DER DOM IN WEISS
ErzählungEs war April. Und es regnete. Seit Tagen regnete es. Dazwischen Windböen, fliegende Hüte und Schirme. Doch plötzlich schien die Sonne. Lachte, als wollte sie sagen, lass sie fliegen, bei mir benötigst du sie nicht. Aber das Sonnenlicht war nicht goldgelb wie an einem Sommersonntag. Es war weiß, hart und hinterhältig, so als wollte es ein aufziehendes Gewitter vertuschen. Und plötzlich war es da. Blitz, Donner und Hagelschauer! Heftige Winde vor sich her schiebend und die Sonne versteckte sich, tat so als habe sie von all dem nichts gewusst. April, April...
Lesmona saß noch immer am Fenster wo sie das kurze Sonnenbad genossen hatte. Jetzt knallten Hagelkörner gegen die Scheibe und rissen die junge Frau aus ihren Gedanken. Tief unter ihrem Fensterplatz hörte man den Lärm der Großstadt wie das Mahlwerk einer Kaffeemühle, in die man Blechknöpfe gefüllt hatte. Eine Bahn kreischte in den Schienen und von weitem hörte man ein Martinshorn sich einen schnellen Weg durch die Geräusche bahnen.
Lesmona kannte all diese Geräusche und nahm sie auch nicht mehr so wirklich wahr. Nur in diesem Moment, da der Gewittersturm einen gefährlichen Pfeifton um das Hochhaus zog und diese Gefährlichkeit alle Nervenbahnen in Lesmonas Kopf auf Empfang einstellte, hörte sie alles; alles, alles, alles. In diesem Moment hätte sie auch Stubenfliegen sprechen hören. Aber es war April und die Fliegen waren aus dem Winterurlaub noch nicht zurück.
Er hatte kein Wort gesagt. Obwohl er hätte wissen müssen wie hellwach sie neben ihm lag. Behutsam wie ein Raubtier auf Beutegang wand er sich aus dem Bettlaken, lautlos seine Gliedermaßen streckend. Selbst sein Gähnen war tonlos. Sie bemerkte nur den kaum fühlbaren Luftsog. Dann schlich er wie auf Samtpfoten zum Bad und Lesmona blieb allein und wach und verwirrt zurück.
Was war geschehen in dieser Nacht? Was hatte sie falsch gemacht? Warum sprach er kein Wort? Es war doch nicht das erste Mal, dass sie zusammen in diesem Hotel und auch genau in diesem Zimmer waren. Er wollte das so. Immer denselben Ort, dasselbe Bett, dieselben Bilder an der Wand, Vertrautheit vortäuschen. Ja, das war es. Genau...
Aber was war denn da noch an Vertrauen vorhanden, wenn er wortlos sich aus dem Zimmer stahl und sie hier oben zurückließ wie eine, die es für Geld machte? Dabei liebten sie sich doch. Sie liebte seine wilde Leidenschaft, die auch die ihre weckte. Seine Lippen, seine Zunge, seinen Atem. Er roch nach Mann. Mann o Mann roch er nach Mann. Er vereinte Marlboro mit dem grünen Segelschiff von Becks, und sein Rasierwasser hatte den A-Ton von irischem Whisky. Steaks auf Holzkohle, Wind, Weite des Meeres und die Unendlichkeit des Weltalls kamen mit ihm in den Raum und machten jetzt, ohne diesen Mann aus dem vertrauten Zimmer eine Absteige. Lesmona fror. Warum hatte sie ihm nicht gezeigt wie wach sie war? Warum ließ sie ihn nur so weggehen...?
Dabei hatte gestern alles so herrlich angefangen. Sie hatte sich auf ihr Rendezvous, wie immer, sehr intensiv vorbereitet. Nach einem die Sinne erregenden Bad trocknete sie sich ab, prüfte nochmals alle Problemzonen ihrer Intimrasur, cremte ihren Body ein und wünschte sich dabei eine Lady zu sein, die für derartige Dinge eine süße kleine Zofe zur Verfügung hätte...
Sie klingelte. Das Zimmermädchen klopfte und trat erst ein als Lesmona ein sehr zartes „entrée“ in Richtung Zimmertüre hauchte.
„Sie wünschen, Madame?“
„Schicken Sie mir meine Zofe!“
„Sofort, Madame.“
„Lassen Sie die Türe offen, ich mag doch keine geschlossenen Türen!“ rief Lesmona dem Zimmermädchen nach, doch die war schon verschwunden.
Kurz darauf erschien die Zofe. Eine sehr zierliche Person. Langes, schwarz glänzendes Haar, weiße Rüschchenbluse mit einem sehr tiefen Dekolletee, das mehr zeigte als es verdeckte. Auch das feuerrote Miniröckchen war nicht als Versteck der langen Beine gedacht, die von weißen Nylons umschmeichelt aus hochhackigen Sandaletten heraus wuchsen und sie verschwanden unter dem Röckchen an einer Stelle, wo man Beine nicht mehr Beine nannte. Lesmona liebte diese Outfit und eine Gänsehaut zog über ihren makellosen Körper, bei dem Gedanken an die zarten Hände der Zofe, die gleich ihre zarte Haut eincremen würden. Es wird mehr ein Streicheln mit küssenden Fingern sein. Lesmona liebte die Hände ihrer Zofe. Sie liebte auch die Zofe. Aber sie würde das nie dem Personal gegenüber zugeben...
Als Er wenig später kam, braun gebrannt, schneeweißer Anzug, lässig den Seidenschal ins offene Hemd gesteckt, war sie fasziniert von ihm, ihrem Herrn, und auch von sich selbst, denn sie war zum wahren Augenschmaus des Herrn hergerichtet. Die Zofe hatte ihr ganzes Können wieder einmal unter Beweis gestellt und Lesmona hatte anschließend die verblüffende Verjüngungskur im Spiegel des Badezimmers begutachtet und bewundert...
Doch das war alles gestern gewesen. Seine Ankunft. Das feudale Essen unten in der Hotelbar, der Wein, sein Charme, die Musik und sein starker Arm, der sie beim Tanz hielt. Sie liebte seine Art wie er sie führte, da gab es keine Unstimmigkeit. Er führte sie wie kein anderer das je tat. Selbst wenn sie einen Tanz nicht einmal kannte, machte sie keinen Fehltritt. Seine Dominanz hatte sie restlos im Griff. Sie sah zu ihm auf. Bewundernd, demutsvoll und verliebt. Sie musste sich nur fallen lassen, ihm vertrauen. Und das tat sie. Vollkommen...
Und jetzt?
Lesmona saß allein in diesem vertraut trostlosen Zimmer. Allein im leeren Bett, vor den kahlen Wänden, verlassen, verraten und mit Tränen in den verweinten Augen. Nur die Gitter vor dem Fenster zeichneten ein grandios bizarres Grafikmuster auf die Wand mit der einzigen Türe.
Ein Schlüssel krächzte im Schloss.
Ein großer Mann trat ein.
Sie sah ihn, sah den schneeweißen Anzug, aber sie sah nicht zu ihm auf.
„Ist er schon wieder grußlos weggeschlichen?“ fragte der Arzt, seine Patientin dabei interessiert beobachtend...
© 2006 by Roman RomanoW