Dazu ...
... habe ich vor 10 Jahren eine Geschichte geschrieben, die meinen persönlichen Sinn des Lebens metaphorisch beschreibt:
Der Kiesel
Irgendwo in unserem Universum leuchtet ein heller Stern, der vor ziemlich langer Zeit aus einer riesigen Staubwolke entstanden ist, die ihrerseits von schon explodierten, also gestorbenen Sternen stammte.
Von der Erde aus ist dieser ferne Stern nur mit den allergrößten Teleskopen zu sehen, und auch dann nur sehr schwach. Wir wissen nicht, ob es die Sonne, deren Licht wir im Augenblick des Betrachtens sehen, noch gibt. Vielleicht ist sie schon lange zu einer Supernova geworden, deren Lichtwellen des Explosionsblitzes sich noch auf dem Weg zu uns befinden und vielleicht schon morgen, vielleicht aber auch erst in tausend Jahren von Astronomen registriert wird.
Jedenfalls hat dieser Himmelskörper bei seiner Entstehung nicht allen Staub an sich binden können. Deshalb wird er von mehreren Planeten, die sich den verbliebenen Staub untereinander aufgeteilt haben, umkreist. Und auf einem dieser Planeten sieht es ein bisschen wie auf unserer Erde aus: Es gibt viel Wasser, und auch Land. Natürlich sehen die Kontinente anders aus als bei uns.
Aber ansonsten ist dieser kleine, Millionen Lichtjahre entfernte Planet, den wir selbst mit den allergrößten Teleskopen nicht sehen können, dem unsrigen sehr ähnlich. Es gibt auch Lebewesen auf diesem Planeten. Fliegende, krabbelnde und schwimmende.
Die Landschaften sind auch sehr erdähnlich: Es gibt Berge, Wüsten und Wälder, Flüsse und Seen. Und, genau wie auf der Erde, hat natürlich jeder Fluss seinen Ursprung in einer Quelle. So eine Quelle befindet sich inmitten einer riesigen grünen Graslandschaft auf diesem fernen Planeten. Diese Grasfläche ist so groß, dass es eine schamlose Untertreibung wäre, sie eine Wiese zu nennen. Nein, diese grüne Zone ist so riesig wie die Sahara auf unserer Erde.
Würde ein Astronaut von oben auf dieses Gebiet schauen können, würde er denken, es handele sich um eine grüne Wüste!
Und genau in der Mitte dieser riesigen grünen Wüste befindet sich nun eine Quelle. Unweit davon, nur ein paar hunderttausend Grashalme entfernt, liegt ein kleiner, runder goldbrauner Kieselstein. Da liegt er schon ziemlich lange, mal von dem Stern beschienen, um den der Planet kreist, dann wieder von winzig kleinen Regentröpfchen benetzt. Richtigen Regen, so wie wir ihn kennen, gibt es auf diesem Planeten nicht. Die Regentropfen, die dort vom Himmel fallen, sind kaum größer als Tautropfen. Deshalb würde ein Astronaut, könnte er auf diesem fernen Planeten landen und den Regen erleben, und wäre er ein wenig prosaisch veranlagt, wahrscheinlich dazu sagen »es taut«!
Nun kehren wir aber wieder zu unserem Kiesel zurück.
Dieser kleine Kiesel ist schon sehr alt. Er ist fast genauso alt, wie die Sonne und der Planet, auf dem er herumliegt. Er ist ja auch aus der derselben, riesigen Molekülwolke entstanden. Allerdings sieht man ihm sein hohes Alter nicht an, denn er hat eine schöne, blanke Oberfläche, die richtig glatt poliert ist. Und noch etwas sieht man dem Kiesel nicht an: Sein Bewusstsein. Nun wird sich der Leser fragen, hat ein Kiesel überhaupt ein Bewusstsein? Hier auf der Erde gehen die meisten Menschen davon aus, dass nur sie ein Bewusstsein haben. Ein paar trauen auch Tieren ein Bewusstsein zu, und nur ganz wenige gestehen den Pflanzen auch eines zu. Aber Steine? Nein, die doch nicht!!!
Obwohl – kann man das mit Sicherheit behaupten?
Jedenfalls, der kleine Kiesel hatte ein Bewusstsein. Es verbarg sich in einer speziellen Ansammlung von Atomen, die sich an einer bestimmten Stelle in ihm befand.
Wie der Kiesel nun schon seit Urzeiten auf der Stelle herumlag, und so recht gar nichts passierte, weder mit ihm, noch um ihn herum, außer dem bisschen »tauen«, fragte er sich irgendwann, wozu er eigentlich da sei...
Lange Zeit dachte er nach, in unserer Zeitrechung ungefähr dreizehntausend Jahre. Für einen Kiesel ist das allerdings nur mäßig lang. Aber – schließlich schien er eine Antwort auf seine Frage gefunden zu haben, die ihn zutiefst verunsicherte!
Die erschütternde Antwort war, er wusste es nicht! Das einzige, woran er sich erinnern konnte, war, dass er schon sehr lange existierte, irgendwann auf dieser riesigen Grasfläche aufgetaucht war, und von da an nichts bedeutungsvolles mehr geschehen war. Jedenfalls nicht mit ihm...
Da bemächtigte sich eine große Leere und Verzweiflung des kleinen Kiesels, die so stark und tiefgreifend war, dass es das Steinchen fast zerrissen hätte, so sehr gerieten seine atomaren Strukturen durcheinander!
Aber dann, während eines zum unendlichen Male wiederholten, immer wieder gleichförmigen und langweiligen Tages, ein Tag dauert dort zudem auch noch dreieinhalb Mal so lange wie ein Erdentag, kam ein Flugwesen, pickte den Stein auf und verschluckte ihn. Das Flugwesen musste das machen, denn es brauchte kleine Kiesel zur besseren Verdauung! Das wusste der Kiesel allerdings nicht, und nach ein paar Stunden, er hatte den nicht sehr langen Weg durch den Verdauungstrakt des Fliegers seiner Meinung nach nutzlos hinter sich gebracht, plumpste er durch den Darmausgang wieder heraus. Er fiel und fiel und fiel. Bis es, nicht sehr laut, »Platsch« machte. Nein, mehr »Plitsch«, denn so groß war der Kiesel nicht, dass es zu einem »Platsch« gereicht hätte.
Wie man unschwer erraten kann, befand sich der kleine Stein jetzt im Wasser. Und, wie der Zufall es wollte, war der kleine Stein in genau das Bächlein gefallen, das von der Quelle gespeist wurde, neben der er so lange Jahrtausende gelegen hatte!
»Wow!« dachte das Steinchen, soweit wir das, was in ihm vorging, als »Denken« bezeichnen können, »Endlich passiert mal was!«
Kaum hatte es diesen Gedanken zu Ende gebracht, ging es auch schon weiter. Die Strömung des Baches war an dieser Stelle schon stark genug, um den Kiesel Stück für Stück voranzutreiben. So ging es Meter für Meter, Woche um Woche vorwärts. Aber auch das wurde dem Stein bald langweilig; da er ja keine Sehorgane hatte, konnte er sich nicht an den wechselnden Landschaften erfreuen. Er spürte bloß an den Vibrationen, dass etwas mit ihm geschah.
Doch da! – Was war das? Urplötzlich nahm der Kiesel eine andere Empfindung war, direkt auf seiner Oberfläche! Nun – was war die Ursache für diese andersartige Wahrnehmung?
Es war ein Flusskrebs, der seine Scheren an dem kleinen Stein wetzte, um sie wieder schön scharf zu machen. Aber auch diesmal war dem Kiesel nicht klar, dass er einem anderen Wesen dienlich war. Dafür reichte sein Bewusstsein einfach nicht aus!
Lange Zeit danach passierte weiter nichts, als dass die Reise des kleinen Steinchens durch den allmählich größer und kräftiger gewordenen Bach, den man inzwischen getrost einen Fluss nennen konnte, vorangetrieben wurde.
Und, wie bei vielen Mineralien, die im Wasser befindlich und gleichzeitig Sonnenlicht ausgesetzt sind, bildete sich auf der Oberfläche des Kiesels ein Überzug aus Algen. Mittlerweile war aus dem Fluss ein richtig großer Strom geworden, der den kleinen Stein unaufhaltsam dem Meer entgegentrieb.
Und wieder war dem Kiesel langweilig, auch wenn er die zwei sonderbaren Zwischenfälle nicht vergessen hatte. Da er sie jedoch nicht einzuschätzen vermochte, verlor seine Reise nach und nach auch immer mehr von ihrem Reiz. Nur noch einmal wurde er aus seiner Lethargie herausgerissen. Ein großer Fisch saugte den Stein auf, lutschte die auf ihm befindlichen Algen ab, da diese sein bevorzugtes Nahrungsmittel waren und spie ihn anschließend wieder aus.
So hatte er zum dritten Mal einen Zweck erfüllt, nämlich einem Tier beim Überleben zu helfen. Aber auch dieses Mal entging dem Kiesel, dass er eben doch zu etwas nützte! War es nun einfach nur das Pech, dass ihm die entsprechenden Sinnesorgane fehlten, oder hätte es ihm mit etwas mehr Anstrengung und Aufmerksamkeit doch gelingen können, sein Dasein etwas anders einzuschätzen?
Wir wissen es nicht...
Und dann wurde der kleine Kiesel ins Meer gespült, wo er von den Wellen und der Strömung immer weiter hinausgeschwemmt wurde und weiter und immer weiter in die Tiefen des Ozeans gelangte, wo es immer dunkler und dunkler wurde. Und wenn auch das Wasser des Meeres ungleich sauberer und demzufolge wesentlich klarer war, als das der Erde, konnte man ziemlich bald nicht den winzigsten Schemen des Kiesels erkennen, genauso wenig, wie man den Planeten mit den allergrößten Teleskopen der Welt erkennen konnte.
Und dennoch, wir wissen, dass es den Kiesel gab, dass er durchaus für verschiedene andere Wesen auf diesem Planeten eine Bedeutung gehabt hatte und dass er irgendwo da draußen auf dem fernen Planeten in den Tiefen des Ozeans weiter existierte. Zumindest noch eine ganze Weile...