zumindest für 20 Sekunden fliege, oder meine Geliebte für 30 Sekunden Lust verspürt. Um den Preis, dass dies mein oder ihr letztes Kopfkino war.
Otto Lilienthal war dies der Preis wert. Mir sicher nicht.
stephensson
art_of_pain