Richtig bewusst mit Tod und Trauer bin ich als junge Erwachsene konfrontiert worden, meine Reaktion war eigentlich Ohnmacht, Fassungslosigkeit, Wut, ich konnte gar nicht damit umgehen. Als Kind wurde man zwar mit zu Beerdigungen genommen, in der Kirche hatte man ruhig zu sein, beim Zusammensein nach dem Begräbnis war's halt recht, wenn die Kinder lieber spielten und "das alles gar nicht so mitbekamen".
Andererseits wurde in der Familie immer viel über die Toten gesprochen und erzählt, ich weiß sehr viel z.B. über meine Urgroßeltern.
Nachdem nun meine Großmutter gestorben war, bemerkten wir alle sehr schnell, dass wir uns nur gegenseitig durch Gespräche helfen konnten, in denen wir auch unseren Gefühlen freien Lauf ließen. Reden darüber, wieso sie so krank geworden ist, sich damit trösten, dass sie sich auf alle Therapien eingelassen und sich ihren Tod zuletzt gewünscht hatte - als ihre Erlösung. Das half dem Kopf, aber das mit den Gefühlen in Einklang zu bringen, war nicht so leicht möglich. Ich konnte lange Zeit nicht das Grab besuchen, habe ihre Fotos in den Schrank gelegt. Ich fing dann an, zum Geburts- bzw. Todestag oder zu Weihnachten zum Friedhof zu gehen. Am Anfang hab ich versucht, meine Tränen zu unterdrücken, irgendwann war es mir egal, ob jemand sah, dass ich weinte und so gelang es mir langsam immer öfters und für längere Zeit ihr Grab zu besuchen.
Als mein Großvater starb, war mein Sohn gerade 1 Jahr alt und irgendwie hab ich da rein instinktiv alles anders gemacht. Ich war sehr gefasst und ruhig, nahm ihn mit in die Kirche, wir haben zusammen Abschied genommen und ich konnte so manch "bösen" Blick wegen eines fröhlichen Kinderlachens während einer Beerdigung sehr gut wegstecken.
Durch meinen Beruf bin ich oft mit Schwerkranken und trauernden Angehörigen konfrontiert. Anfangs war es sehr schwer, sich abzugrenzen, was nicht bedeutet, dass man teilnahmelos ist. Man muss es einfach lernen, um für diesen Menschen ein besserer Gesprächspartner zu sein, um ihn in diesem Moment ein Stück auffangen und stützen zu können. Nach nunmehr 15 Jahren Erfahrung gehe ich mit Tod und Trauer ganz anders um, was z.B. als mein Onkel vor 5 Jahren starb, zu Vorwürfen seitens meines Vaters geführt hat, weil ich das "Drama", das es für ihn war, nicht sehen konnte. Mein Onkel war mit Ende 20 schwer erkrankt, keiner hätte je gedacht, dass er älter als Mitte 40 wird. Er wurde über 60 und hatte ein sehr erfülltes Leben mit weiten Reisen, weil er jede Therapiemöglichkeit nutzte, konnt er sogar viele Jahre Sport treiben. Mein Vater sah nur die Krankheit, dass er unter "normalen Umständen" noch hätte 20 Jahre leben können. Es gab aber nie normale Umstände in seinem Leben und er selbst hat die fast 2 Jahrzehnte mehr, die er erleben durfte, immer als Geschenk gesehen. Es gab Diskussionen darüber, inwieweit ich mittlerweile "abgestumpft" sei, was absolut nicht der Fall ist. Bei der Trauer und dem Schmerz über den Verlust muss man auch die Lebensumstände sehen.
Im Oktober musste mein Sohn auf eine Beerdigung. Die Jahrgangsstufenbeste (Abi im Mai) hatte sich vor einen Zug geschmissen. Freunde und Klassenkameraden kamen zusammen, es wurde geredet und geweint, natürlich überall Fassungslosigkeit und viel Wut. Wir haben lange und ausführlich über alle Seiten eines Selbstmordes gesprochen. Am Wochenende hatte ich das Abschluss-Shirt der Abi-Klasse in der Wäsche, auf der Rückseite stehen in alphabetischer Reihenfolge alle Namen der Schüler. Als ich ihren Namen las, musste ich weinen.
Danaé